3 Jahre später kein bisschen weiser? Klage wegen Todesfall mit Teslas Autopilot

Der berühmteste Todesfall mit einem Tesla-Autopilot wurde 3 Jahre später erschreckend wiederholt. Hinterbliebene werfen Tesla vor, nichts verbessert zu haben.​

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Unfallfahrzeug eines rotes Model 3, das oberhalb der Türen abgeschoren ist.

Jeremy Banner saß in seinem Autpilot-gesteuerten Tesla Model 3, als die untere Hälfte (Bild) unter einem Sattelzug durchraste, die obere aber nicht.

(Bild: NTSB (gemeinfrei))

Lesezeit: 9 Min.
Inhaltsverzeichnis

38 Todesopfer bei Unfällen mit Tesla-Autos mit aktiviertem "Autopilot" zählt die Webseite tesladeaths.com. Der erste bekannte Fall ereignete sich 2016 in China, als das autonome System einen Tesla S in ein Straßenreinigungsfahrzeug lenkte. Einige Monate später rammte ein Tesla S im Autopilot-Modus einen querenden Sattelzug in Florida, Autoinsasse Joshua Brown war sofort tot. Der tödliche Unfall mit Teslas Autopilot machte weltweit Schlagzeilen. Drei Jahre später wiederholte sich der Unfall mit einem Model 3, das wiederum in Florida ebenfalls in einen querenden Sattelzug raste. Autoinsasse Jeremy Banner hatte keine Überlebenschance. Seine Hinterbliebenen erheben schwere Vorwürfe gegen Tesla.

Sie haben noch 2019 Klage gegen Tesla sowie den Betreiber und den Chauffeur des Sattelzugs erhoben. Mit letzteren beiden gelang ein Vergleich, doch der Prozess gegen Tesla steuert nach vier Jahren und mehr als 500 Eingaben zur Gerichtsakte auf ein Geschworenenverfahren im Oktober zu (Banner v Tesla, 50-2019-CA-009962-XXXX-MB, County Court Palm Beach County). Die Kläger werfen Tesla vor, auf die beim Todescrash 2016 offensichtlich gewordenen Unzulänglichkeiten nicht adäquat reagiert zu haben.

Banner fuhr am 1. März 2019 um 6:17 Uhr Morgens mit 110 km/h auf einer getrennten Richtungsfahrbahn in Florida. Er aktivierte das als "Autopilot" vermarktete Fahrerassistenzsystem seines Tesla Model 3. Zehn Sekunden später war er tot.

Sein Tesla kollidierte ungebremst und ohne Ausweichversuch mit einem querenden Sattelschlepper mit weißem Anhänger. Die Tesla-Sensoren (Kamera, Radar und damals noch Ultraschall) hatten nichts bemerkt. Der obere Teil des Tesla wurde abgerissen, der untere Teil fuhr unter dem Anhänger durch und kam erst nach mehr als einem halben Kilometer zum Stehen. Die Parallelen zum tödlichen Unfall vom Mai 2016 sind frappant. Tesla wusste, dass das System querende Fahrzeuge schlecht oder gar nicht erkennt – das haben von Tesla ausgewählte Mitarbeiter für den Prozess zu Protokoll gegeben.

Die Klage verweist auf eine Reihe inkriminierender Aussagen seitens Teslas: Ende 2015 behauptete Tesla-Chef Elon Musk, dass Tesla-Autos binnen zweier Jahre 2017 selbstfahrend sein würden. Zusatz: "Es ist ein viel leichteres Problem, als die Leute glauben." Anfang 2016 gab er an, dass der Autopilot "wahrscheinlich besser" Auto fahre als Menschen. Vier Monate später starb sein Kunde Joshua Brown.

