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Elektro-Leichtkraftrad mit Allradantrieb Motowatt W1X: Einarmiger Bandit

Ingo Gach
Motowatt W1X Elektro-Leichtkraftrad mit Allradantrieb

Motowatt W1X: Elektro-Leichtkraftrad mit Allradantrieb

(Bild: Motowatt)

Ein E-Motorrad mit Radnabenmotoren-Allradantrieb, Einarmschwinge und Achsschenkellenkung für das Vorderrad. Das ist die Motowatt W1X aus Frankreich.

Zugegeben, der einfach wirkende Stahlrohrrahmen könnte so auch aus den 1970er-Jahren stammen und die Motowatt W1X wirkt insgesamt ein wenig pummelig. Trotzdem ist sie ein absolut außergewöhnliches Elektromotorrad, denn sie verfügt über Achsschenkellenkung mit Einarmschwinge und vor allem Allradantrieb. Die Idee des zweiradgetriebenen Motorrads ist natürlich nicht ganz neu, aber bislang konnte die Industrie noch keine überzeugende Lösung anbieten, die sich durchgesetzt hätte. Mit Radnabenmotoren ändert sich das vielleicht.

Yamaha hatte 2003 die allradgetriebene WR 450 F 2-Trac in Zusammenarbeit mit ihrer damaligen Tochterfirma Öhlins gebaut. Damals war am Ritzel ein zweiter Kettentrieb für eine Hydraulikpumpe angeflanscht. Zwei Schläuche führten zu einem Hydraulikmotor samt Getriebe in der Vorderradnabe. Wenn das Hinterrad Traktion verlor, wurden bis maximal 30 Prozent der Kraft nach vorn übertragen. In Sachen Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten bot sie klare Vorteile, war aber auch weniger handlich und sieben Kilogramm schwerer. Yamaha legte eine Kleinserie auf, die aber rund 50 Prozent teurer war als die Basis-Version mit konventionellem Hinterradantrieb, was wohl ein weiterer Grund war, warum sich die WR 450 F 2-Trac nicht durchsetzte. Die Idee des Allradantriebs hat Yamaha vor wenigen Monaten in dem Konzept-Elektrofahrrad Y-01W AWD wieder aufgegriffen, aber noch nicht zur Serienreife entwickelt.

Motowatt W1X (0 Bilder) [1]

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Auch bei der Achsschenkellenkung mit Einarmschwinge am Vorderrad war Yamaha mit der Yamaha GTS 1000 schon 1993 Pionier im Serienbau. Ein Federbein an der Vorderradschwinge stützte sich dabei am Rahmen ab. Die Steuerimpulse wurden über zwei Kardangelenke samt Schiebegelenk auf das Vorderrad übertragen. Das System war allerdings sehr schwer und brachte als einzigen Vorteil einen Bremsnickausgleich. Davor hatte sich bereits Bimota an der Tesi 1D an einer Radnabenlenkung mit Zweiarmschwinge zum Vorderrad versucht. Auch das Projekt war nicht von Verkaufserfolg gekrönt.

Das Elektromotorrad der Brüder Henri und Olivier Rabatel soll nun trotz der bekannten Probleme die Vorteile von Allradantrieb und Achsschenkellenkung verbinden. Sie gründeten Motowatt 2020 in Dardilly bei Lyon und betrieben vier Jahre lang intensive Entwicklung, die Produktionsstätte liegt jedoch in Cambes. Ihr Ziel war es, ein lokal emissionsfreies Motorrad für den täglichen Gebrauch zu schaffen, dessen Materialien weitestgehend wiederverwendbar sein sollten. Seit letztem Jahr ist Motowatt Teil des von der französischen Regierung ins Leben gerufene Programm "France 2030", das innovative Unternehmen unterstützt, ihre Entwicklungen voranzutreiben.

Elektro-Leichtkrafträder

In der W1X werden beide Räder von je einem Radnabenmotor angetrieben. Zusammen bringen sie es auf eine Leistung von 25 kW (34 PS) in der Spitze, als Dauerleistung gibt Motowatt 11 kW an, damit die W1X mit der Führerscheinklasse A1 bzw. B196 gefahren werden darf. Leider macht der Hersteller noch keine Angaben über die verwendeten Batterien, außer dass sie fünfeinhalb Stunden brauchen, um von 20 auf 80 Prozent zu laden.

Motowatt verspricht eine Reichweite von bis zu 130 km. Erfahrungsgemäß machen die Hersteller im Vorfeld eines möglichen Verkaufs immer die optimistischsten Angaben – bis am Ende der Katalog die meist bescheideneren Werte nach dem EU-Fahrzyklus verbindlich ausweist. Immerhin werden die beiden Elektromotoren mit einem Fahrzeuggewicht von 178 kg wohl problemlos fertig und sorgen vor allem für eine sichere Traktion, auch bei nassen Bedingungen. Dazu muss man wissen, dass es in Frankreich sehr viele Pendler gibt, die mit großen Rollern oder Motorrädern jeden Tag zur Arbeit in die überfüllten Innenstädte fahren.

