Bundespräsident: "KI ist nicht demokratisch gewählt"

Frank-Walter Steinmeiner nahm die Jahrestagung des Ordens Pour le mérite zum Anlass, relativ ausführlich auf das Thema Künstliche Intelligenz einzugehen.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (M.) am Sonntag auf der Jahrestagung des Ordens Pour le mérite.

(Bild: Henning Schacht / Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

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Das Thema Künstliche Intelligenz beschäftigt auch den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Deutlich wurde dies am gestrigen Sonntag in seiner Rede zur Jahrestagung des Ordens Pour le mérite in Berlin, in der er auf verschiedene Aspekte der KI einging und einige Fragen und Gefahren ansprach, die sich aus der Technik ergeben.

Mögliche Folgen für die Demokratie durch die Nutzung von KI würden ihn als Bundespräsidenten besonders treiben, sagte er in seinem Amtssitz Schloss Bellevue. "Wohin führt es, wenn uns die KI mit großer Plausibilität Dinge erklärt, Wissen anbietet, Bilder erstellt, die mit der Realität wenig bis nichts zu tun haben? Wie können wir debattieren und entscheiden, wenn wir uns auf die Fakten nicht mehr verlassen können?"

Schließlich könne KI manipulativ und böswillig eingesetzt werden. Dabei bezog sich Steinmeier auf ein vermeintliches Foto von wütend schreienden Männern mit schwarzen Haaren, das in Deutschland die Runde machte, darunter ein Slogan gegen Flüchtlinge. "Bis bei diesem Bild erkannt wurde, dass es diese Männer überhaupt nicht gibt, dass einer gar einen Finger zu viel hat, da kursierte das Foto schon auf vielen Kanälen. Angst verbreiten mit Fakes, das funktioniert leider viel zu gut." Ein Bild einer Explosion am Pentagon, das vor wenigen Wochen kursierte, sei als seriöse Nachricht getarnt, tausende Male aufgerufen und hunderte Male geteilt worden. "Der Fake wurde entlarvt, aber an den Finanzmärkten waren die Börsenkurse bereits eingebrochen", sagte der Bundespräsident.

Gefälschte oder retuschierte Fotos habe es seit Entdeckung der Fotografie gegeben, heute aber könne sie fast jeder erstellen und prinzipiell unbegrenzt mit wenigen Klicks verbreiten. "Nicht immer ist die Klarstellung so schnell und eindeutig, und nicht immer erreicht die Klarstellung alle, die die Nachricht gesehen haben", sagte der Bundespräsident.

Das Ende der Demokratie sehe er aber nicht aufscheinen, KI eigne sich nicht als alleinige Grundlage der politischen Entscheidungen für morgen. "In einer Demokratie geht es eben nicht um das Reproduzieren oder Automatisieren von Entscheidungen, sondern um das gesellschaftliche Aushandeln, um Erkenntnisgewinn, ums Verändern und Verbessern, um Meinungspluralität, um den zivilisierten Streit und die gemeinsame Lösung." Es gebe aber "autoritäre und libertär-technokratische Mächte und Kräfte", die das ganz anders sehen würden. Daher sei es umso wichtiger, "dass wir in unserer Haltung eindeutig sind".

Technik allein könne nicht helfen, der mit KI betriebenen Desinformation zu begegnen, vielmehr bräuchten alle Menschen eine Art digitaler Allgemeinbildung. Und um aufdecken können, wenn KI böswillig verzerrend eingesetzt wird, sei ein starker und unabhängiger Journalismus nötig. "Es braucht Medien, die sich nicht am Ende selbst vom Einsatz der KI abhängig machen, wenn sie recherchieren." In diesem Zusammenhang regte Steinmeier eine Art Wasserzeichen an, das kennzeichnet, wenn Bilder und Texte von einer KI produziert wurden. Dafür brauche es einen ethischen und rechtlichen Rahmen, wirksame Standards und Kontrollinstanzen.

Weder die KI noch die sie betreibenden Unternehmen seien demokratisch gewählt. Ein Algorithmus könne möglicherweise gute Entscheidungen anbieten, er sei aber kein Subjekt, sagte Steinmeier. "Er kann diese Entscheidungen nicht selbst verantworten und sie niemals legitimieren." Er könne nicht beurteilen, aus welcher Intention führende KI-Entwickler vor ihrer eigenen Technik warnen, also beispielsweise, ob dies aus Marketingerwägungen oder Sensationsgier geschehe. Manche würden in der Kritik den Versuch sehen, die Verantwortung für mögliche schwerwiegende Schäden auf die Politik abzuwälzen. "Die Warnung, dass potenziell unbeherrschbare Risiken auf uns zukommen, ist in der Welt, und sie verdient Beachtung."

Steinmeier hielt seine Rede auch anlässlich der Aufnahme von verdienstvollen Wissenschaftlern als neue Mitglieder in dem ursprünglich vom preußischen König Friedrich II. gestifteten Orden Pour le mérite, darunter auch der Philosoph Jürgen Habermas. ChatGPT sei nicht darunter, sagte der Bundespräsident zum Ende seiner Ansprache. Im Gegensatz zur Exzellenz, die in dem Orden vertreten sei, sei Künstliche Intelligenz noch Mittelmaß.

(anw)