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Für höhere Präzision: Was das Quanten-Squeezing leisten kann

Sophie Chen

Forscher installieren eine Quanten-Squeezing-Einrichtung in einem Detektor des Laser-Interferometer-Gravitationswellenobservatoriums.

(Bild: Lisa Barsotti)

Unschärfe dominiert das Quantenreich, doch sie kann zu unserem Vorteil manipuliert werden – etwa bei der Raumforschung oder der Verbesserung der Zeitmessung.

Wenn sich zwei Schwarze Löcher spiralförmig aufeinander zu bewegen und dann zusammenstoßen, erschüttern sie die Raumzeit und erzeugen Wellen, die sich über Hunderte Millionen Lichtjahre ausbreiten können. Seit 2015 beobachten Wissenschaftler diese Gravitationswellen [1] schon direkt, um grundlegende Fragen über unseren Kosmos zu klären – darunter die Herkunft schwerer Elemente wie Gold oder die Geschwindigkeit, mit der sich das Universum ausdehnt.

Doch der Nachweis von Gravitationswellen ist bislang schwer. Bis sie die Erde und die Zwillingsdetektoren des Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatoriums (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory, LIGO) in den US-Bundesstaaten Louisiana und Washington erreichen, haben sich die Wellen schon fast aufgelöst, sind kaum noch feststellbar. Die Detektoren des LIGO müssen Bewegungen in der Größenordnung eines Zehntausendstels der Breite von Protonen erfassen, um überhaupt eine Chance zu haben. LIGO hat bisher immerhin 90 Gravitationswellendetektierungen bestätigen können, aber die dort beschäftigten Physiker wollen noch deutlich mehr nachweisen. Das System muss daher noch viel empfindlicher gemacht werden – eine große technische Herausforderung.

"Das Problem bei diesen Detektoren ist, dass man jedes Mal, wenn man versucht, sie zu verbessern, die Erkennungsleistung sogar noch verschlechtern kann, weil sie so empfindlich sind", sagt Lisa Barsotti, Physikerin am Massachusetts Institute of Technology. Dennoch haben Barsotti und ihre Kollegen diese Herausforderung kürzlich gemeistert und eine Hardware entwickelt, mit der das LIGO weitaus mehr Verschmelzungen von Schwarzen Löchern [2] und Kollisionen von Neutronensternen erkennen kann. Das Gerät gehört zu einer wachsenden Klasse von Instrumenten, die das sogenannte Quanten-Squeezing nutzen – eine Möglichkeit für Forscher, die eigentlich problematische Unschärferelation aus der Quantenmechanik für praktische Anwendungen zu verwenden.

Physiker beschreiben Objekte im Quantenbereich üblicherweise mithilfe von Wahrscheinlichkeiten. Ein Elektron befindet sich beispielsweise nicht "hier oder dort", sondern kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an jedem möglichen Ort gefunden werden. Wobei es sich genau genommen an einem bestimmten Ort nur dann befindet, wenn man auch misst, ob es sich dort befindet. Durch Quanten-Squeezing können diese Wahrscheinlichkeiten manipuliert werden. Forscher setzen es daher zunehmend dazu ein, mehr Kontrolle über den Messprozess auszuüben und so die Präzision von Quantensensoren wie die des LIGO drastisch zu verbessern.

"Bei Präzisionssensoranwendungen, bei denen es darum geht, sehr schwache Signale zu erkennen, kann das Quanten-Squeezing ein ziemlich großer Gewinn sein", sagt Mark Kasevich, Physiker an der Stanford University. Er selbst nutzt das Phänomen, um präzisere Magnetometer, Gyroskope und Uhren für Navigationsanwendungen zu entwickeln. Das kanadische Start-up Xanadu setzt die Technik in seinen Quantencomputern ein. Im letzten Herbst kündigte die US-Forschungsbehörde DARPA das Programm "Inspired" [3] an, das die Entwicklung der Quanten-Squeezing-Technologie in Form eines einzelnen Chips zum Ziel hat. Bereits jetzt gibt es praktische Anwendungen für das Verfahren.

Das Schlüsselkonzept hinter dem Quanten-Squeezing ist das Phänomen der Heisenbergschen Unschärferelation. In einem quantenmechanischen System setzt dieses Prinzip eine fundamentale Grenze für die Genauigkeit bei der gleichzeitigen Messung zweier Eigenschaften eines Objekts. Egal, wie gut das Messgerät auch ist, unterliegt solch eines stets einer grundlegenden Ungenauigkeit, die Teil der Natur selbst ist. Physiker nennen diese Eigenschaften "komplementäre Eigenschaften". Wenn man zum Beispiel die Geschwindigkeit eines Teilchens genau messen will, muss man auf die Genauigkeit bei der Bestimmung seines Standorts verzichten und umgekehrt. "Die Physik setzt Experimenten und insbesondere der Präzisionsmessung Grenzen", sagt John Robinson, Physiker beim Quantencomputer-Startup QuEra.

