Wie autonome Fahrzeuge sich an die Menschen anpassen müssen

Aicha Evans, Chefin der Amazon-Tochter Zoox, spricht im Interview mit MIT Technology Review über KI im Verkehr – und was das mit Diversität zu tun hat.

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Robotertaxi von Zoox.

(Bild: Zoox)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Anthony Green

Es war ein turbulentes Jahr für Aicha Evans, der Geschäftsführerin von Zoox. Im Sommer 2020 übernahm Amazon für 1,2 Milliarden Doller den kalifornischen Hersteller von selbstfahrenden Fahrzeugen. Im Dezember stellte Zoox dann sein erstes Fahrzeug vor – und läutete damit eine Abkehr vom Auto, wie wir es kennen, ein.

Das als selbstfahrendes Taxi gedachte Gefährt sieht eher aus wie eine Hightech-Kutsche als wie ein normales Auto. Schiebetüren aus Glas laden die Fahrgäste auf beiden Seiten zum Einsteigen ein. Und in jeder Ecke ist außen eine "Sensorkapsel" angebracht mit mehreren Lidar- und Radarmodulen sowie Kameras, die das Fahrzeug bei der Navigation unterstützen. Unter dem Fußboden versteckt sitzt ein Elektromotor, der die Passagiere mit bis zu 120 Kilometer pro Stunde an ihr Ziel bringen kann.

(Bild: Winni Wintermeyer)

Das Fahrzeug von Zoox ist eines der wenigen fahrerlosen Autos, die von Grund auf neu gebaut worden sind – also nicht auf Basis bereits bestehender Karosserien. Laut Evans sind sie auch nicht für den Privatbesitz gedacht. Stattdessen plant Zoox, einen App-basierten Fahrdienst in Städten wie San Francisco und Las Vegas einzuführen, wo das Gefährt auch getestet wird.

MIT Technology Review sprach mit Evans darüber, wie es ist, eine Branche zu verändern und die Fortbewegung in Städten umzugestalten.

TR: Wie definieren Sie Zoox? Sind Sie ein KI-Unternehmen? Eine Robotik-Firma?

Evans: Wir sind ein Transportunternehmen, das die Vorteile von KI, Robotik – all die neuen Techniken rund um Elektrofahrzeuge und Software – nutzt und kombiniert, um so eine neue Art des Transports zu entwickeln.

In einer Stadt wie San Francisco, die mit Wohnungsmarktproblemen zu kämpfen hat und bereits fürchtet, dass Geschäftsleute abwandern, dienen bislang 30 Prozent des Immobilienbestandes als Parkplätze. Würden die Menschen also Zoox nutzen, um von A nach B zu kommen, könnten diese Flächen für Unternehmen, Wohnungen und Parks genutzt werden.

Um all dies zu ermöglichen, finden wir als Zoox es wichtig, Sensoren und Computer einzusetzen. Wir werden immer wieder gefragt, warum wir ein ganz neues Fahrzeug bauen. Nun, weil der heutige Pkw für den menschlichen Fahrer konzipiert und entworfen worden ist. Uns geht es darum, das Fahrzeug so umzugestalten, dass es von einem KI-System möglichst einfach und sicher gefahren werden kann.

Wie könnten autonome Fahrzeuge unser Leben beeinflussen?

Die Welt in 30, 40 Jahren wird ganz anders aussehen. Wir glauben, dass autonomes Fahren der Beginn einer neuen Ära ist. Etwa so, wie es mit dem Internet, dem PC, der drahtlosen Kommunikation und dem Smartphone war.

Das Smartphone ist doch noch gar nicht so alt, nicht? Manchmal frage ich mich, wie wir ohne diese Geräte überhaupt arbeiten konnten. Wir haben es aber getan. Die Autonomie beim Fahren wird uns eine Menge ermöglichen, etwa im Bereich Warentransport und Dienstleistungen.

Viele fahrerlose Autos werden vor allem in westlichen Städten eingesetzt. Wie gut werden diese Systeme an anderen Orten funktionieren?

Algorithmen an sich haben keine Vorurteile. Daten jedoch können voreingenommen sein. Nicht, weil die Daten schlecht sind, sondern weil sie beeinflusst werden davon, wo man sie sammelt. Zoox wird nicht in anderen Ländern aktiv, bevor wir unsere Systeme nicht mit lokalen Datensätzen trainiert haben. Wenn man das nicht macht und auf der Basis falscher Annahmen arbeitet, kann das ziemlich problematisch werden.

