IKT-Energiebedarf: Worst-Case-Szenario wird wahrscheinlicher

2030 könnten Rechenzentren und Netze 58,5 TWh schlucken statt 23,3 TWh 2020, warnen Technikfolgen-Abschätzer. Verbrauchern legen sie Datensparsamkeit ans Herz.

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(Bild: Timofeev Vladimir/Shutterstock.com)

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Fortschritte bei der Energieeffizienz von elektronischen Komponenten für Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) wie Prozessoren werden zunehmend durch den "enormen Anstieg der Nutzung digitaler Anwendungen konterkariert". Das ist der Tenor einer jetzt veröffentlichten Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag (TAB). Damit erschienen die "Annahmen für das Worst-Case-Szenario" für den Energiehunger der digitalen Infrastrukturen für 2030 "weiterhin plausibel".

Allein der Stromverbrauch der Rechenzentren betrug 2019 rund 14,9 Terawattstunden pro Jahr (TWh/a), geht aus dem Bericht hervor. Dies entspreche einem Plus von etwa 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2010 beziehungsweise 25 Prozent gegenüber 2015. Der Anstieg werde zu einem Gutteil vom Trend zu immer größeren Datenzentren für die Cloud getrieben, obwohl diese in der Regel vergleichsweise energieeffizient betrieben würden. Die Telekommunikationsnetze (Fest-, Mobilfunk- und Breitbandkabelnetz) hätten 2019 etwa 7,1 TWh geschluckt, während es 2010 noch etwa 6,5 TWh gewesen seien.

Die Forscher hatten zum ursprünglichen Redaktionsschluss für die Analyse Ende 2020, der aufgrund der Corona-Pandemie auf Sommer 2022 verschoben wurde, ein "Trendszenario" für 2030 für wahrscheinlich gehalten. Damit wollten sie "die derzeit beobachteten Effizienzfortschritte und Steigerungen des Datenvolumens" fortschreiben. Demnach hätte der Energiebedarf von 22 auf 30,6 TWh im Jahr 2030 steigen sollen, was einer Zunahme um 80 Prozent gegenüber 2010 entsprochen hätte.

Aufgrund des pandemiebedingten Digitalisierungsschubs lag der Energieverbrauch der digitalen Infrastrukturen aber schon 2020 um 0,7 TWh höher als für 2019 prognostiziert. Die Rechenzentren in Deutschland schluckten demnach 16,0 TWh, die Netze 7,3 TWh. Für 2021 würden 1,2 TWh mehr erwartet als zunächst geschätzt.

Für das laufende Jahrzehnt erwarten die Autoren im Trendszenario so nun einen deutlich stärkeren Anstieg des Energiebedarfs der digitalen Infrastrukturen auf insgesamt 39,2 TWh/a bis 2030. Weiter in den Fokus rücke aber das Worst-Case-Szenario mit zunehmendem Konsum und einer geringeren Steigerungsrate bei der Effizienz. Damit sei ein Zuwachs des Verbrauchs bis 2030 auf 58,5 TWh/a denkbar.

Den vorteilhaftesten Ausblick, wonach der Energieverbrauch 2030 wieder auf das Niveau von 2010 zurückgeht, erachten die Beobachter dagegen trotz Effizienzpotenzialen bei 5G und Glasfaser als "nicht mehr realistisch". Jüngst war auch bei der Konferenz "Bits & Bäume" zu hören gewesen, dass die "Mainstream-Digitalisierung" die Klimakrise verschärfe.

Zusätzlich geben die Wissenschaftler zu bedenken: "Bei der Nutzung von IKT-Dienstleistungen in Deutschland werden nicht nur Ressourcen im Inland beansprucht, sondern wegen der ausgeprägten internationalen Vernetzung des Digitalsektors auch erhebliche Energiebedarfe" im Ausland ausgelöst. Dieser Anteil liege bei mindestens 10 Prozent des Verbrauchs der Rechenzentren in Deutschland.