Man kann das Prinzip aber auch nutzen, indem man mehr Unschärfe der physikalischen Eigenschaften zulässt, die man nicht messen will. Durch dieses "Squeezing" können Forscher die Präzision der gewünschten Messung erhöhen. Theoretische Physiker schlugen bereits in den 1980er-Jahren vor, die Unschärfe bei der Messung auszugleichen. Seitdem haben Experimentalphysiker die Ideen weiterentwickelt; in den letzten anderthalb Jahrzehnten führten die Experimente, die man zuvor über ganze Tische ausbreiten musste, zu praktisch einsetzbaren Geräten. Die große Frage ist nun, welche Anwendungen davon profitieren werden. "Wir sind gerade erst dabei, zu verstehen, was diese Technik werden könnte", sagt Kasevich. "Dann wird hoffentlich unsere Vorstellungskraft wachsen und uns dabei helfen, herauszufinden, wofür sie wirklich gut ist."

LIGO bahnt gerade den Weg, diese Frage zu beantworten – in Form verbesserter Detektoren, die extrem kleine Distanzen messen können. Das Observatorium registriert Gravitationswellen mit L-förmigen Maschinen, die in der Lage sind, winzige Bewegungen entlang ihrer vier Kilometer langen "Arme" zu erfassen. An jeder dieser Riesenmaschinen teilen die Forscher einen Laserstrahl in zwei Segmente und senden einen Strahl an jedem der Arme entlang, der von einer Reihe von Spiegeln reflektiert wird. In Abwesenheit einer Gravitationswelle sollten sich die Berge und Täler der einzelnen Lichtwellen bei der Rekombination der Strahlen vollständig gegeneinander auslöschen. Wenn jedoch eine Gravitationswelle durchläuft, werden die Arme abwechselnd gestreckt und gestaucht, sodass die geteilten Lichtwellen leicht phasenverschoben sind.

Die sich daraus ergebenden Signale sind jedoch so schwach, dass sie vom Rauschen des sogenannten Quantenvakuums übertönt werden könnten, dem unvermeidlichen Hintergrundrauschen des Universums, das durch die ein- und ausschwingenden Teilchen verursacht wird. Das Quantenvakuum führt zu einer Art Hintergrundflimmern von Licht, das in die Arme des LIGO eindringt. Dieses Licht stößt gegen die Spiegel und verschiebt sie auf der gleichen minimalen Skala wie die Gravitationswellen, die LIGO eigentlich aufspüren will.

Barsottis Team kann dieses Hintergrundflimmern nicht einfach loswerden, aber durch Quanten-Squeezing können sie es in begrenztem Umfang kontrollieren. Zu diesem Zweck installierte das Team in jedem der beiden L-förmigen LIGO-Detektoren einen 300 Meter langen Hohlraum. Mithilfe von Lasern können sie darin ein künstliches Quantenvakuum erzeugen, in dem sie die physischen Bedingungen manipulieren, um den Grad der Kontrolle darüber zu erhöhen, wie hell das Flimmern sein kann oder wie zufällig es im Zeitverlauf auftritt. Der Nachweis von Gravitationswellen mit höheren Frequenzen ist jedoch schwieriger, wenn der Rhythmus des Flackerns zufälliger ist, während Gravitationswellen mit niedrigeren Frequenzen übertönt werden können, wenn das Hintergrundlicht heller wirkt. In ihrem künstlichen Vakuum tauchen die "verrauschten" Teilchen zwar immer noch in den Messungen auf, aber auf eine Weise, die den Nachweis von Gravitationswellen nicht mehr so stark stört. "Man kann das Vakuum verändern, indem man es so manipuliert, dass es für einen selbst nützlich ist", erklärt Barsotti.

Bis diese Innovation fertig war, gab es einen jahrzehntelangen Entwicklungsprozess: In den 2010er-Jahren hat LIGO schrittweise immer ausgefeiltere Formen des Quanten-Squeezing integriert, die auf theoretischen Ideen aus den Achtzigerjahren basierten. Mit der neuesten Quanten-Squeezing-Innovation, die im letzten Jahr am Detektor installiert wurde, erwarten die Forscher nun, dass Gravitationswellen bis zu 65 Prozent häufiger als zuvor entdeckt werden können.

Das Quanten-Squeezing hat auch die Präzision der Zeitmessung verbessert. In Zusammenarbeit mit dem Physiker Jun Ye, Pionier der Atomuhrentechnologie, haben Robinson und sein Team an der University of Colorado Boulder eine Uhr entwickelt, die in 14 Milliarden Jahren höchstens eine Sekunde vor- oder nachgeht. Diese hochpräzisen Uhren ticken in verschiedenen Gravitationsfeldern leicht unterschiedlich, was sie nützlich machen könnte, um festzustellen, wie sich die Masse der Erde infolge seismischer oder vulkanischer Aktivitäten umverteilt. Sie könnten auch genutzt werden, um bestimmte angenommene Formen der dunklen Materie aufzuspüren, jener hypothetischen Substanz, von der Physiker glauben, dass sie das Universum durchdringt und Objekte mit ihrer Schwerkraft anzieht.

