Die Erde im Sonnensturm

Weltweit wird daher an verlässlichen Weltraumwetter-Vorhersagen geforscht

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Thomas Bürke
  • Frank Jansen

Ende Oktober 2003 tobte ein schweres Unwetter. Das Schauspiel blieb menschlichen Augen allerdings weitgehend verborgen, denn es ereignete sich im All: Ein Sonnensturm war über die Erde hinweggefegt. Seine Wirkung auf technische Systeme war indes deutlich zu spüren. In Schweden fiel regional der Strom aus, Luftkorridore in Nord-Kanada wurden für Passagierflugzeuge geschlossen, Satelliten setzten zeitweise aus. Insgesamt, so schätzt die europäische Weltraumorganisation Esa, entstand in den vergangenen sechs Jahren wegen des Ausfalls von Satelliten ein Schaden von mehr als 500 Millionen Dollar. In einer zunehmend auf Technik angewiesenen Welt werden Vorhersagen von Sonnenstürmen deshalb immer wichtiger.

Aus den äußeren Bereichen der Sonnenatmosphäre, der Korona, strömen unablässig elektrisch geladene Teilchen in das Planetensystem hinaus. Vorwiegend handelt es sich dabei um Elektronen und Protonen (Kerne von Wasserstoff-Atomen). Bei Geschwindigkeiten um 400 Kilometer pro Sekunde benötigen die Partikel durchschnittlich vier Tage, bis sie die Erde erreichen. In jeder Sekunde strömen in der Nähe unseres Planeten ungefähr 500 Millionen Teilchen durch eine Fläche entsprechend der Größe eines Daumennagels.

Die Erde hat sich gegen diesen Sonnenwind einen Schutzschild zugelegt: das Erdmagnetfeld. Auf der windzugewandten Seite der Erde drückt der Sonnenwind die Magnetosphäre bis auf etwa zehn Erdradien (65 000 Kilometer) zusammen, während er sie auf der windabgewandten Seite mehrere hunderttausend Kilometer weit zu einem langen Schweif auseinander zieht. Einige Teilchen werden vom Magnetfeld eingefangen und laufen dann entlang der Feldlinien von Pol zu Pol. Sie bilden einen "planetaren Stromkreis". Dadurch entstehen Strahlungsgürtel, nach ihrem Entdecker Van-Allen-Gürtel genannt, die unseren Planeten ringförmig umgeben. Allerdings weht von der Sonne nicht immer nur eine leichte Brise. Von Zeit zu Zeit ereignen sich enorme Ausbrüche auf unserem Zentralgestirn, vor allem in der Phase eines solaren Aktivitätsmaximums, das in einem elfjährigen Zyklus wiederkehrt.

Dann entstehen zunehmend die bekannten dunklen Flecken, und bei starken Eruptionen schleudert die Sonne heiße Gaswolken mit Massen von mehreren Milliarden Tonnen ins Planetensystem. Diese ebenfalls aus Protonen und Elektronen bestehenden Wolken bezeichnet man als Plasma. Mit Geschwindigkeiten von bis zu 2000 Kilometern pro Sekunde durcheilen sie das Sonnensystem und können innerhalb von ein bis zwei Tagen die Erde erreichen, wo sie auf das Magnetfeld prallen. Einigen Teilchen gelingt es, die Magnetbarriere zu durchbrechen und an den Polen in relativ niedrige Höhen hinunterzuschießen. Sie dringen in die obere Atmosphäre ein und stoßen in 100 bis 300 Kilometer Höhe mit Sauerstoff- und Stickstoff-Partikeln zusammen. Hierbei regen sie diese zum Leuchten an.

Das Ergebnis sind Polarlichter, die wie wehende Vorhänge am Nachthimmel schimmern. Vom Weltraum aus offenbaren sie ihre wirkliche Ausdehnung: In Form eines breiten Rings umgeben sie den jeweiligen Pol.

Sonnenstürme führen allerdings nicht nur zu faszinierenden Leuchterscheinungen. Sie können auch ziemlich lästig sein. So wirken sie sich etwa auf die Ionosphäre aus, eine elektrisch leitfähige Schicht in einem Höhenbereich zwischen 100 und 1000 Kilometern. In ihr existieren viele freie Elektronen, die dazu führen, dass die Ionosphäre Radiowellen reflektiert. Nur deshalb ist es möglich, diese Wellen über große Distanzen und über die gekrümmte Erde hinweg zu übertragen. Bei starkem Sonnenwind nimmt die Dichte der Elektronen zeitweise extrem ab. Als Folge davon reflektiert die Ionosphäre nur noch vermindert Radiowellen, sodass die Funkkommunikation von Flugzeugen oder Schiffen gestört oder gar unterbrochen wird.