Auch Endgeräte zur privaten Internet- und digitalen Mediennutzung tragen zum IKT-bedingten Gesamtenergieverbrauch bei. Laut einer Erhebung des Gerätebestands in privaten Haushalten in Deutschland sowie von Daten zur durchschnittlichen Leistungsaufnahme und zu den täglichen Nutzungszeiten dieser Apparate habe der Betrieb hier 2018 knapp 15,1 TWh an elektrischer Energie verbraucht, heißt es in der Untersuchung. Den größten Anteil mit zusammen knapp 12,3 TWh (81 Prozent) steuerten Fernseher, stationäre PCs mit Monitoren sowie Router bei.

Für die Netze hat sich dem Bericht zufolge für 2018 ein durch den Heimbereich ausgelöster Energiebedarf von insgesamt 4,5 TWh ergeben. Dazu kommt der für die TV-Datenübertragung per Kabel, der 1,3 TWh betrug. Der von den Verbrauchern in Haushalten verursachte Energiebedarf in deutschen Rechenzentren wird mit etwa 3,5 TWh/a beziffert, wobei der Anteil für soziale Netzwerke und Suche auf etwa 1,4 TWh/a geschätzt wird. Als untere Grenze für den Energieverbrauch der privaten Internet- und digitalen Mediennutzung in Rechenzentren hierzulande und im Ausland ergibt sich für 2018 so ein Wert von 4,9 TWh.

Angesichts der Trendwende hin zu mehr Stromhunger sollten politische Möglichkeiten ausgeschöpft werden, raten die Forscher. So könnte etwa die Verbrauchskennzeichnung durch EU-Energielabels, die bisher nur für Fernseher und Monitore verpflichtend sind, auf weitere energieintensive Geräte wie Laptops, Tablets und Smartphones ausgeweitet werden. Zudem seien schärfere Ökodesign-Vorschriften sinnvoll.

Als weiteren Ansatzpunkt zum Drosseln des privaten Energieverbrauchs durch IKT sehen die Folgenabschätzer die Drosselung des Anstiegs der verarbeiteten Datenmenge. Eine Schlüsselfunktion nehme hier die Softwareentwicklung ein: "Hier sollte auf die Kriterien Datensparsamkeit und Energieeffizienz der Anwendungen ein wesentlich größeres Augenmerk als bisher gelegt werden."

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Zudem existierten gewisse Fehlanreize auf Nutzerseite, die den Datenverkehr in die Höhe treiben. Dazu zählten Flatrates in Mobilfunkverträgen. Generell werde der Energieverbrauch der IKT-Infrastruktur quasi per Klick von den Anwendern noch kaum wahrgenommen. Daher sollten Initiativen entwickelt werden, um die Konsumenten "für das Thema zu sensibilisieren und ihnen Orientierung bei Nutzungsentscheidungen zu geben". Ferner könnten Energiemanagementfunktionen von Systemen im Smart Home durch die Realisierung von Einsparpotenzialen beim Wärmeverbrauch einen wichtigen Beitrag zur Energiewende im Gebäudesektor Deutschlands leisten.

Auf Industrieseite führen die Verfasser bei Effizienzchancen etwa die Nutzung von Abwärme an, die in Rechenzentren entsteht. Aktuell würden etwa 15 TWh/a weitgehend weggekühlt, anstatt sie etwa in ein Fernwärmenetz einzuspeisen. Durch eine sinnvollere Nutzung könnten jährlich bis zu 4 Millionen Tonnen CO₂ eingespart werden. Dafür müssten Wärmepumpen, die die Temperatur der lauwarmen Abluft anheben, aber mit Grünstrom betrieben werden. Rechenzentren verfügten ferner über gute technische Voraussetzungen, um als Puffer in ein Smart Grid integriert zu werden.

Die Initiativen globaler IT-Unternehmen, ihre Leistungen CO₂-neutral anzubieten, sind laut dem Bericht oft nur darauf ausgelegt, den jährlich in ihren Betriebsstätten verbrauchten Strom durch Einkauf oder Eigenproduktion derselben Menge an erneuerbarem Strom auszugleichen. Eine physische Vollversorgung mit volatil erzeugtem Wind- und Solarstrom stelle eine wesentlich größere Herausforderung dar. Erzeugungsschwache Zeiten müssten dann etwa mit großvolumigen Stromspeichern oder grünem Wasserstoff überbrückt werden.

(olb)