Im Anschluss daran gab Musk gegenüber Journalisten zu, dass ein Upgrade des Systems den Unfall verhindert hätte. Während andere Hersteller neben Kameras, Radar und Ultraschall auch Lidar einbauen, hat Musk sich ausdrücklich gegen Lidar entschieden. Ein Lidar versendet Laserpulse, die von Objekten reflektiert und vom Lidar erkannt werden. Das könnte in der gegenständlichen Konstellation Gold wert sein, fehlt in Teslas aber bis heute. Seit 2021 verbaut Tesla sogar das Ultraschallsystem nicht mehr.

Weniger als einen Monat nach dem tödlichen Unfall im Jahr 2016 gab Musk an, dass autonomes Fahren "grundsätzlich gelöst" sei und der Computer bereits sicherer fahre, als Menschen. "Ich glaube, wir sind weniger als zwei Jahre entfernt von kompletter Autonomie – komplett", sagte Musk in einem Interview. Im Monat darauf beschuldigte er Regulierungsbehörden, ihn am Verkauf des "wirklichen Selbst-Fahrens" zu hindern.

Im Oktober 2016 präsentierte Tesla ein Video eines selbstfahrenden Autos. Im Vorspann heißt es: "Die Person im Fahrersitz ist nur aus rechtlichen Gründen dort. Sie tut überhaupt nichts." Später stellte sich heraus, dass das Video irreführend war: Mehrere Tesla-Mitarbeiter haben verraten, dass das Auto schlecht gefahren sei, obwohl die Route vorausgewählt war. Das Fahrzeug krachte während der Dreharbeiten sogar in einen Zaun und musste in die Werkstatt. Tesla musste die exakte Fahrweise mehrmals nachprogrammieren, bis ein herzeigbares Video zustande kam – das bis heute ohne Hinweis auf die Umstände online ist.

Im selben Monat warnte Musk Journalisten davor, kritisch über den Tesla-Autopiloten zu berichten. Denn damit würden sie "Menschen töten", schließlich sei der Autopilot der viel bessere Chauffeur. Das überraschte die eigenen Mitarbeiter. Der damalige Autopilot-Entwicklungsleiter warnte seine Kollegen in Marketing und Vertrieb davor, Begriffe wie "autonom" oder "selbstfahrend" zu verwenden, weil sie irreführend seien. Dennoch nutzen Musk und Tesla seit Jahren Bezeichnungen wie Autopilot, Enhanced Autopilot und Full Self-Driving Capability – Proteste seiner eigenen Entwickler hat Musk überstimmt. Der Entwicklungsleiter kündigte noch im Jahr 2016.

Als Jeremy Banner 2019 unter dem querenden Sattelzug starb, leitete Christopher CJ Moore die Entwicklung des Tesla-Autopiloten. Er unterstand direkt Musk und hat in einer prozessvorbereitenden Befragung ausgesagt, dass Musk sich sehr an Entwicklung und Entscheidungsfindung beteilige.

Die letzten Sekunden im Leben des Jeremy Banner aus Sicht der Frontkamera seines Tesla Model 3. Der Autopilot erkannte kein Hindernis und fuhr ungebremst und ohne Ausweichversuch weiter. Doch nur ein Teil des Elektroautos passte unter dem Anhänger durch.

(Bild: Jeremy Banner/NTSB)

Anfang 2021 gab Musk öffentlich an, er sei sicher, Teslas würden noch im selben Jahr unter Beweis stellen, autonom auf SAE-Level 5 zu fahren. Das ist das höchste Automatisierungsniveau, wurde aber noch von keinem Hersteller erreicht; das Kfz fährt dabei selbsttätig in allen Umgebungen und Wetterlagen, in denen auch ein Mensch noch lenken könnte. Moore sah den eigenen Fortschritt allerdings anders. Gegenüber dem kalifornischen Verkehrsministerium widersprach der Entwicklungschef im März 2021 seinem Chef: Tatsächlich leiste das System erst Level 2.

