Gebrauchte Elektroautos: Der Markt rüttelt sich zurecht

Der Markt für gebrauchte E-Autos ist im Umbruch, denn einerseits wächst das Angebot, andererseits wirken die Verzerrungen durch Kaufprämien nach.

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VW ID.3

Beim ersten ausführlichen Test war der Volkswagen ID.3 ein Eyecatcher. Die Erwartungshaltung 2020: Das ist der neue Golf. Inzwischen ist der ID.3 in der Wirklichkeit angekommen. Über tausend gebrauchte ID.3 sind auf dem Markt.

(Bild: VW)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Das Geschäft mit gebrauchten Elektroautos ist derzeit etwas mühselig. Was sich hier momentan abspielt, ist manchmal chaotisch und hat mehrere Ursachen, die zum immer gleichen Ergebnis führen. Die Preise werden sinken. Bei nüchterner Betrachtung, also ohne die Euphorie der einen und die Skepsis der anderen, sind gebrauchte Elektroautos einfach nur Autos. Deren Preisgefüge rüttelt sich gerade munter zurecht.

Wie es zur aktuellen Marktsituation gekommen ist, beschreibt Stefan Moeller. Er ist Geschäftsführer der Elektroautovermietung Nextmove, die einige der Flottenfahrzeuge kauft und verkauft statt sie zu leasen: "2022 war die allgemeine Kauflaune sehr gut und das Angebot durch die Chipkrise limitiert." Die Folge war eine Übertreibung der Preise, die durch die staatliche Förderung – den sogenannten Umweltbonus – zusätzlich angeheizt wurde. "Von 2019 bis 2022 stieg die Zahl der Neuwagen kontinuierlich an, und die Rückläufer aus vielen Leasingverträgen drängen jetzt in den Gebrauchtmarkt", sagt Moeller.

Bei mobile.de gibt es nach der Auswahl der Kraftstoffart "Elektro" weitere Optionen wie die Reichweite oder die Batteriekapazität. Wichtig ist außerdem die Möglichkeit, nach Elektroautos mit Batterie-Zertifikat zu filtern.

(Bild: Screenshot mobile.de)

Beliebt war die Idee, die Kaufunterstützung von bis zu 9570 Euro als Anzahlung im Leasing zu berechnen und die vom Staat vorgegebene Mindestlaufzeit von 24 Monaten zu wählen. Es war politisch so formuliert und gewollt, dass in der Folge viele billige elektrische Gebrauchtwagen erhältlich sind. Was die Politik mutmaßlich nicht eingeplant hatte, war die jetzige Konjunktur- und Kaufkraftkrise. Die Stimmung hat sich gedreht. Viele Menschen sind bei der Anschaffung eines Autos zurückhaltend und vorsichtig, egal ob neu oder gebraucht, ob elektrisch oder mit Verbrennungsmotor. Besonders bei Privatkunden ist das so. Die Konsequenz ist simpel: "Die Preise fallen bis zu dem Punkt, an dem der Markt wieder anspringt", fasst Moeller zusammen. Übersetzt: Der Markt regelt es.

Zur Beschreibung der Wirklichkeit gehört, dass zwei Faktoren den Restwert von Elektroautos negativ beeinflussen. Zum Ersten ist der Fortschritt unübersehbar. Die Reichweiten und die Ladeleistungen steigen an. Ein gebrauchter Hyundai Ioniq 5 ist zwar ungleich teurer als ein früher Nissan Leaf. Er repräsentiert aber eine andere und langstreckentaugliche Ära des Fahrens mit Strom. Zum Zweiten ist das Misstrauen gegenüber der Dauerhaltbarkeit der Traktionsbatterien noch sehr groß. Es wird dauern, bis das Vertrauen wächst, und hierzu werden seriöse Zertifikate für den State Of Health (SOH), also den Energieinhalt in Prozentpunkten im Vergleich zur neuen Batterie, einen elementaren Beitrag leisten.

