Zahlen, bitte! Bequem Richtung Italien in 192 Metern Höhe - Die Europabrücke

Urlaubshungrige Italienreisende passieren auf der Fahrt über die Brennerautobahn bei Innsbruck die Europabrücke – die bis heute größte Balkenbrücke der Welt.

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(Bild: Autobahnbrücke: CC BY-SA 3.0, Ralf Pfeifer, Bearbeitung: heise online)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Auch in diesem Jahr werden wieder in den Sommermonaten Autoschlangen aus Deutschland nach Italien in den Urlaub reisen. Sie passieren dabei auf dem Weg über die Brennerautobahn die Europabrücke – sie gilt bis heute als höchste Balkenbrücke der Welt. Aber wie ist sie entstanden?

Bereits den 50er-Jahren zog es Deutsche im Sommer magisch zum Stiefel Südeuropas. In den Sommermonaten war die Brennerstraße notorisch verstopft – an eine Autobahn war noch nicht zu denken. Nach einer Verkehrszählung im Jahr 1957 kam man in den Sommermonaten Juni bis September zu einer Auslastung von 900 Fahrzeugen pro Stunde, die sich durch die Kurven quälten – vom Messerschmitt Kabinenroller bis zum Schwerlast-LKW.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Den Verantwortlichen wurde klar: Eine Autobahn musste her, um die Strecke hoch zum Brenner zu entlasten. Am 25. April 1957 erfolgte der Spatenstich zum Bau der Silltalbrücke. Am 30. Mai 1963 wurde die Silltalbrücke bei Innsbruck fertiggestellt. Im Zuge der allgemeinen Europabegeisterung wurde sie am 17. November 1963 bei der Einweihung der ersten Teilstrecke der Brennerautobahn von Innsbruck nach Schönberg in Europabrücke umbenannt, als "Brücke für Europas Zukunft". Als 1964 die Olympischen Winterspiele in Innsbruck stattfanden, gehörte ein Besuch der schönen Brücke bereits zum Pflichtprogramm.

Europabrücke im Bau. Foto von 1962

(Bild: Sammlung Risch-Lau, Vorarlberger Landesbibliothek, CC BY 4.0)

Mit einer Höhe von 190 Metern über der Sill einer Spannweite von 198 Metern und einer Gesamtlänge von 815 Metern war sie 40 Jahre lang die höchste Brücke Europas. Als höchste Balkenbrücke der Welt gilt sie bis heute. Der mächtigste der fünf Pfeiler dieser Brücke ist 146,50 Meter hoch, mit der Fahrbahndecke erreicht sie eine Höhe von 192 Metern. Die Pfeiler wurden in Hohlkastenbauweise errichtet. Die Europabrücke bildet damit das Kernstück der Brennerautobahn, die 2019 von 16,83 Millionen PKW und 2,77 Millionen LKW genutzt wurde. Sportlich ist die Brücke heute zudem eine Attraktion für Bungee-Jumper.

Und die Autobahn selbst? Was später einmal die Brennerautobahn (oder Brennero) werden sollte, war auf österreichischer Seite am 5. April 1971 mit Erreichen der Staatsgrenze Brenner fertig. Auf italienischer Seite startete man am 4. Mai 1964 mit den Bauarbeiten und beendete sie 1974, kurz nach der ersten Ölkrise. Für die Benutzung der Brücken und Tunnels der vielfach auf Stelzen gelegenen Autobahn wurde von Anfang an eine Streckenmaut erhoben, für die in Österreich ein eigenes Gesetz verabschiedet werden musste.

Bei der Planung der Autobahn auf österreichischer Seite galt die Vorgabe durch den Stand der LKW-Technik, dass die maximale Steigung nicht 6 Prozent übersteigen durfte, für die spätere Europabrücke mit einer Steigung von 4 Prozent wurde bergauf eine zusätzliche Kriechspur vorgesehen, damit der Verkehr reibungslos fließen konnte. Mit zahlreichen Ausbauten und Verbesserungen ist die Europabrücke heute 22 Meter breit. So war man noch im Jahr 2010 sehr optimistisch, dass die Brücke den Anforderungen des Verkehrs entsprechen wird. Da erklärte der technische Leiter der Betreibergesellschaft Asfinag: "Wir leben etwas davon, dass die Berechnungsmethoden zur damaligen Zeit nicht so exakt waren, wie die heutigen es sind. Ende der 1950er sowie Anfang der 1960er-Jahre war Computertechnologie noch nicht üblich, sodass der Brücke einige Reserven mitgegeben wurden."

Blick auf die Europabrücke - Die imposante Brücke gilt seit 1963 als eine zentrale Verbindung auf der Brennerautobahn.