Als Unternehmen müssen wir die Wissenschaft [hinter unseren Produkten] verstehen. Es ist wichtig, die Probleme zu erkennen, die sich aus bestimmten KI-Eingaben ergeben können. Das ist umso leichter, wenn bei uns Menschen zusammenarbeiten, die unterschiedlicher Herkunft sind und deshalb auch unterschiedlich denken.

Wie ist Ihr Führungsstil?

Der hat sich im Laufe der Jahre geändert. Anfangs ist man vor allem noch Ingenieur und wird wahrgenommen, weil man – was Projekte angeht – einer von den Besten ist. Man versucht, sich immer weiter zu verbessern, mehr zu lernen und mehr Einfluss zu nehmen. Aber man erkennt rasch, dass es nicht um den Einzelnen geht, sondern um die Gesamtheit. Allein kann man nicht viel bewirken.

Führung heißt für mich nicht „Befehlen und Überwachen“. Vielmehr geht es darum: Wie schafft man es, die Leute von einer Aufgabe zu überzeugen und für sie zu gewinnen? Und wie erreicht man gemeinsam das Ziel?

Wie divers bauen Sie Ihr Team auf?

Letztendlich bauen wir ein Endkundenprodukt – und Endkunden gibt es in allen Variantionen, sie kommen aus allen Hautfarben, allen Geschlechtern, allen ... was auch immer. Es wäre schlecht, ein Endkundenprodukt zu entwickeln, ohne Leute dabei zu haben, die so denken wie die Konsumenten.

Wichtige Gesichtspunkte sind Zugang und Gleichberechtigung. Für eine afroamerikanische Frau mit kurzen Haaren ist es zum Beispiel schwierig, sich die Haare schneiden zu lassen. Es gibt nicht viele Leute, die mir die Haare schneiden können – um das als Beispiel zu sagen. Das merke ich jedes Mal, wenn ich in eine neue Stadt ziehe: "Oh, ich muss hier nur den Martin-Luther-King-Boulevard finden. Da werden alle Friseure auf beiden Seiten der Straße mir die Haare schneiden können." Das war in Washington D.C. so oder in Austin oder in Portland. Also freue ich mich darauf, dass unser Fahrzeug die Menschen dort abholt, wo sie herkommen – und sie dorthin gebracht werden können, wo sie die besten wirtschaftlichen Möglichkeiten haben.

Sie haben als schwarze Frau eine Führungsposition in der Technologiebranche. Das ist bislang noch nicht alltäglich. Wie gehen Sie damit um?

Ich wache nicht jeden Tag mit dem Gedanken auf, dass ich eine schwarze Frau mit Power im Tech-Sektor bin. Gelegentlich werde ich daran erinnert, wenn mir jemand dumm kommt. Aber ich möchte nicht ständig mit Wut im Bauch herumlaufen, das ist nicht sehr produktiv. Was ich allerdings denke, ist, dass ich eine Chance verkörpere. Ich stehe dafür, dass so etwas möglich ist. Ich habe mich lange Zeit gefragt: Was verhindert in unserem System, dass sowas noch so selten ist? Und wie können wir das ändern?

Ich erinnere mich daran, wie ich mit meinem Sohn zum ersten Mal zu einem Lego-Robotik-Wettbewerb in der Bay Area ging. Und er sagte zu mir: "Wow, hier ist niemand so wie ich." Ich sagte: "Nein, nein, das siehst Du bestimmt falsch." Ich sah mich dann um – und tatsächlich: Er hatte recht. Außerdem gab es nur sehr wenige Mädchenteams. Es ist ganz offensichtlich, dass manche Menschen bislang nur begrenzte Möglichkeiten haben.

Das bringe ich dann bei Zoox ein und sage: "Hey, Leute, lasst uns Lego-Robotik sponsern. Wollen einige von euch Mentoren sein?" Ich schaue mir immer an, was machbar ist und wie wir positive Veränderungen bewirken können. Diese Probleme sind in den Vereinigten Staaten all die Jahrhunderte über nicht gelöst worden. Das zeigt sich schon in der Art und Weise, wie unsere Nation gegründet und aufgebaut wurde. Gemäß dem Sprichwort: "Mit einem Löffel Honig fängt man mehr Fliegen als mit einem Fass voll Essig." Da wären ein wenig mehr Honig und etwa weniger Essig wohl der richtige Weg.

Vom Fahren zum Gefahrenwerden. Autonome Fahrzeuge, Personentransport und die Zukunft des Verkehrs

(Bild: jamesteohart/Shutterstock.com)

Autonomes Fahren, die Auswirkungen auf den Personentransport mit Robotaxis, people movern, autonomen Bussen und die notwendigen Techniken und Regularien beschäftigen uns in einer zehnteiligen Serie.

(bsc)