Moment der Abrechnung: COP28 und die Öl- und Gasindustrie

Auf der Klimakonferenz in Dubai könnte sich zeigen, was passieren wird, wenn die fossile Industrie sich nicht dekarbonisiert.

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2 Erdgas-Pumpen in einem Feld in Schneesturm

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Casey Crownhart

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind einer der größten Ölproduzenten der Welt. Gleichzeitig sind sie der Ort des diesjährigen UN-Klimagipfels COP28 in Dubai. So umstritten die Wahl dieses Veranstaltungsortes sein mag: In Wahrheit gibt es ein riesiges Potenzial für Öl- und Gasunternehmen, zur Bekämpfung des Klimawandels beizutragen. Das betrifft sowohl die Umgestaltung des eigenen Betriebs als auch die Investition ihrer beträchtlichen Ressourcen in neue Technologien und die Bereitstellung ihres Fachwissens. Das Problem: Die fossilen Konzerne besitzen auch die Macht, den Fortschritt bei der Emissionssenkung zu verlangsamen – und sie haben ein ureigenes Interesse daran, den Status quo zu bewahren.

Die Öl- und Gasindustrie beschäftigt weltweit fast 12 Millionen Arbeitnehmer und erwirtschaftet jedes Jahr 3,5 Billionen US-Dollar. Sie ist ein wichtiger Teil der Weltwirtschaft und eine enorme Quelle von Treibhausgasemissionen, die bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entstehen. Will die Welt bei den Treibhausgasemissionen endlich Net Zero erreichen, könnte die Nachfrage nach Öl und Gas bis 2050 um 75 Prozent unter das heutige Niveau sinken, so die Prognosen im neuen Bericht der Internationalen Energieagentur IEA.

Das bedeutet, dass sich für die Branche sehr bald etwas ändern muss, wenn sie an einer klimaneutralen Zukunft teilhaben will. "Die Öl- und Gasindustrie steht während der COP28 in Dubai vor einem Moment der Wahrheit", so Fatih Birol, Exekutivdirektor der IEA, in einem Statement. Die Produzenten auf der ganzen Welt müssten "tiefgreifende Entscheidungen über ihren zukünftigen Platz im globalen Energiesektor" treffen.

Eine Möglichkeit für die Unternehmen, ein Teil der Lösung zu sein, wäre das Kehren vor der eigenen Haustür. Es ist dringend notwendig, die Nutzung fossiler Energieträger langfristig zu reduzieren. Zumindest einige davon werden wir jedoch auf absehbare Zeit nicht los. Denn selbst bei einem Szenario, in dem die Welt im Jahr 2050 Netto-Null-Emissionen erreicht und neue Öl- und Gasprojekte begrenzt sind, wird ein Teil des Outputs benötigt werden, um Sektoren zu versorgen, die schwieriger zu dekarbonisieren sind. Das ist beispielsweise die Schwerindustrie oder der Kunststoffsektor. Die gute Nachricht ist, dass es Wege gibt, das Ausgangsmaterial sauberer zu machen.

Der Energiesektor als Ganzes ist für etwa drei Viertel der weltweiten Emissionen verantwortlich. Davon entfallen rund 15 Prozent auf die Gewinnung, Verarbeitung und den Transport fossiler Brennstoffe. Dieser Anteil müsste jedoch viel geringer sein. Dem IEA-Bericht zufolge können Unternehmen bestehende Technologien einsetzen, um beispielsweise Methanlecks zu beseitigen, ihre Anlagen öfter mit Strom zu betreiben und Kraftwerke mit Technologien zur Kohlenstoffabscheidung auszustatten, um Emissionen zu senken.

Letzteres allein kann aber kein Ausweg sein. Auch wenn ein gewisses Maß an CO₂-Speicherung vermutlich unerlässlich ist, um die Klimaziele zu erreichen, ist es keine praktikable Lösung, einfach so weiterzumachen wie bisher. Auch die Annahme des Klimagases aus der Luft reicht nicht. Denn die dafür benötigte Elektrizität wäre mehr als der gesamte heutige weltweite Bedarf. Um auf dem Weg zur Klimaneutralität zu sein, muss die Öl- und Gasindustrie die Emissionen aus Förderung und Verarbeitung bis 2030 um etwa 60 Prozent senken. Das ist ein gewaltiger Sprung, der bis zum Ende des Jahrzehnts etwa 600 Milliarden Dollar kosten wird.