(Bild: Mimova)

Das optimistische Bild hat sich mittlerweile verändert: 2040 geht die Lebensdauer der Brücke ihrem Ende entgegen. Die Belastung durch jährlich 12 Millionen Fahrzeuge, davon 2,5 Millionen LKW haben den Verschleiß beschleunigt. Die Europabrücke soll bis zum Jahr 2044 durch eine neue Brücke ersetzt werden.

Die Strecke über den nur 1370 Meter hohen Brennerpass war spätestens seit der Römerzeit mit der Via Raetia von Verona bis Augsburg die wichtigste Transportverbindung über die Alpen. Aus dem Mittelalter ist eine Zählung bekannt, nach der jährlich 6500 Karren den Brenner passierten. Mit der Brennerbahn erlebte der Güterverkehr vor dem Ersten Weltkrieg einen enormen Aufschwung, auch wenn die steile Trassenführung und der Lokwechsel zwischen Österreich und Italien kompliziert war. Nach dem Krieg verlor Österreich Südtirol, wodurch die Grenzstation nun der Brenner war. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es die Brennerautobahn, die den LKW-Verkehr über die Alpen wieder attraktiver im Vergleich zur Bahn machten.

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Schon bald nach der Eröffnung der Autobahn zeichneten sich Probleme ab, weil die Zollbeamten auf italienischer Seite abends keine Wagen mehr abfertigten. Später gab es wiederholt Bummelstreiks. Auf die chaotische Situation reagierten LKW-Fahrer aus zehn Nationen im Februar 1984 mit einer Blockade an den Grenzübergängen Brenner und Kiefersfelden. Rund 4000 LKW standen sechs Tage lang, bis eine politisch-technische Lösung gefunden wurde: Italien sagte zu, die Grenze 24 Stunden offenzuhalten und die Fahrer mussten nur noch einen Grenzübergangsschein vorlegen statt Listen für jedes transportierte Gut. Die nächste Vereinfachung brachte der Beitritt Österreichs in die EU 1995: Die Zollkontrollen fielen komplett weg.

Auch in diesem Jahr dürfte es nach den Pfingstfeiertagen wieder Probleme für die Fahrer geben, denn am Dienstag nach Pfingsten soll die ungeliebte Blockabfertigung den LKW-Verkehr entzerren: Bei Kiefersfelden/Kufstein wird der LKW-Verkehr gestaut und so getaktet auf die Autobahn geschickt, dass nur 250 LKW pro Stunde passieren. Die Maßnahme dient wie das sektorale Fahrverbot und Nachtfahrverbot in Tirol für den LKW-Verkehr bzw. wie dem "Lufthunderter" in Tirol für Verbrenner-PKW dem Umweltschutz.

Tatsächlich hat sich seit der Fertigstellung der Autobahn in Österreich der Transitwiderstand als breite Bewegung konstituiert, zunächst als Bewegung gegen das Waldsterben, dann als Einsicht, dass der Klimawandel auch die Alpenregion erfasst. Es gab Brennerblockaden zur Jahrhundertwende und Aktionen, die an die Aktivisten der heutigen "Letzten Generation" erinnern. Das LKW-Nachtfahrverbot in Tirol wird als Erfolg dieser Initiativen gesehen.

Bis auf LKW-Verkehr nicht viel Los: die Europabrücke in einer Aufnahme vom 22. August 2007.

(Bild: Ing. Richard Hilber)

Die nächste Umweltschutz- und Transportbegleitungsmaßnahme ist bereits in Arbeit. Sie wird von Deutschland, Österreich und Italien getragen und heißt wahlweise digitales Verkehrsmanagement-System oder Brenner Digital Green Corridor. Angelehnt an das Slot-System im Hamburger Hafen soll die Digitalisierung dafür sorgen, dass LKW-Fahrer passgenau einen Slot für den Alpentransit buchen können. Verpassen sie die avisierte Einfahrtzeit, ist ein neuer Anlauf fällig. Das Slotsystem wird von Klima-Aktivisten abgelehnt. Sie befürchten, dass das Nachtfahrverbot aufgehoben wird

Das Slotsystem ist für die fernere Zukunft konzipiert, wenn der Bahnverkehr eine neue Qualität anbietet und dem rückläufigen Anteil der Bahntransporte am Brennerverkehr (26 Prozent) der Kampf angesagt wird. Seit 2004 bohrt und baggert man am Brennerbasistunnel. Er sollte ursprünglich 2025 fertig werden, doch nun ist 2032 der neueste Termin, immerhin rechtzeitig vor dem geplanten Abriss der Europabrücke. Einmal fertig, sollen 400 Züge pro Tag in 25 Minuten unter den Alpen durchrauschen. Dabei sind Güterzüge geplant, die im Rahmen des Slotsystems von LKW befüllt werden, ganz wie bei dem unter LKW-Fahrern beliebten Le Shuttle Freight unter dem Ärmelkanal. Ob dann noch eine neue Brücke nötig ist?

(mawi)