Big Techs neue Bescheidenheit: Durchwachsene Bilanzen, steigende Kurse

Die Bilanzen für das abgelaufene Geschäftsjahr offenbaren bei den Big Tech eine ungewohnte Verwundbarkeit. Trotzdem sind Meta, Google und Co stark gestartet.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Kumamoto,,Japan,-,May,29,2020,:,Gafam,Apps,On

(Bild: Koshiro K / Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Nils Jacobsen
Inhaltsverzeichnis

Der Pessimismus war groß. Nach einem Horrorbörsenjahr 2022, in dem die wertvollsten Technologiekonzerne der Welt so massiv an der Wall Street abgestürzt waren wie seit 2008 nicht mehr, begann 2023 im veritablen Krisenmodus. "Es wird ein hartes Jahr in der Technologiebranche", machte etwa Hedgefondsmanager Dan Niles eine düstere Prognose für die erfolgsverwöhnte IT-Industrie. Die Massenentlassungen, die in den vergangenen Wochen fast im Tagesrhythmus von den größten Tech-Unternehmen der Welt verkündet wurden, machten die Sache nur noch dramatischer: Erstmals seit eineinhalb Jahrzehnten schien Big Tech die Grenzen des Wachstums erreicht zu haben.

Die jüngste Berichtssaison, die in diesen Tagen endet, bestätigt eine seit der großen Finanzkrise in den Nullerjahren nicht mehr gesehene Verwundbarkeit. Selbst die Wunderkonzerne aus dem Silicon Valley müssen den herausfordernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bestehend aus hoher Inflation, einem starken Dollar und immer weiter anziehenden Leitzinsen Tribut zollen.

Und wie: Erstmals seit 2019 wieder musste Platzhirsch Apple eine rückläufige Entwicklung sowohl des Konzernergebnisses als auch der Umsätze bekannt geben. Während die Erlöse im Schlussquartal des Kalenderjahres 2022 um 5 Prozent nachgaben, reduzierte sich der Nettogewinn gar um 14 Prozent – ein Rückgang von fast 5 Milliarden Dollar auf knapp 30 Milliarden Dollar. Es war der größte Gewinneinbruch seit 2016.

Schuld an der Kontraktion der Geschäftstätigkeit ist ausgerechnet die Lebensversicherung des Kultkonzerns aus Cupertino: Die iPhone-Sparte schwächelt gehörig. Die Erlöse gaben um gleich 8 Prozent nach, weil Apple mit Produktionsschwierigkeiten in China zu kämpfen hatte. Ohne die Engpässe in der Lieferkette wäre der iPhone-Absatz nicht eingebrochen, betonte Apple-CEO Tim Cook in der Analystenkonferenz.

Doch der Branchenprimus ist mit seinen Wachstumsproblemen kein Einzelfall. Auch bei allen anderen Big-Tech-Werten gaben die Gewinne im vierten Quartal des vergangenen Jahres nach – und das zum Teil sehr deutlich. Bei Microsoft sank das Konzernergebnis um 12 Prozent, bei Alphabet gar um 34 Prozent, während es bei Meta und Amazon mit einem Minus von 55 respektive 97 Prozent regelrecht implodierte. Beim E-Commerce-Pionier hatte eine Wertberichtigung an der Beteiligung am Elektroauto-Bauer Rivian daran allerdings maßgeblichen Anteil.

Enorme 34 Milliarden Dollar weniger haben die fünf GAFAM-Giganten (namensgebend: Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft) im Schlussvierteljahr verdient als noch im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Allein bbei den Ums#tzen verzeichnen die Big Techs mitunter noch Wachstum – wenn auch höchstens im einstelligen Bereich. Amazon konnte die Erlöse im vierten Quartal noch um 9 Prozent steigern, bei Microsoft und Alphabet waren es gerade noch 2 beziehungsweise 1 Prozent Umsatzwachstum, während die Erlöse bei Meta um 4 Prozent zurückgingen.