Motowatt W1X (7 Bilder) [14]

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Eine massiv wirkende Einarmschwinge führt das Vorderrad.
(Bild: Motowatt )

Dass eine Achsschenkellenkung und Radnabenmotoren nicht gerade zur Handlichkeit eines Motorrads beitragen, ist bekannt, aber ohne eine Testfahrt sollte man keine voreiligen Schlüsse ziehen. Beim Bremsen vor Kurven dürfte sich die W1X wohl vorbildlich verhalten, weil sie vorn kaum eintaucht [16] und entsprechend ruhig auf der Straße liegt. Verzögert werden kann sie über Einkolben-Bremszangen und je eine Bremsscheibe pro Rad, die vorne wie hinten identisch aussehen. Die beiden ebenfalls identischen, voll einstellbaren Federbeine stammen von der französischen Marke EMC. Auch bei der Bereifung griff Motowatt mit dem Michelin Pilot Street – vorne in 120/70-17 und hinten in 130/70-17 – zu französischen Produkten.

Der Stahlrohrrahmen der W1X liegt komplett offen. Ungewöhnlich für ein Avantgarde-Motorrad ist der Sitzbankbezug mit Rautenmuster im Retro-Design. Der praktische Gepäckträger dürfte Serienausstattung sein. Die komplette Lichtanlage inklusive des kreisrunden Tagfahrlichts, Rücklicht und der Blinker wird von LEDs illuminiert. Informationen bezieht der Fahrer von einem TFT-Display, das auf den Werksfotos allerdings nicht eingeschaltet ist und der Hersteller äußert sich noch nicht über das Cockpit. Sehr schick zeigen sich die gefrästen Rückspiegelausleger. In der Tankattrappe lassen sich Utensilien verstauen.

Motowatt verkündet, dass zukünftige Kunden sich ihre W1X nach ihren Vorstellungen zusammenstellen können. Es wird praktisches Zubehör wie Tankrucksäcke, Koffer und ein Top-Case geben. Statt der Serien-Bremsen können solche von Beringer geordert werden, ebenso wie größere Felgen und andere Reifen. Noch ist das innovative Elektromotorrad mit Allradantrieb nicht auf dem Markt, kann aber ab März vorbestellt werden, der Preis beträgt 15.000 Euro und die Auslieferung soll im Januar 2025 beginnen.

Hersteller Motowatt
Modell W1X
Motor und Antrieb
Motorart permanenterregter Elektromotor
Leistung in kW (PS) 8 (11), Boostleistung 25 (34)
Batteriekapazität (kWh) k.A.
Drehmoment (Nm) k.A.
Endantrieb Direkt
Fahrwerk
Rahmen Stahlrohr
Radaufhängung vorn Einarmschwinge, Feder-Dämpfer-Bein
Radaufhängung hinten Einarmschwinge, Feder-Dämpfer-Bein
Reifengröße vorn 120/70-17
Reifengröße hinten 130/70-17
Bremsen vorn Einkolbenbremszange, Einzelscheibe
Bremsen hinten Einkolbenbremszange, Einzelscheibe
Federweg in mm v/h k.A.
Maße und Gewichte
Radstand (mm) k.A.
Nachlauf (mm) k.A.
Lenkkopfwinkel (Grad) k.A.
Leergewicht (kg) 178
Sitzhöhe (mm) k.A.
Fahrleistungen
Höchstgeschwindigkeit (km/h) k.A.
Beschleunigung von 0 auf 100 km/h Sekunden k.A.
Reichweite (km) 130

(fpi [17])


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[3] https://www.heise.de/news/Naxeon-I-AM-aus-China-Elektro-Leichtkraftrad-mit-Semi-Feststoff-Akkus-9588814.html
[4] https://www.heise.de/news/Elektro-Leichtkraftrad-QJMotor-OAO-Pro-Vier-Gaenge-Menue-9241962.html
[5] https://www.heise.de/news/Yadea-Keeness-Elektro-Leichtkraftrad-mit-Wechselakkus-9225520.html
[6] https://www.heise.de/news/Elektromotorrad-BMW-CE-02-eParkourer-Kompaktes-Designstueck-9212409.html
[7] https://www.heise.de/news/Elektromotorrad-RTR-Electric-Motorcycles-799e-Schlicht-und-ergreifend-8239565.html
[8] https://www.heise.de/news/Elektromotorrad-Leonart-Rigger-Schlankes-Leichtkraftrad-fuer-Einzelgaenger-7548333.html
[9] https://www.heise.de/hintergrund/Mut-zur-Luecke-Elektro-Motorrad-mit-Radnabenmotor-Sondors-Metacycle-6268408.html
[10] https://www.heise.de/tests/Siebenmeilenstiefel-Das-Human-Hybrid-E-Bike-eRockit-im-Fahrbericht-6216853.html
[11] https://www.heise.de/hintergrund/RGNT-Motorcycles-Elektro-Kleinkraftrad-mit-leisem-Direktantrieb-im-Retro-Stil-6196385.html
[12] https://www.heise.de/tests/Fahrbericht-Elektro-Leichtkraftrad-Supersoco-TCmax-6153844.html
[13] https://www.heise.de/hintergrund/E-Leichtkraftrad-Cineco-E-RX1-Elektro-Einspur-SUV-9618875.html
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[16] https://www.heise.de/news/Naxeon-I-AM-aus-China-Elektro-Leichtkraftrad-mit-Semi-Feststoff-Akkus-9588814.html
[17] mailto:fpi@heise.de