Ausnahme-Rollenspiel: Warum "Baldur's Gate 3" so ungewöhnlich ist

"Baldur's Gate 3" wird von RPG-Fans zu Recht gefeiert. Möglich wurde Larians Geniestreich dank drei Jahren Early Access – und dem eigenwilligen Studiochef.

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(Bild: Larian Studios)

Lesezeit: 5 Min.

Die belgischen Larian Studios sind der neue Darling der Einzelspieler-Fans: Nach herausragender Arbeit an den "Divinity"-Spielen gelingt Larian mit "Baldur's Gate 3" der Durchbruch in den Mainstream – mit einem Spiel, das eigentlich so gar nicht massentauglich ist. Kein Wunder, dass die Entwickler vom sensationellen Erfolg ihres Ausnahme-Rollenspiels selbst überrumpelt wurden.

"Baldur's Gate 3" ist ein Koloss von einem Videospiel. Wie viele Stunden man wirklich in einen Durchlauf steckt, dürften so kurz nach dem Launch nur die Wenigsten wissen. Larian selbst spricht von etwa 100 Stunden, die sich aber auch schonmal auf 200 Stunden ausstrecken können. Laut Larian umfasst das Spiel 174 Stunden alleine an Cutscenes. Mehrfaches Durchspielen ist aufgrund der riesigen Breite an Entscheidungen und Herangehensweisen unbedingt geboten.

Mit seinen DnD-Systemen samt Würfeln, Rüstungsklassen und Skill-Checks richtet sich "Baldur's Gate 3" eigentlich an Leute, die zumindest annähernd so nerdig sind wie Larians Studiochef Swen Vincke. Viele haben es in den vergangenen Jahren probiert, Tabletop-Rollenspiele als Videospiel zu übersetzen: Owlcat mit "Pathfinder", Obsidian mit "Pillars of Eternity", Tactical Adventures mit "Solasta" – alles ordentliche Spiele, die am Gaming-Mainstream aber deutlich vorbeischrammten. Und nun fesselt ausgerechnet die Fortsetzung eines 23 Jahre alten Videospiels Hunderttausende vor den PC-Bildschirm.

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Das liegt auch an den Ressourcen von Larian. Die Belgier sind längst kein Provinzstudio mehr, das aus irgendeinem Genter Hinterhof Spiele zusammendeichselt. Durch die "Divinity"-Spiele konnte Larian schon Erfolge mit rundenbasierten PC-Rollenspielen sammeln – und genug Einnahmen generieren, um die sechsjährige Entwicklung von "Baldur's Gate 3" zu stemmen. Für "Divinity: Original Sin 2" musste sich Larian noch auf eine Kickstarter-Kampagne stützen. Das Rollenspiel spielte dann alleine in seinem ersten Jahr 85 Millionen US-Dollar ein. Die Zeit der Kickstarter-Kampagnen war damit für Larian vorbei.

Finanziert wurde "Baldur's Gate 3" auch durch die Einnahmen aus dem Early Access. Drei Jahre konnten DnD-Anhänger "Baldur's Gate 3" schon vorab kaufen, um stetig aktualisierte Testversionen des ersten Spielakts auszuprobieren. Sie legten also ihr Geld und ihre Zeit aus, um praktisch als unbezahlte QA-Tester ein unfertiges Spiel auf Herz und Nieren zu prüfen – ein Vertrauensvorschuss, den sich Larian bereits mit der Entwicklung von "Divinity: Orginal Sin 2" verdient hat. Auch dieses Rollenspiel wurde nach der Kickstarter-Phase lange im Early Access getestet, bevor es 2017 schließlich auf den Markt kam und sowohl die Early-Access-Unterstützer als auch die Kickstarter-Backer vollends überzeugte.

Das Early-Access-Modell hat für Larian nicht nur finanzielle Vorzüge. Wichtig ist auch das Feedback und die Fehlermeldungen der frühen Spieler. Trotz seines absurden Komplexitätsgrades hat "Baldur's Gate 3" daher zum Launch weniger Bugs als viele konkurrierende Titel.

Obwohl sich "Baldur's Gate 3" mit dem Early-Access-Konzept noch am Playbook der kleinen Indie-Studios bedient, hat das Spiel Triple-A-Format. Denn Larian hat das Personal massiv aufgestockt, 450 Mitarbeiter arbeiteten in sechs Ländern an "Baldur's Gate 3". Der Studiochef legt Wert auf Qualität: Swen Vincke ist ein Überzeugungstäter, der sich nicht hinter Sekretären und Schreibtischen versteckt, sondern regelmäßig mit albernen Kostümen in Livestreams und Community-Updates auftaucht. Er steht mit seiner Glaubwürdigkeit für ein Studio, bei dem die Freude am Spielen im Mittelpunkt zu stehen scheint.

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"Baldur's Gate 3" ist damit ein seltener Gegenentwurf zu den wirtschaftlich durchoptimierten Live-Service-Geldpressen, die bei anderen großen Studios hoch im Kurs stehen: Es gibt keine Mikrotransaktionen, keine Lootboxen, keine DLC-Auswüchse. Wer das Spiel kauft, bekommt das komplette Spiel. Balsam für die Einzelspieler-Seele, die zuletzt etwa durch das Abbiegen der "Diablo"-Reihe ins Reich der Battle-Pass-Spiele gelitten hat.

Diese Fairness hat Larian viele Sympathiepunkte und wohlwollende Bewertungen aus der Community eingebracht. In den vergangenen Tagen ist ein Hype in den sozialen Medien entstanden, der Videospielfans besser erreichen dürfte als jede Marketing-Kampagne. Und er hilft, über die trotz allem noch vorhandenen Technik-Baustellen milde hinwegzublicken. Gute Arbeit und ein faires Geschäftsmodell können sich auszahlen – auch wenn reine Einzelspieler-Titel nicht das finanzielle Potenzial von Online-Spielen wie "Fortnite", "FIFA" und "Diablo 4" haben.

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Der Weg von Larian erinnert an CD Projekt, ein weiteres europäisches Studio, das sich mit kleineren Überraschungshits nach oben arbeitete und sich schließlich auf den Massenmarkt spielte. CD Projekt gelang der große Durchbruch mit "The Witcher 3", Larian nun mit "Baldur's Gate 3". Das Studio hat eine große Zukunft – und möchte dabei unabhängig bleiben, verspricht Vincke im Gespräch mit Bloomberg. Eine Übernahme komme nicht infrage: "Ich werde älter, aber ich bin auf jeden Fall noch nicht fertig." Nicht nur für Rollenspiel-Freaks ist das eine gute Nachricht.

Siehe auch:

(dahe)