Wenig später musste Moore seinen Hut nehmen. Seine Vernehmung für das Gerichtsverfahren konnte nie abgeschlossen werden. Moores Aussageprotokoll versucht Tesla vor Gericht für unzulässig erklären zu lassen, damit es im Verfahren nicht verwendet werden kann. Nur ein kleiner Teil des Vernehmungsprotokolls ist in öffentlichen Akten enthalten, wovon wiederum ein Teil geschwärzt ist.

Teslas Verteidigungsstrategie scheint sich auf die eigenen Warnhinweise zu stützen: Die Person im Fahrersitz müsse immer genau aufpassen und gegebenenfalls eingreifen. Das in Teslas Werbevideo gezeigte ausdrückliche Nichtstun wäre demnach nicht OK. Zu einem ähnlichen Ergebnis ist bereits 2017 die US-Straßensicherheitsbehörde NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration) gekommen, als sie nach Joshua Browns tödlichem Zusammenstoß den Autopiloten sowie Teslas automatisches Bremssystem in den Modellen S und X untersuchte: Defekte in Design oder Leistung fand die Behörde damals keine.

Das automatische Bremssystem sei für Auffahrunfälle konzipiert und "nicht dazu gebaut, in allen Situation verlässlich zu funktionieren, darunter Kollisionen mit Querverkehr." Der Autopilot wiederum erfordere "die kontinuierliche und volle Aufmerksamkeit des Fahrers." Anders gesagt: Dass das Auto den Querverkehr nicht bemerkt hat, war bauartbedingt und kein Gebrechen. Vielmehr hätte der Fahrer den Querverkehr bemerken und bremsen müssen. Tesla-Fahrer sollten die Anleitung lesen, empfahl die US-Behörde.

Auch bei Banners Unfall hat Tesla nach eigenen Angaben keine Fehlfunktionen bemerkt. Das System habe wie geplant gearbeitet und sei eben nicht perfekt. Der Kunde hätte besser aufpassen sollen. Am 9. August hat Tesla die Abweisung der Klage noch vor Eröffnung des Gerichtssaalverfahrens beantragt. Das entsprechende Schriftstück ist auf dem Gerichtsserver, der nur mit nordamerikanischer IP-Adresse erreichbar ist, verzeichnet; aufgrund weiterer technischer Unzulänglichkeiten lässt sich das Dokument nicht abrufen. Daher sind heise online die juristischen Argumente nicht bekannt.

Banners Witwe reagierte zwei Tage später mit einer erweiterten Klage. Zusätzlich zu Schadenersatz fordert sie nun Strafschadenersatz. Die Beweise zeigten, dass Tesla gewusst habe, dass das Autopilotsystem mangelhaft war, und dass dieser Defekt für die tödlichen Unfälle 2016 sowie 2019 verantwortlich war. Tesla habe über die notwendige Technik verfügt, aber dennoch nichts unternommen, um den Mangel zu beheben. Und obwohl US-Bundesbehörden Tesla warnten, dass das System nicht für Straßen mit Querverkehr tauge, habe Tesla auch diese Einstellungen nicht angepasst.

Schon in der ursprünglichen Klageschrift zitiert die Frau aus der Bedienungsanleitung des Elektroautos: Demnach seien die Frontkamera und Radar dazu gedacht, zu erkennen, wenn ein Fahrzeug in der Spur vorausfährt. "Wenn der Bereich vor dem Model 3 frei ist, behält der verkehrserkennende Tempomat die eingestellte Geschwindigkeit bei. Wird ein Fahrzeug erkannt, ist der verkehrserkennende Tempomat so gebaut, dass er das Model 3 so verlangsamt wie notwendig (…)."

In Teslas Werbematerial hat sie folgenden Satz gefunden: "Unter Verwendung der Kameras, Radarsensoren und Ultraschallsensoren, erkennt die automatische Lenkung Fahrspurmarkierungen und die Präsenz von Fahrzeugen und Objekten, um das Model 3 zu lenken." Leider nicht immer. Daher ermittelt Kalifornien in Sachen Autopilot-Sicherheit und -Marketing gegen Tesla.

(ds)