"Verlangsamen sich die Dinge? Natürlich, das wurde in die Entwicklung der Techaktien aber bereits eingepreist", ordnet Techanalyst Dan Ives von der Investmentbank Wedbush die Bilanzen der US-amerikanischen Vorzeige-Techkonzerne ein. "Die Geschäfte bei Microsoft, Apple, Amazon usw. entwickeln sich langsamer, aber sie fallen nicht von der Klippe, wie es sich die Bären erhofft hatten", fasst Ives die Reaktion der Wall Street auf die neuen Zahlenwerke von Big Tech zusammen.

Tatsächlich notieren Anteilsscheine aller Big-Tech-Konzerne mit Ausnahme von Alphabet, das unter der jüngsten AI-Panne leidet, seit Jahresbeginn zweistellig im Plus: Aktien von Microsoft haben in den vergangenen knapp eineinhalb Monaten um 10 Prozent zugelegt, was sicherlich auch dem Hype um Kooperationspartner OpenAI geschuldet ist. Anteilsscheine von Amazon liegen um 14 Prozent vorne, während Apple trotz der rückläufigen Geschäftsentwicklung an der Wall Street 2023 um 20 Prozent höher notiert. An die Spitze der GAFAM-Performance hat sich unterdessen der Verlierer des Vorjahres geschoben: Die Meta-Aktie hat seit Anfang Januar gar um 43 Prozent an Wert gewonnen.

Wie passt das zusammen: eine stagnierende beziehungsweise gar rückläufige Geschäftsentwicklung, dafür aber deutlich anziehende Kurse an den Kapitalmärkten? "Tech-Bären vor sechs Monaten: Die Welt geht zu Ende, und wir erleben eine harte Landung mit S&P von 3000 Punkten. Tech-Bären vor einem Monat: Achten Sie auf eine katastrophale Tech-Gewinnsaison und eine restriktive US-Notenbank. Tech-Bären heute: Die Bewertungen sind zu hoch. Meine Ansicht bleibt: Tech-Aktien haben stark überkorrigiert", erklärte Wedbush-Analyst Ives die diametrale Entwicklung zwischen den Bilanzen und der Börse.

Das gleiche meint Mark Mahaney, Analyst beim Investmentbanking-Beratungsunternehmen Evercore ISI. "Man braucht gar nicht viele gute Nachrichten, damit die Aktien eine Outperformance erzielen", sagte Mahaney der New York Times: "Die Leute wollten wieder hinein, und sie wollten herausfinden, wann man sicher durchs Wasser waten kann."

Vor allem die Massenkündigungen der vergangenen Wochen haben eine maßgebliche Rolle bei der Befriedung der Wall Street gespielt, die in konjunkturell schwierigen Zeiten stets auf Kostensenkungen schielt. "Die Tech-Giganten sind für eine raue Wirtschaft gut aufgestellt. Sie haben Kürzungen vorgenommen, einschließlich beträchtlicher Entlassungen lange vor anderen Branchen. Und die Erwartungen des Marktes an sie sind so weit gesunken, dass sie in der Lage sein sollten zu liefern", erklärt Technologiereporter Alex Kantrowitz.

Das Mantra der Austerität haben die Big-Tech-CEOs sogar wortwörtlich in ihrem Ausblick auf die weitere Geschäftsentwicklung aufgenommen. "2023 wird zum 'Jahr der Effizienz'", kündigte etwa Meta-CEO Mark Zuckerberg an. Ähnliche Töne schlug auch Netflix an. "Unsere Leitlinie besteht darin, unsere Mitglieder zu erfreuen und größere Profitabilität zu schaffen", verschrieb sich der Streaming-Pionier ebenfalls einer neuen Kostendisziplin, die offensichtlich eben nicht nur die ganz großen Unternehmen trifft.

Es sind ungewohnte Töne aus dem erfolgsverwöhnten Silicon Valley. Bleibt die Frage, wie lange die neue Bescheidenheit anhält, wenn die Big-Tech-Giganten in die alte Erfolgsspur zurückkehren sollten? Der Abstand zu den früheren Höchstkursen ist trotz der jüngsten Kurszuwächse zumindest noch erheblich.

()