Die von Robinsons Team entwickelte Uhr, die sogenannte optische Atomuhr, verwendet 10.000 Strontiumatome. Wie alle Atome sendet auch Strontium Licht mit bestimmten, charakteristischen Frequenzen aus, wenn die Elektronen um den Atomkern herum zwischen verschiedenen Energieniveaus springen. Eine bestimmte Anzahl von Bergen und Tälern in einer dieser Lichtwellen entspricht einer Sekunde in der Uhr. "Man sagt, dass Atome perfekt sind", sagt Robinson. "Atome sind meine Referenz." Das "Ticken" dieses Lichts ist weitaus gleichmäßiger als beispielsweise der vibrierende Quarzkristall in einer elektronischen Armbanduhr, der sich bei unterschiedlichen Temperaturen ausdehnt und zusammenzieht, um unterschiedlich schnelle Signale zu produzieren.

In der Praxis kommt das Ticken der Atomuhr des Robinson-Teams nicht von dem Licht, das die Elektronen aussenden, sondern davon, wie sich das gesamte System im Laufe der Zeit verändert. Die Forscher versetzten zunächst jedes Strontiumatom in eine "Überlagerung" von zwei Zuständen: einen, in dem sich alle Elektronen des Atoms auf ihrem niedrigsten Energieniveau befinden, und einen anderen, in dem sich eines der Elektronen in einem angeregten Zustand befindet. Das bedeutet, dass jedes Atom eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat, sich in einem der beiden Zustände zu befinden, sich aber nicht definitiv in einem der beiden Zustände befindet. Das erinnert an einen Münzwurf, bei dem eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, entweder auf Kopf oder Zahl zu landen. Beides gleichzeitig geht nicht.

Dann messen die Forscher, wie viele Atome sich in jedem Zustand befinden. Durch die Messung werden die Atome endgültig in den einen oder den anderen Zustand versetzt, so als würde man die Münze auf einem Tisch landen lassen. Bevor sie die Atome messen, können die Forscher – selbst wenn sie eine 50:50-Mischung anstreben – nicht genau festlegen, wie viele Atome sich in jedem Zustand befinden werden. Das liegt daran, dass sich nicht nur das System im Laufe der Zeit verändert, sondern auch der Zustand der einzelnen Atome mit einer gewissen Unsicherheit behaftet ist. Robinsons Team nutzt deshalb das Quanten-Squeezing, um die Endzustände zuverlässiger zu bestimmen, indem es diese inhärenten Fluktuationen reduziert. Insbesondere manipulieren sie dabei die Unsicherheiten in der Richtung des Spins der einzelnen Atome, eine Eigenschaft vieler Quantenteilchen, die keine klassische Entsprechung hat. Durch das Squeezing konnte die Genauigkeit der Uhr um den Faktor 1,5 verbessert [4] werden.

Die Detektion von Gravitationswellen und ultrapräzise Uhren sind zwar akademische Nischenanwendungen. Es besteht jedoch Interesse daran, den Ansatz auch für andere, potenziell gängigere Anwendungen wie Quantencomputer, Navigationssysteme und die Mikroskopie zu adaptieren. Der verstärkte Einsatz des Quanten-Squeezing ist Teil eines umfassenderen technologischen Trends hin zu höherer Präzision. Nur so können etwa mehr Transistoren auf einem Chip untergebracht, die schwer fassbaren Teilchen des Universums untersucht und die flüchtige Zeit gemessen werden, die ein Elektron benötigt, um ein Molekül zu verlassen. Das Verfahren kommt aber nur Messungen zugute, die so subtil sind, dass die Zufälligkeit der Quantenmechanik ein erhebliches Rauschen verursacht. Bereits klar ist: Die Physik hat mehr Kontrolle, als sie bislang annahm. Sie kann den Zufall vielleicht nicht ganz beseitigen, aber beeinflussen, wo er auftaucht.

[5]

(jle [6])


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/hintergrund/Graviationswellendetektoren-Viel-mehr-Genauigkeit-fuer-neue-Aufgaben-4301645.html
[2] https://www.heise.de/hintergrund/Rueckschau-2019-Erstes-Foto-von-schwarzem-Loch-4606546.html
[3] https://sam.gov/opp/3b94972568cd4db6b00f4fb793b19ed0/view
[4] https://www.nature.com/articles/s41567-023-02310-1
[5] https://www.instagram.com/technologyreview_de/
[6] mailto:jle@heise.de