Echtzeit-Gesichtserkennung: Wachsende Sorgen wegen biometrischer Überwachung

Anwälte und Oppositionspolitiker fordern Aufklärung über die Einsätze eines heimlichen Kamerasystems in Sachsen und Berlin sowie den BKA-Test mit Echtdaten.

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Berlin und Sachsen nutzen verstärkt Systeme zur automatisierten Gesichtserkennung in Echtzeit.

(Bild: MONOPOLY919/Shutterstock.com)

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Polizeien von Bund und Länder nutzen verstärkt Systeme zur automatisierten Gesichtserkennung teils in Echtzeit auf Basis fraglicher Rechtsgrundlagen. Das ruft Juristen und Oppositionspolitiker auf den Plan, die mehr Transparenz und einen Stopp der Maßnahmen fordern. So stößt dem Deutschen Anwaltverein (DAV) übel auf, dass Strafverfolger in Sachsen und Berlin mit einem leistungsstarken Observationssystem heimlich Kfz-Kennzeichen und Gesichtsbilder von Fahrern aufnehmen und mit einer Fahndungsdatei abgleichen. "Über die konkrete Verwendung der Observationstechnik schweigen die Behörden" in dem Freistaat und der Hauptstadt, moniert Saleh Ihwas, Experte für Gefahrenabwehrrecht beim DAV. "Das ist bedenklich, denn wir reden hier über ein System, das in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zahlreicher Personen eingreift".

Eine derartige Kameraanlage erfasse nicht nur gesuchte Personen, sondern alle, die sie passierten, erläutert Ihwas. Die Staatsanwaltschaft Berlin sehe darin dennoch keine "flächendeckende Überwachung". Gerade angesichts dieser Behauptung müsse aber transparent gemacht werden, "wie die Technik eingesetzt und welche Person wie betroffen wird", fordert der Rechtsanwalt. Denn bereits vor Jahren habe das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zum Kennzeichen-Scanning festgestellt, dass ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung selbst dann vorliege, wenn das Ergebnis des behördlichen Abgleichs zu einem "Nichttreffer" führe.

Bei dem umstrittenen Kamerasystem könnten Betroffene angesichts ausbleibender Identifikation auch nicht über die Verarbeitung ihrer persönlichen Daten informiert werden, beklagt Ihwas weiter. Ferner führe die sächsische Polizei keine Statistik zu Häufigkeit und erfolgreichen Einsätzen der Technik, sodass deren tatsächlicher Nutzen offensichtlich nicht einmal überprüft werde. Generell sei Geheimniskrämerei bei einem rechtsstaatlich derart heiklen Thema nicht hinnehmbar: "Die Verfassungsmäßigkeit solcher Maßnahmen ist zu bezweifeln", führt der Jurist aus. Die Karlsruher Richter hätten aber nicht umsonst hohe Hürden für staatliche Maßnahmen gesetzt, die eine Vielzahl Unbeteiligter betreffen. Zudem sorgten solche Maßnahmen in der Regel für ein ungutes Gefühl des Überwachtwerdens. Nicht zuletzt deshalb habe der DAV schon mehrfach vor Initiativen zu Gesichtserkennung und biometrischer Überwachung gewarnt.

Anja Hirschel, Spitzenkandidatin der Piratenpartei Deutschland für die Europawahl Anfang Juni, hat derweil eine offizielle Beschwerde bei der Berliner Datenschutzbeauftragten Meike Kamp gegen den Einsatz biometrischer Gesichtserkennung durch die Polizei in der Hauptstadt eingereicht. Sie spricht von willkürlicher Massenüberwachung, die einen direkten Angriff auf die bürgerlichen Freiheiten und eine unverhohlene Verletzung der Datenschutzrechte der Bevölkerung darstelle und beendet werden müsse.

Die Technologie sei "fehleranfällig und diskriminierend", kritisiert Hirschel. Sie könne unschuldige Bürger falsch identifizieren und so zu ungerechtfertigten polizeilichen Übergriffen führen. Gesichtsüberwachung dürfe keinesfalls zum Standardfahndungsmittel werden.

Die Debatte wird verschärft durch einen Vorstoß des Bundeskriminalamts (BKA), mit dem es Millionen Gesichtsbilder aus dem zentralen polizeilichen Informationssystem INPOL-Z extrahiert und dem Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung (IGD) für Tests überlassen hat. Dieses hat damit das Gesichtserkennungssystem der Wiesbadener Behörde ertüchtigt. Für Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linken, steht dieser Vorgang "exemplarisch für den Umgang der Sicherheitsbehörden mit den Anforderungen des Datenschutzes". Entweder werde die entsprechende Aufsicht gar nicht eingebunden, deren Zuständigkeit bestritten oder das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage geleugnet. Die Politikerin verlangte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk (BR) Auskunft darüber, "ob im Vorfeld bei den Betroffenen eine Zustimmung eingeholt wurde und wer für diesen fragwürdigen Test die Verantwortung trägt".

Der Vorsitzende des Bunds deutscher Kriminalbeamter (BdK), Dirk Peglow, unterstrich gegenüber dem Sender indes: "Wir sind als Polizei darauf angewiesen, moderne Technologien zu nutzen, um den Bedrohungen für unsere Gesellschaft durch vielfältige Kriminalitätsphänomene zu begegnen." Dafür müssten Befugnisse, sofern sie noch nicht vorhanden sind, schnellstmöglich geschaffen werden. Die Ermittler bräuchten IT-Anwendungen, um Straftaten verhindern und aufklären zu können. Der Datenschutz müsse dabei natürlich beachtet werden, dürfe aber "nicht zum Täterschutz werden". Das BKA sieht in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) eine ausreichende Rechtsbasis für die Probe, der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber ist anderer Ansicht.

(bme)