Was die Preise von gebrauchten Elektroautos drückt, ist der Fortschritt: Ein Hyundai Ioniq 5 repräsentiert die moderne Ära der langstreckentauglichen Elektroautos. Hyundai kooperiert mit mobile.de und Aviloo in einem Pilotprojekt für Batterie-Zertifikate. Das sollte zeitnah der Mindeststandard für alle gebrauchten Elektroautos werden.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Mobile.de, eins der großen Portale für Gebrauchtwagen, kooperiert mit Hyundai in einem Pilotprojekt. Auf Basis des Batterietests von Aviloo stellen Hyundai-Händler gebrauchte Elektroautos mit Zertifikat ins Netz. Der andere relevante Anbieter von Zertifikaten ist Twaice. Aviloo arbeitet unter anderem mit dem TÜV Süd zusammen, Twaice mit dem TÜV Rheinland ("Batterie Quick Check").

Ein SOH (für State Of Health)-Zertifikat von Aviloo oder Twaice (beide kooperieren mit TÜV-Organisationen) ist eine seriöse Absicherung beim Kauf eines gebrauchten Elektroautos – sowohl für Käufer als auch für Verkäufer.

(Bild: Aviloo)

Die bei der Zugriffszahl der Suchanfragen beliebtesten, gebrauchten Elektroautos sind nach Aussage von mobile.de momentan der Kia EV6, der Porsche Taycan und das Tesla Model Y. In der Schnellsuchmaske bei mobile.de kann zum Beispiel ein Haken für "nur Elektroautos" gesetzt werden. Im detaillierten Suchfilter gibt es weitere Optionen: Wer bei der Kraftstoffart auf Elektro klickt, bekommt Wahlmöglichkeiten für die Reichweite, die AC- und DC-seitige Ladezeit oder den Energiegehalt der Traktionsbatterie in Kilowattstunden. Für mobile.de ist dieser Filter der Einstieg, mit dem Erfahrungen gesammelt und Verbesserungen erzielt werden sollen. Nach eigenen Angaben sind die Zugriffsraten seit der Einführung bereits deutlich gestiegen.

Idealerweise könnten Interessenten in Zukunft nicht nur erkennen, dass ein Zertifikat für den SOH vorliegt, sondern auch, wie viel Prozent es ausweist: Sind 93, 84 oder 71 Prozent des ursprünglichen Energieinhalts verfügbar? Klar ist, dass ein SOH-Zertifikat nicht nur für die Käufer, sondern auch für die Verkäufer ein Vorteil ist. Schließlich lassen sich so auch Defekte an einzelnen Zellen identifizieren, die die Performance des Gesamtsystems stark reduzieren. Für Händler ist mit einem Zertifikat der Nachweis vorhanden, dass genau das vorm Verkauf nicht der Fall war. Die Ist-Situation ist vor allem bei Privatkunden von der Angst vorm Batterieverschleiß geprägt. Die Erfahrung mit gebrauchten Elektroautos fehlt, und so flüchten sich viele Interessenten ins Leasing. Ausprobieren ja, aber bitte ohne Experimente.

Das wiederum bedeutet angesichts schwer kalkulierbarer Preise ein wirtschaftliches Risiko für den Leasinggeber: Wer zahlt die Zeche, wenn die Restwerte zu hoch angesetzt waren? In vielen Fällen ist das der Autohersteller, der sich das Geld letztlich beim Kunden zurückholen wird. Für Interessenten gelten die immer gleichen Kaufgesetze bei Elektroautos mit einem Ausrufungszeichen. Den Verstand einschalten und beachten, dass Elektroautos genau wie jene mit Verbrennungsmotor aus mehr bestehen als der Traktionsbatterie. Sind alle Funktionen einwandfrei? Wie hoch ist der Verschleiß von Reifen und Bremsen? Wie ist der Pflegezustand – gibt es vielleicht Roststellen? Wichtig bleibt der Vergleich der Preise. Es lohnt sich zu schauen, was alternative Elektroautos kosten, und natürlich sollte jeder prüfen, was für Neuwagen in Kauf oder Leasing aufgerufen wird. Der Abstand muss groß genug sein.

(mfz)