zurück zum Artikel

30 Jahre "Rebel Assault": Genau wie im Kino!​

Paul Kautz

(Bild: LucasArts)

1993 war das wichtigste Jahr für das noch junge neue Medium der CD-ROM – auch dank "Star Wars: Rebel Assault".

1993 – was für ein Kracherjahr für die Spielebranche! Denn es brachte uns Meilensteine wie "Syndicate", "Strike Commander", "Doom", "Day of the Tentacle", "Virtua Fighter", "Ridge Racer" oder "Mortal Kombat 2" – die Liste ließe sich noch sehr lange fortsetzen. Genauso wichtig ist aber, dass in diesem Jahr drei Spiele erschienen, die der CD-ROM endlich zu ihrem wohlverdienten Durchbruch verhalfen: Die beiden Puzzler "The 7th Guest" und "Myst" [1] – sowie der Actiontitel "Star Wars: Rebel Assault", der den Pomp und die Faszination von "Star Wars" endlich auf heimische Röhrenmonitor brachte.

"Die Vorgaben für das Spiel waren sehr überschaubar: Es musste auf Star Wars basieren und es musste die CD-ROM nutzen", sagte Chefentwickler Vince Lee im Gespräch mit dem Spielemagazin Retro Gamer zu den Wurzeln von "Rebel Assault". Zu Beginn des Projekts setzte niemand große Hoffnungen darauf, die ersten Prognosen rechneten mit vielleicht 15.000 verkauften Exemplaren – auf Lebenszeit. Diese Prognosen stellten sich dann schnell als minimal daneben heraus, letztlich sollte sich Rebel Assault mehr als zwei Millionen Mal verkaufen. Aber wo kam dieses Spiel denn her, das unter dem irre kreativen Namen "Star Wars 3D" entwickelt wurde und heute nicht nur als absoluter Klassiker des Genres sowie als einer der wichtigsten Geburtshelfer des CD-ROM-Formats gilt?

"Star Wars: Rebel Assault" wird 30 (0 Bilder) [2]

[3]

Der wichtigste Name in diesem Zusammenhang ist Vincent "Vince" Lee, was schon dadurch deutlich wird, dass er einem direkt von der Frontseite der Spielverpackung entgegenspringt. Vince, der 1991 als Amiga-Programmierer bei LucasArts anheuerte, war Programmierer und Chefdesigner von "Rebel Assault" in Personalunion. Das ist etwas ironisch, wenn man bedenkt, dass er bis zu seiner Anstellung bei der Lucas-Firma laut eigener Aussage mit "Star Wars" nicht besonders viel am Hut hatte. Was er dagegen sehr mochte, war sein Amiga und die darauf laufende "Imagine"-3D-Rendersoftware, mit der er, erst mal nur zum Spaß eine simple Variante des berühmten Todessterngrabens animierte, diese im Büro präsentierte und damit den Grundstein für "Rebel Assault" legte.

Die Wurzeln der Entwicklung lagen bei der LucasArts-Partnerfirma JVC, die für die damals in den Startlöchern stehenden CD-Konsolen von Sega, Nintendo, Commodore und Fujitsu ein Spiel haben wollten, bei dem man mit "Star Wars"-Vehikeln über Landschaften fliegt. Das war die komplette Vorgabe, auf deren Basis JVC seinen Teil zur Finanzierung beitragen wollte. Kelly Flock, der damalige General Manager von LucasArts, gab die Anweisung, das Spiel auf dem PC zu entwickeln, um a.) die Portierungen zu erleichtern und b.) später selbst noch ein Spiel vertreiben zu können.

Damit das Spiel auch auf Singlespeed-CD-Laufwerken lief, mussten die Hintergrundvideos extrem stark komprimiert werden. In Bewegung sieht das noch okay aus - auf Standbildern dagegen erkennt man kaum noch Details.