Vor allem aber bringt ein Sonnensturm die gesamte Magnetosphäre zum Schwingen und löst elektrische Ströme aus. Diese wiederum induzieren in Stromleitungen am Erdboden starke elektrische Spannungen. Der folgenschwerste Zwischenfall solcher Art ereignete sich am 13. März 1989 in Kanada. Damals zerstörten induzierte Stromstöße einen Transformator in New Jersey, was schließlich zum Kollaps des gesamten örtlichen Stromversorgungssystems führte. Auch das Hydro-Québec- Kraftwerksystem fiel für neun Stunden aus, sodass die ganze Region Québec ohne Strom war. Mit technischen Maßnahmen lässt sich solchen Problemen zwar vorbeugen. In dem kanadischen Kraftwerk wurden inzwischen Kondensatoren eingebaut, welche die Spannungsspitzen zum Teil auffangen. Ein derartiger Umbau ist jedoch aufwendig und teuer.

Geomagnetische Stürme induzieren zudem in metallisch leitenden Gegenständen Ströme. Auswirkungen hat dies nachgewiesenermaßen auf Pipelines: Insbesondere in hohen geografischen Breiten korrodieren die Rohrleitungen schneller. Außerdem bedrohen starke Sonnenstürme Satelliten in der Erdumlaufbahn. Die Teilchen können entweder direkt in der Elektronik Schäden anrichten. Oder die Außenhülle lädt sich statisch auf, was schließlich zu Spannungsüberschlägen führen kann. Anfällig gegen Sonnenstürme sind auch exakte Ortsbestimmungen mit Hilfe des Global Positioning System (GPS). Ein Empfänger ermittelt seine Position am Boden, indem er die Signale von mehreren GPS-Satelliten gleichzeitig registriert und analysiert. Bei einem Magnetsturm werden diese Signale in der Atmosphäre jedoch gestört, wodurch die Positionsbestimmung mindestens um zehn Meter ungenauer wird. Für die Navigationssysteme in Autos spielt das keine große Rolle. Auf Flughäfen, wo man die landenden Maschinen zukünftig mittels GPS dichter staffeln will, sind die Anforderungen indes wesentlich höher.

Nicht zuletzt sind Astronauten den solaren Stürmen nahezu schutzlos ausgeliefert, vor allem bei Expeditionen außerhalb des abschirmenden Erdmagnetfeldes zu Mond oder Mars. Die resultierenden Gesundheitsrisiken sind den Strahlenschäden durch eine Atombombe vergleichbar: Die energiereichen Teilchen können einen Raumanzug durchschlagen, in menschliche Zellen eindringen und die DNA zerstören. Auf diese Weise erhöht sich das Krebsrisiko. Es war reines Glück, dass die Sonne etwa während der Apollo-Flüge zum Mond ruhig blieb.

Stetige Überwachung

Kein Wunder, dass der Wunsch nach einer präzisen Vorhersage des Weltraumwetters in den vergangenen Jahrzehnten immer lauter geworden ist. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Sonden, welche die hierfür nötigen Daten liefern. So beobachtet beispielsweise das Sonnenobservatorium "Soho" von Esa und Nasa unser Tagesgestirn seit 1996 ununterbrochen in verschiedenen Wellenlängenbereichen und misst die ankommende Teilchenstrahlung. Dank Soho erkennen die Forscher sofort, wenn auf der Sonnenoberfläche ein Ausbruch stattfindet oder sich eine Plasmawolke aus der Korona ablöst. Dann wird eine Warnung herausgegeben. Diese Prognosen sind aber noch sehr unsicher, denn Soho ist nicht in der Lage, die Richtung zu ermitteln, in der sich die Wolke durchs All bewegt. Damit bleibt unklar, ob sie die Erde trifft.

