ICANN, US-Regierung und Internet-Community

Während es beim Vergabeverfahren für gTLDs seit Monaten kracht und scheppert, legt die US-Regierung die ICANN beim DNS-Betrieb an die Leine. Innerhalb der ICANN knirscht es auch bei anderen Entscheidungen.

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Von
  • Monika Ermert

Während es beim von der ICANN durchgeführten Vergabeverfahren für generische Top-Level-Domains seit Monaten kracht und scheppert, spricht die US-Regierung der Organisation erneut die Verwaltung des Domain Name System zu – und legt dabei die DNS-Verwaltung an die Leine der US-Behörden. Dieser Vorgang ist allerdings nicht der erste, bei dem die Nutzer und Regierungsvertreter in der ICANN vor vollendete Tatsachen gestellt werden.

Unstimmigkeiten zwischen dem ICANN-Board, den Regierungen und den Nutzern gibt es immer wieder bei Vertragsverhandlungen: So berücksichtigt die ICANN-Führung zwar die Ansprüche von Strafverfolgern und veranschlagt auch ein Budget dafür. Nach Meinung der ICANN-Community bleibt dabei allerdings der Datenschutz auf der Strecke. Manche der ICANN-Vorschläge etwa zur Speicherung von Domain-Vorratsdatenspeicherung widersprechen zum Beispiel dem deutschen Datenschutzrecht. Die Nutzervertreter haben eigene Briefe an die Datenschutzbehörden in aller Welt vorbereitet, die in den kommenden Tagen versandt werden sollen.

Für die beim ICANN-Treffen in Prag versammelten 50 Regierungen steht vor allem die Durchsetzungsfähigkeit (PDF-Datei) der Selbstverwaltung im Mittelpunkt: Die ICANN kann zwar den Registries und rund 1000 Registraren im Fall von Regelverstößen den Vertrag kündigen, nicht aber den nur mit den Registraren verbundenen 8000 Resellern. Nach Ansicht der Regierungsvertreter stellt das Aufsichtsrolle des ICANN über das DNS in Frage.

Gerade der – gelinde gesagt als Desaster zu bezeichnende – Ablauf des Verfahrens für die Registrierung neuer gTLDs offenbart weitere Schwächen, die über rein technische Aspekte hinausgehen. Während die Abschaltung des Meldesystems noch eher technische Gründe hatte, lässt sich kaum nachvollziehen, warum die ICANN für die Bearbeitung der gTLD-Einreichungen ein Verfahren wählte, das viel Kritik einstecken musste und an die Beschaffung des Passierscheins A38 erinnert. Selbst Regierungsvertreter wie die Kanadierin Heather Dryden fürchteten, dass das digitale Bogenschießen mehr Schaden verursacht als Nutzen bringt (PDF-Datei). Sehr spät und als Reaktion darauf stoppte die ICANN das umstrittene Vergabeverfahren in der vergangenen Woche.

Nach Meinung vieler Kritiker meidet die ICANN die öffentliche Diskussion mit der Community. Beschlüsse fälle sie vorzugsweise hinter verschlossenen Türen und stellt damit andere ICANN-Gruppen vor vollendete Tatsachen. Die seien hingegen oft "schlechte Entscheidungen", kritisiert etwa der spanische Anwalt Amadeu Abril i Abril. Die Art und Weise der Entscheidungsfindung beim ICANN sei für die Community zudem "beschämend", kommentiert etwa Jeff Neumann, Justiziar der biz-Registry Neustar. Details zu dem offenbar im Hau-Ruck-Verfahren zustande gekommenen DNS-Rootzonen-Vertrag zwischen ICANN und US-Regierung bleiben für die ICANN-Community damit genauso unklar wie etwa die ICANN-Entscheidung zur Vergabe der .com-TLD an Verisign.

Laut eigener Darstellung (PDF-Datei) versteht sich die ICANN als "bestes Beispiel für die Zusammenarbeit verschiedener Mitglieder der Internet-Gemeinschaft", was wenigsten derzeit von den oben beschriebenen Vorgängen kaum bestätigt wird. Gerade die Intransparenz bei den Entscheidungen im ICANN-Board und die offenkundige Dominanz der US-Regierung provozieren derzeit eher eine Zersplitterung des Internets etwa durch die Vorschläge zu eigenen, national-kontrollierbaren Domain Name Systemen. (rek)