Die Verringerung der Emissionen aus der Öl- und Gasproduktion wird jedoch nicht ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen. Daher müssen die Unternehmen Wege finden, Geld und Know-how in neue Technologien zu investieren, während sie die Produktion fossiler Brennstoffe zurückfahren. Das Erreichen der internationalen Klimaziele, die bei den UN-Verhandlungen in Paris 2015 festgelegt wurden, wird gleichzeitig einen erheblichen Rückgang der Nachfrage nach Öl und Gas bedeuten. Das bedeutet, dass Investitionen in neue Quellen gekürzt und sogar einige bestehende Projekte stillgelegt werden müssten. Wenn die Öl- und Gasunternehmen an der Energiewende teilhaben oder in einigen Jahrzehnten noch existieren wollen, müssten sie also ihre Schwerpunkte überdenken und in neue Technologien investieren.

Danach sieht es derzeit nicht aus. Heute sind die Öl- und Gasunternehmen für nur ein Prozent der Investitionen in saubere Energie verantwortlich, und der Großteil davon stammt von nur vier der größten Konzerne. Dabei könnte die Branche in wachsenden Bereichen wie Geothermie, Offshore-Windkraft und Wasserstoff aus emissionsarmen Quellen ein wichtiger Akteur sein. In einigen dieser Bereiche gibt es erhebliche Überschneidungen. So könnten beispielsweise Technologien, die für die Öl- und Gasförderung entwickelt wurden, bei Geothermieprojekten der nächsten Generation von entscheidender Bedeutung sein, wie Start-ups wie Fervo Energy zeigen, die ähnliche Techniken wie in der Öl- und Gasindustrie einsetzen. Es besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen Worten und Taten, wenn es um die Reduzierung von Emissionen aus fossilen Energieträgern geht. Nehmen wir den Leiter der COP28, Sultan Ahmed Al-Jaber, der in einigen Interviews der letzten Zeit als "pragmatischer Realist" in Bezug auf den Klimawandel und die Rolle der Öl- und Gasindustrie auftritt.

So sagte er zum Beispiel dem Magazin Time: "Ein schrittweiser Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen ist unvermeidlich und unverzichtbar." Das klingt nach jemandem, der den Wandel mittragen will. Doch das Unternehmen, dem Al-Jaber vorsteht, die Abu Dhabi National Oil Company, plant in den nächsten Jahren eine enorme Expansion seiner Aktivitäten in Höhe von 150 Milliarden Dollar. Ein Teil davon wird in erneuerbare Energien fließen, aber das Unternehmen baut auch seine Produktionskapazitäten für Rohöl aus.

Nach aktuellen Berichten der BBC und des Centre for Climate Reporting planen die VAE zudem, die diesjährigen Klimagespräche auch dazu zu nutzen, Ölgeschäfte zu machen. Aus vorliegenden Dokumenten geht hervor, dass bei Treffen mit mehr als einem Dutzend Ländern auch Pläne zur Entwicklung neuer fossiler Projekte angesprochen werden sollen. So heißt es zum Beispiel, dass die nationalen Ölgesellschaften der VAE und Chinas gemeinsame Möglichkeiten für Flüssiggasprojekte in Ländern wie Mosambik und Australien prüfen wollen.

Diese unschöne Enthüllung ist auch der Grund, warum ein kritischer Blick auf die Versprechungen der fossilen Industrie im Kontext des Klimawandels absolut notwendig bleibt. Natürlich stimmt es, dass Öl- und Gasunternehmen das Potenzial haben, Teil der Lösung zu sein. Und es ist wahrscheinlich entscheidend, dass auch die Petrostaaten samt der Industrie an den Klimaverhandlungen teilnehmen.

Gleichzeitig gibt es jedoch keine Garantie dafür, dass wirklich alle an einem Strang ziehen, die schlimmsten Klimakonsequenzen zu vermeiden. Das heißt: In Dubai wird man ganz genau hinhören müssen, was die Akteure der fossilen Energieträger tun. Das gilt übrigens auch für die Unterstützung ärmerer Länder, die am meisten unter der Erderwärmung zu leiden haben werden.

(bsc)