Partnersuche per DNA

Die Digid8-App aus dem Labor des Harvard-Genetikers George Church versucht, mithilfe von Genom-Tests sicherzustellen, dass man nie die falsche Person trifft.

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... aber nur, wenn die App zustimmt.

(Bild: Ali Yahya / Unsplash)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Antonio Regalado
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Das Labor des Harvard-Genetikers George Church neigt zu provokanten und umstrittenen Projekten. Von dem neuesten erfuhr die Öffentlichkeit am 8. Dezember nur nebenbei in der Interview-Sendung "60 Minutes". Doch die Ankündigung einer genetischen Partnervermittlungs-App, die angeblich Erbkrankheiten auslöschen und damit eine Milliarde Dollar pro Jahr einsparen helfen könnte, führte in Mainstream- wie sozialen Medien zu prompten und zumeist negativen Reaktionen. Gehörlose nahmen Anstoß. Transsexuelle ebenfalls und auch einige Wissenschaftler. Viele witterten Eugenik dahinter.

Keiner der empörten Meinungen enthielt Details über die App. Technology Review hat jetzt exklusive Details über die neuen DNA-Datingfirma Digid8 (sprich: Digidate) erhalten, die Church und seinem Mitarbeiter Barghavi Govindarajan im September gegründet haben. Benannt ist sie nach dem Internet-Slang-Wort "D8" für Dating. Die Geschäftsidee besteht darin, mithilfe von DNA-Vergleichen sicherzustellen, dass Menschen, die dieselben genetischen Mutationen für Krankheiten wie die Tay-Sachs-Krankheit oder Mukoviszidose besitzen, sich nie begegnen, verlieben und Kinder haben. Es gibt Tausende von diesen rezessiven Erbkrankheiten. Nur wenn Kinder von beiden Elternteilen das fehlerhafte Gen erben, entwickeln sie die Krankheit. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt meist bei 25 Prozent.

Laut Church entwickelt Digid8 Apps, die im Hintergrund von existierenden Partnersuch-Diensten laufen sollen. Die Sequenzierung eines Genoms kostet zwar immer noch etwa 750 Dollar, doch die Kosten sinken. Dem Harvard-Professor zufolge könnten sie in den Abonnementpreis für Dating-Diensten einfließen, der etwa 50 Dollar pro Monat betragen kann. Der Harvard-Professor hat das Startup nach eigenen Angaben zusammen mit anderen Investoren, die er nicht nennen wollte, mitfinanziert.

Da Churchs Labor ebenfalls Forschungsgelder vom verurteilten Sextäter Jeffrey Epstein erhalten hatte, ist es kein guter Zeitpunkt für ihn, in das Dating-Spiel einzusteigen. Diese Verbindung befeuerte denn auch die wütenden Reaktionen auf die App-Ankündigung. Laut einer hastig erstellten Liste mit Antworten auf häufige Fragen wäre jeder App-Nutzer immer noch mit 95 Prozent der anderen Nutzer kompatibel. Church erklärte außerdem, dass die App Menschen keine Gesundheitsdaten liefern würde, sondern nur ihre Gene verwende, um riskante Verbindungen auszuschließen.

Ist es aber wirklich Eugenik, was Digid8 macht? Ja und nein. Eugenik bedeutet an sich erzwungene Sterilisation, vorgegebene Fortpflanzung oder vom Staat gebilligte Ausrottung bestimmter Menschengruppen. Aber das Produkt versucht tatsächlich, die Geburt von Menschen mit schweren Krankheiten zu vermeiden. Diese Vorstellung behagt nicht jedem. Laut Vice News handelt es sich um eine "schreckliche" Entwicklung, die ausgegrenzte Menschen angreift.

In der Realität versucht die Medizin allerdings schon länger, solche Erbkrankheiten zu vermeiden. Paaren, die sich Kinder wünschen, lassen sich längst vorab darauf testen, ob sie Mutationen für Erbkrankheiten tragen. Ist das der Fall, können sie sich entscheiden, keine leiblichen Kinder zu bekommen und stattdessen zu adoptieren. Manchmal werden auch Embryos, die per künstlicher Befruchtung erzeugt wurden, genetisch getestet und auf dieser Basis ausgewählt. Einige angehende Eltern entscheiden sich nach einem negativen Testergebnis für eine Abtreibung. "Wenn Sie es aber erst tun, nachdem Sie sich bereits verliebt haben, bedeutet das zu diesem Zeitpunkt meistens schlechte Nachrichten. Ein Viertel der Kinder wird erkrankt sein", sagt Church.

Das streitbare Startup mit dem Motto "Science is your wingman" (zu Deutsch etwa: Wissenschaft ist Ihr Begleiter) befindet sich noch in einem frühen Stadium. Die Website befindet sich im Aufbau und laut LinkedIn hat Digid8 mit Govindarajan nur einen Mitarbeiter. Dieser hatte früher schon einige Startups gegründet, wollte aber Church zufolge nicht selbst befragt werden.

Laut einer Stellenanzeige auf der Website „denkt das Unternehmen über Verabredungs- und Kompatibilitätstechnologien für Studenten sowie vielbeschäftigte Fachleute neu. und ist "daran interessiert, vorhersehbare Faktoren, die unser Leben auf längere Sicht beeinträchtigen könnten, positiv zu nutzen."

Church sagt, eine Inspirationsquelle für die App sei eine jüdische Gruppe in Brooklyn namens Dor Yeshorim gewesen. Sie testet Jugendliche in orthodoxen Gemeinden auf Mutationen der – bei aschkenasischen Juden mit osteuropäischer Abstammung häufigen – Tay-Sachs-Krankheit und verwendet dann die Informationen, um beim Arrangieren von Ehen das Aufeinandertreffen zweier rezessiver Träger zu vermeiden. Auf diese Weise habe man die Rate der tödlichen neurodegenerativen Erkrankung deutlich senken können.

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Eine noch offene und schwierige Frage bleibt aber, was man mit Menschen mit sogenannten dominanten Krankheitsgenen wie dem für die qualvolle Huntington-Krankheit tun soll. Auch wer nur ein mutiertes Gen geerbt hat, wird definitiv selbst erkranken und das Leiden seinen Kindern mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent vererben – unabhängig davon, welche Gene der Partner beisteuert.

Solche Informationen könnten sehr nützlich sein, denn möglicherweise möchten manche nicht jemanden heiraten, der Huntington entwickeln wird. Allerdings schließt die App laut Church Menschen mit dominanten Krankheitsgenen nicht von Verabredungen aus. "Wir sagen das gleich vorneweg", betont er. "Wenn sie attraktiv und gesund genug sind, um zu einem Date zu gehen, spielt es keine Rolle." Tut es das tatsächlich nicht? War die ursprüngliche Idee nicht genau die, schwerstkranke Kinder zu vermeiden? Die Position des Genetikers scheint nicht besonders konsistent zu sein. Würde die App allerdings tatsächlich versuchen, eine ganze Gruppe daran hindern, sich zu verabreden, wäre das Eugenik.

(vsz)