(Bild: LucasArts)

Neben Vince bestand das Kern-Entwicklungsteam aus gerade mal fünf weiteren Personen: einem weiteren Programmierer (Justin Graham), einer Produzentin/Aufnahmeleiterin (Tamlynn Barra) sowie drei 3D-Grafikern (Ron Lussier, Richard Green und Dan Colon). Diese sechs waren gut ein Jahr lang damit beschäftigt, das Effektwunder "Star Wars" auf heimische Bildschirme zu bringen – was mit den damals noch üblichen 3.5"-Disketten und ihrem begrenzten Speicherplatz von gerade mal 1.44 Megabyte als unmöglich galt. Diese brandneue "CD-ROM" mit ihren mathematisch kaum erfassbaren 650 MB pro Glänzescheibe war die Lösung. Leider hatten frühe Laufwerke ein ganz anderes Problem, und das nannte sich "Singlespeed", was übersetzt eine Datenübertragungsrate von etwa 150 KByte pro Sekunde bedeutete. Wie bekommt man das Krachbumm von "Star Wars" nun von der großen Leinwand in diesen winzig kleinen Datenstrom?

Die Antwort darauf lautet: extrem fortschrittliche Komprimierung. Denn anders als beim ein paar Monate zuvor veröffentlichten "X-Wing" wurde in "Rebel Assault" die Umgebungsgrafik nicht etwa in Echtzeit berechnet, sondern vorab als 3D-Animation gerendert und von der CD quasi als Film abgespielt, über den dann zur Situation passende 2D-Sprites gelegt wurden. Allerdings setzte die mickrige Datenübertragungsrate der damals üblichen CD-Laufwerke dem möglichen Detailgrad eklatante Grenzen, weswegen die "Levelfilme" stark komprimiert werden mussten, damit auch auf Singlespeed-CD-Systemen eine Framerate von 15 Bildern pro Sekunde möglich war. In Bewegung sieht das auch ehrlicherweise gar nicht mal so furchtbar aus, auf Standbildern hingegen erinnert "Rebel Assault" die meiste Zeit über an mehr oder weniger hellen Matsch.

Zu seinem Release Ende November 1993 wurde Rebel Assault von der damaligen Spielepresse fast universell mit dem höchsten Lob überschüttet: 12/12 Punkten gab’s im ASM 1/94, zusammen mit den Auszeichnungen "Highlight des Monats" und "ASM Megahit". 91Prozent erhielt das Spiel sowohl in der gleichzeitig erschienenen PC Games als auch in der PC Player, 87 Prozent in der Power Play. Eigentlich geht es sehr viel schneller, die wenigen Testberichte aufzuzählen, die vom Spiel nicht so angetan waren – da sticht die Februar-94-Ausgabe der britischen Edge mit ihren 5/10 Punkten heraus. Was war es denn, das die Testermassen im Allgemeinen derart aus ihren Hosen hüpfen ließ?

Man muss ganz ehrlich sein: Es war die Grafik. "Rebel Assault" sah besser aus als jedes andere Spiel. Viel zu gut für die damalige Zeit. Es war "Star Wars" für zuhause. Es bot sogar direkt aus dem ersten Film digitalisierte Szenen. Etwas, das heute mit jedem Smartphone erledigt werden könnte, aber damals ein extrem aufwendiger und zeitfressender Prozess war. Laut Vince lieferte eine Laserdisc des Films das Ausgangsmaterial: Aus den gewünschten Szenen grabbte das Grafikteam händisch einen Screenshot nach dem anderen und bearbeitete sie gezielt nach, wodurch sie dann quasi als Slideshow abgespielt werden konnten.

Aber es waren vor allem die Bilder, die man innerhalb der Levels zu sehen bekam, die Co-Tester Thomas Werner in der PC Player 1/94 zu Aussagen wie "Wer dieses Spiel nicht mit offenem Mund anstaunt, muss ein ziemlich abgehärteter Bursche mit Virtual-Reality-Supercomputer im Keller sein!" inspirierten. An Bord eines Snowspeeders, A-Wings oder W-Xings zerlegt man hier einen Sternenzerstörer, bringt einen monströsen AT-AT-Walker zu Fall, bekämpft TIE Fighter innerhalb eines Asteroidenfelds, durchquert auf der Jagd nach imperialen Suchdrohnen eine schummrige Eishöhle – und findet sich ganz zum Schluss im berüchtigten Graben des Todessterns wieder, wo man sich nicht nur mit TIE Fightern und Lasergeschützen anlegt, sondern natürlich auch den Namensgeber mit einem gut gezielten Torpedo in Milliarden Einzelteile zerlegt. Es gibt sogar eine Bodenmission, in der man höchstpersönlich durch eine Basis rennt und die dort befindlichen Sturmtruppler von dannen blastert. Für spielerische Abwechslung war also grundsätzlich mehr als gesorgt.

