"3 Body Problem": Wenn das Universum zwinkert, verheißt das nichts Gutes

Mit der Trisolaris-Trilogie hat Cixin Liu Chinas Science-Fiction weltberühmt gemacht. Netflix bringt die auf den Bildschirm und bleibt dem Original dabei treu.

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Bewaffnete Frau, die vor drei Sonnen schwebt

(Bild: © 2023 Netflix, Inc.)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Wie in der Buchvorlage beginnt die Geschichte in der neuen Netflix-Serie "3 Body Problem" damit, dass eine junge chinesische Forscherin mitansehen muss, wie ihr Vater vor jubelnden Menschen zu Tode geprügelt wird. Wir schreiben die Chinesische Kulturrevolution und Ye Wenjie fällt deshalb vom Glauben an die Menschheit ab. Jahre später nutzt sie eine sich ihr bietende Gelegenheit, um mit einem Radioteleskop stärker ins All zu funken als je ein Mensch zuvor. Das setzt eine Kette von Entwicklungen in Gang, die unaufhaltsam scheint und die größte Gefahr der Menschheit heraufbeschwört.

Anders als in dem zugrundeliegenden Buch von Cixin Liu wechselt die Handlung in der Serie danach von China nach Großbritannien. Abgesehen davon bleibt sie aber inhaltlich eng am Original, lediglich die zentralen Figuren stammen nun aus Europa. Dort und im Rest der Welt nehmen sich Jahrzehnte nach den verhängnisvollen Ereignissen in China plötzlich Forscher und Forscherinnen offenbar aus tiefer Verzweiflung das Leben. Alle Teilchenbeschleuniger der Erde liefern nur noch sinnlose Daten und die Grundlagenforschung steht vor dem Aus. Auf einer Beerdigung trifft sich eine Gruppe von Oxford-Alumni, ihnen wird schon bald eine zentrale Rolle zufallen, genauso wie dem Geheimdienstler Da Shi (Benedict Wong), der die Todesfälle in der Forschung untersucht.

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Vor allem zu Beginn der achtteiligen Serie häufen sich Begebenheiten, die auch das Publikum im Unklaren darüber lassen, was hier eigentlich vor sich geht. Da zwinkert das Universum – nicht nur – einer erfolgreichen Wissenschaftlerin zu, da verschwinden Personen von Überwachungsaufnahmen, da werden Forschende von allgegenwärtigen Countdowns in den Wahnsinn getrieben, da spielt hochmoderne Technik verrückt, da sorgt ein geheimnisvolles VR-Spiel für Aufregung. Wie in der Buchvorlage können die Vorkommnisse aber wenig später erklärt werden, während sich die Hintergründe immer weiter herausschälen. Es wird deutlich, dass die Menschheit in großer Gefahr ist. Aber noch bleibt ihr zumindest Zeit.

"3 Body Problem" gelingt es, den Geist der Vorlage einzufangen und nach jeder Folge Neugier auf die nächste zu wecken. Die Handlung kommt rasch voran, an manchen Stellen möglicherweise zu schnell für jene, die das Buch nicht gelesen haben. Dadurch kommt es an keiner Stelle zu Längen – wer die nötige Zeit hat, wird die acht Folgen am Stück schauen. Zurückbleiben danach grundlegende Fragen dazu, was erlaubt ist, wenn es um die Rettung der Menschheit vor einem anscheinend übermächtigen Feind geht. Die Serie selbst hält sich mit diesen Fragen nicht auf.

Die erste Staffel – eine weitere ist bislang nicht angekündigt – deckt etwa das erste Buch der sogenannten Trisolaris-Trilogie ab. Hier gibt es trotz der konkreter werdenden Bedrohung genug Platz für Optimismus. In den Büchern weicht der erst später jenem Gefühl der Ohnmacht und der Ausweglosigkeit, das die Werke von der Konkurrenz abhebt. Aber auch zu Beginn klappt schon nicht alles und es gibt bereits Momente, deren Endgültigkeit den Atem nehmen. Während die Macher bei ihrem vorherigen Erfolg "Game of Thrones" das Problem hatten, dass ihnen irgendwann das Ausgangsmaterial ausging, besteht die Gefahr hier nicht. Cixin Liu hat sein Epos längst fertig.

"3 Body Problem" auf Netflix (17 Bilder)

(Bild: © 2023 Netflix, Inc.)

Auch wenn die Geschichte und die sich herausschälende Gefahr für die Menschheit immer größer wird, bleibt der Fokus der Serie durchgehend bei ziemlich wenigen Personen. Das hilft dabei, den Überblick zu behalten und ist sicher dem Format geschuldet, wirkt aber etwas beengt. Außerdem nimmt sich "3 Body Problem" wenig Zeit, um die teils weitreichenden Entscheidungen zu hinterfragen, oder gar mögliche Alternativen zu erörtern. Das Publikum bekommt nur Ergebnisse präsentiert. Dabei bieten die Geschehnisse so viele Möglichkeiten für Debatten.

Im Nachwort zum ersten Trisolaris-Roman weist Cixin Liu auf den seltsamen Widerspruch hin zwischen der Gutherzigkeit, die die Menschen dem Universum gegenüber an den Tag legen und der Bösartigkeit, die sie einander entgegenbringen. Er plädiert dafür, diese Freundlichkeit stattdessen der Menschheit vorzubehalten und das Universum außerhalb des Sonnensystems immer wachsam im Auge zu behalten. Möglichen Anderen sollten wir "jederzeit die schlimmsten Intentionen unterstellen", das wäre sicherer. Das macht nun auch die Serie auf Netflix und regt damit einmal mehr Diskussionen über diese grundpessimistische Weltsicht an. Diese Ansicht wird in den Büchern später noch weiter ausgearbeitet.

Die Trilogie hat Cixin Liu weltbekannt gemacht, inzwischen ist eine ganze Reihe seiner Werke übersetzt. Die Adaption von Netflix ist nur eine von mehreren, aber mit Sicherheit die am meisten erwartete Verfilmung des Materials. Bereits im Herbst 2020 hatte der Streamingdienst angekündigt, dass das erfolgreiche Produzenten-Duo David Benioff und D.B. Weiss daraus eine Serie machen will. Beide haben die Romanreihe "Das Lied von Eis und Feuer" von George R. R. Martin zum Fantasy-Kracher "Game of Thrones" adaptiert, ihr Kollege Alexander Woo mit "The Terror" das gleichnamige Buch von Dan Simmons. Bereits im Januar 2023 hat der chinesische Videostreaming-Anbieter Tencent eine eigene Adaption veröffentlicht, eine animierte Fassung gibt es von der chinesischen Videoplattform Bilibili.

Alle jeweils etwa eine Stunde langen Folgen von "3 Body Problem" sind seit Donnerstag auf Netflix verfügbar. Wie bei dem Streaming-Dienst üblich gibt es die direkt in verschiedenen Synchronisationen (insgesamt 17) plus mehrere mit einer Audiodeskription, auch zwei Fassungen komplett in deutscher Sprache gehört dazu. Anders als im englischen Original ist diese fast komplett einsprachig und auch während der längeren Handlungsabschnitte in China wird durchgehend Deutsch gesprochen. In der Originalfassung hört man hier Chinesisch und die Übersetzung gibt es lediglich als Untertitel. Für die Rezension konnten alle Folgen vorab angesehen werden.

(mho)