Abhilfe soll das europäisch-amerikanische Observatorium "Stereo" schaffen. Es wird aus zwei Satelliten bestehen, die in großem Abstand voneinander fliegen und die Sonne gleichzeitig beobachten. So wie zwei Augen räumlich sehen können, soll auch Stereo erkennen, wie sich Gaswolken im Raum bewegen. Vorboten des kosmischen Orkans Doch man muss nicht unbedingt ins All fliegen, um das Weltraumwetter zu beobachten. An der Ostsee entsteht derzeit das "Muon Spaceweather Telescope for Anisotropies at Greifswald", kurz "Mustang". Das von der Esa und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) finanzierte Teleskop ist in der Lage, so genannte Myonen zu messen, extrem leichte, elektrisch geladene Teilchen, die von der kosmischen Strahlung beim Zusammenprall mit Atomen in der Atmosphäre erzeugt werden.

Eine von der Sonne kommende Plasmawolke schirmt die Erde teilweise vor der kosmischen Strahlung ab, sodass sich der Myonenfluss verringert. Mit Mustang wollen die Forscher die Myonenverteilung über den gesamten Himmel messen. Die Plasmawolke zeichnet sich dann gewissermaßen als Schatten auf der Verteilungskarte ab. Verfolgt man die zeitliche Entwicklung der Wolke oder beobachtet sie mit mehreren Stationen, so lassen sich Entfernung, Bewegungsrichtung und daraus schließlich die verbleibende Zeit bis zur Ankunft der Teilchen auf der Erde in Echtzeit ermitteln. 2006 soll Mustang die Arbeit aufnehmen und gemeinsam mit weiteren Myon-Teleskopen in Japan, Australien und Brasilien ein erdumspannendes Netz bilden -- ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem verlässlichen Weltraumwetter- Service, den Forschungsorganisationen und Unternehmen auf der ganzen Welt derzeit zu entwickeln suchen.

In den USA will man spätestens bis zum Ende dieses Jahrzehnts in der Lage sein, aussagekräftige Vorhersagen zu machen. Neben der Nasa unterstützen dieses Projekt auch die amerikanischen Bundesministerien für Verteidigung, Inneres, Energie und Transport. Ein Weltraumwetter-Zentrum wurde bereits in Boulder, Colorado, eingerichtet. In Europa begannen wesentliche Aktivitäten vor fünf Jahren, als die Esa ein detailliertes Szenario für ein weltraumgestütztes Satellitensystem zur Vorhersage von Weltallunwettern entwerfen ließ. Inzwischen laufen mehr als zwanzig anwendungsorientierte Pilotprojekte, in denen europäische Unternehmen und Institute zum Schutz vor Sonnenstürmen zusammenarbeiten. Dazu gehören unter anderem Studien für Fluggesellschaften, denn auch Passagiere und Flugpersonal sind den Strahlungsteilchen ausgesetzt. Interesse an detaillierten Vorhersagen zeigen zudem Konzerne, die in der Nordsee nach Öl und Gas suchen, schwedische und finnische Energieversorger, Pipelinebesitzer sowie Betreibergesellschaften von Telekommunikations- und Navigationssatelliten. Ein Ziel aller Aktivitäten ist die Gründung eines europäischen Zentrums für Weltraumwetter-Vorhersage.

In Deutschland legen Fachleute des DLR derweil die Grundlagen für ein Weltraumwetter-Datenzentrum mit Schwerpunkt Ionospähre. Es soll an das Weltraumwetter- Anwendungszentrum Ionosphäre (SWACI) im mecklenburg- vorpommerischen Neustrelitz angeschlossen sein und europäische Nutzer mit aktuellen Informationen über den Zustand jener oberen Atmosphärenschicht versorgen, welche die Ausbreitung von Radiowellen und den Empfang der GPS-Signale beeinflusst. In nicht allzu ferner Zukunft werden Vorhersagen für das Wettergeschehen im Weltraum damit genauso selbstverständlich sein wie die heutigen Prognosen der irdischen Wetterdienste. Ähnlich wie die Menschen bei einem drohenden Hurrikan ihre Häuser verbarrikadieren, ließe sich dann auch den Unbilden des Weltraumwetters trotzen: Bei einem nahenden Sonnenorkan könnten Elektrizitätsversorger ihre Systeme auf ein niedrigeres Leistungsniveau herunterfahren und kritische Geräte notfalls ganz vom Netz nehmen, bevor sie beschädigt oder zerstört werden. Satellitenbetreiber bekämen die Möglichkeit, ihre künstlichen Erdtrabanten so in den Sonnenwind zu drehen, dass empfindliche Teile geschützt sind. Und Fluglotsen könnten Passagiermaschinen auf einen Kurs mit geringerer Strahlenbelastung umleiten. (wst)