Das eine große Problem, das "Rebel Assault" damals schon hatte ist, dass diese spielerische Abwechslung nur an der Oberfläche existiert. Inhaltlich ist das Spiel so leer wie Darth Vaders Geburtstagskiste. Dadurch, dass im Hintergrund immer nur ein Film abgespult wird (immerhin inklusive gelegentlicher Verzweigungen, die fließend ineinander übergehen), sind die Interaktionsmöglichkeiten extrem eingeschränkt. Im Grunde steuert man immer nur eine mehr oder weniger ausdefinierte Version eines Fadenkreuzes über den Bildschirm und entfernt damit über dem Hintergrundfilm eingeblendete Gegner oder Hindernisse aus dem Bild, während die Flugbahn im Großen und Ganzen vorgegeben ist und nur minimal beeinflusst werden kann. Heutzutage würde man "Rail-Shooter" dazu sagen, aber damals war dieser Begriff noch nicht verbreitet.

Aber das "Spiel" an sich war es auch nicht, das seinerzeit die Tester und Kunden derart in Verzückung geraten ließ. Es war schon immer die Erfüllung der heißesten Nerd-Träume, endlich mal selbst Luke Skywalker sein zu können. Okay, es gibt hier keine Jedi und auch keine Lichtschwerter. Von C-3PO, R2-D2 und Darth Vader abgesehen bekommt man auch keinen der üblichen Verdächtigen zu Gesicht. Und dennoch schaffte es "Rebel Assault" erstmals überzeugend, das richtige "Star Wars"-Feeling auf die heimischen Monitore zu zaubern. Dazu nimmt es sich in seinen 15 kurzen Kapiteln einige der bekanntesten Actionszenen der ersten beiden Star-Wars-Filme (bzw. Teil 4 und 5, je nach Betrachtungsweise) und steckt den Spieler in die Heldenrolle von "Rookie One". Man kann zwar das Geschlecht auswählen, aber weder optisch noch spielerisch macht das den geringsten Unterschied. Lediglich die Sprachausgabe ändert sich. Im Grunde spielt man Luke – er heißt nur anders.

Einzelne Figuren wie Darth Vader oder C-3PO kennt man aus den Filmen, aber es gibt kein Wiedersehen mit Luke, Han oder Leia.

(Bild: LucasArts)

Deswegen ist "Rebel Assault" auch kein offizieller Teil des Star-Wars-Kanons, sondern steht spielerisch und inhaltlich auf eigenen Beinen. Die 15 Missionen sind durch eine simple Handlung lose miteinander verbunden, in der man es mit neuen, speziell für "Rebel Assault" erschaffenen Charakteren wie Commander Ru Murleen, Commander Jake Farrel, Captain Merrick Simms oder Rekrut Thurlow Harris zu tun bekommt.

1993 war das Jahr der großen PC-Revolution – Spiele wie "Doom" oder "Strike Commander" machten überdeutlich, wieso man ohne einen 486er-Prozessor mit mindestens 50 MHz einfach nicht mehr leben wollte. "Rebel Assault" dagegen gab sich mit einem extrem bescheidenen 386er mit 33 MHz zufrieden. Wie konnte das klappen? Die Antwort ist einfach: Das System musste lediglich Videos dekomprimieren und Joystickeingaben verarbeiten können, es gab keine aufwendigen Texturen oder schattierte Polygone zu berechnen.

Sehr viel wichtiger als die Prozessorgeschwindigkeit war eine im PC steckende Soundkarte, die mit Digitalsamples umgehen konnte. Denn "Rebel Assault" war auch ein Pionier im Bereich der digitalen Soundtracks: Hier ertönt kein Midi-Gedudel, es laufen keine .mod-Files, auch das aus "X-Wing" oder "Monkey Island 2" bekannte iMUSE-System von LucasArts kommt nicht zum Einsatz. Stattdessen dröhnt der originale Star-Wars-Soundtrack aus den Fingern von John Williams aus den Boxen, digitalisiert von Vince Lee persönlich. Dazu noch Original-Soundeffekte von Skywalker Sound sowie professionell klingende Sprecher, die auch in der hierzulande über Softgold veröffentlichten Fassung der englischen Zunge treu blieben – bei uns gab’s nur eingedeutschte Untertitel zu lesen.

Wenig überraschend entpuppt sich "Rebel Assault" als Megahit: Aus den ursprünglich angepeilten 15.000 Verkaufsexemplaren wurden allein innerhalb der ersten drei Tage mehr als 100.000. Noch dazu wurde das Spiel mit vielen der damals frisch veröffentlichten Doublespeed-Laufwerke (300KB/s, woohoo!) im Bundle veröffentlicht, was die Verkaufszahlen in Richtung weit, weit entfernter Galaxien schießen ließ.

Kein Wunder also, dass das Spiel nicht nur auf weitere Plattformen wie das Mega-CD oder das 3DO portiert wurde, sondern Ende 1995 mit "Rebel Assault 2: The Hidden Empire" auch einen offiziellen Nachfolger erhielt. Auch wieder unter der steuernden Hand von Vince Lee entwickelt, gab es jetzt sehr viel aufwendigere SVGA-Grafik und abwechslungsreichere Missionen, bei denen unter anderem Speederbikes und der Millennium Falcon zum Einsatz kamen. Außerdem wurden für dieses Spiel erstmals seit "Die Rückkehr der Jedi-Ritter" wieder von George Lucas freigegebene Star-Wars-Filmszenen gedreht, unter der Regie des "Indiana Jones and the Fate of Atlantis"-Veteranen Hal Barwood. Das Spielprinzip blieb gleich, das Ganze war aber schöner, spielbarer, umfangreicher, insgesamt spürbar besser und leider zwei Jahre zu spät. "Rebel Assault 2" war zwar das ausgefeiltere Spiel, aber die große Masse hat’s schon nicht mehr interessiert – die Zeit der "interaktiven Filme" war schon wieder vorbei.

Inhaltlich betrachtet hat "Rebel Assault" keine bedeutenden Spuren in der Geschichte der Videospiele hinterlassen: Es ist sehr kurz, zum Teil sackschwer, läuft immer gleich ab und beschränkt seine Interaktivität auf wenige zappelige Joystickeingaben. Und durch die damals notwendige starke Videokomprimierung ist es auch optisch nicht gut gealtert. Und dennoch hat es zu seinem 30. Geburtstag eine Ehrung mehr als verdient. Denn es hat der CD-ROM zum Durchbruch verholfen und damit ganz offiziell das Multimedia-Zeitalter eingeläutet: Die CD führte zur DVD, führte zur Blu-ray, führte zum Streaming, führte zur Spielelandschaft, die wir heute als selbstverständlich wahrnehmen. Und der Nicht-ganz-Luke-Skywalker-Held "Rookie One" war ein elementarer Teil dieser Entwicklung.

"Rebel Assault" und seinen Nachfolger erhält man heute auf Steam [4] oder GOG [5] im Paket hinterhergeschmissen – und alleine der historischen Bedeutung wegen sollte man sich die Spiele wirklich mal angesehen haben.

(dahe [6])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9535874

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/hintergrund/Myst-wird-30-Das-Grafik-Adventure-das-ein-Genre-zerstoerte-9314701.html
[2] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_9536026.html?back=9535874;back=9535874
[3] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_9536026.html?back=9535874;back=9535874
[4] https://store.steampowered.com/app/456540/STAR_WARS_Rebel_Assault_I__II/
[5] https://www.gog.com/de/game/star_wars_rebel_assault_1_2
[6] mailto:dahe@heise.de