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Mainframes: Exzellente Chancen für Linux-Admins, aber Manager müssen umdenken

Berthold Wesseler

Die Ausbildung von Mainframe-Fachkräften kommt meist zu kurz – aber wer nur an Cobol denkt, liegt falsch: Gefragt sind vor allem Linux- und Java-Kenntnisse.

Systemverwalter und Entwickler werden gerade im Mainframe-Umfeld händeringend gesucht – und trotzdem kommt die Ausbildung der Fachkräfte eklatant zu kurz. Wir sprechen mit Wolfram Greis von der European Mainframe Academy darüber, wie sich akademische Einrichtungen und Unternehmen gut für die Zukunft aufstellen lassen.

Die Mainframe-Interviews, Folge 7: Defizite und Chancen der Ausbildung

(Bild: 

Dominik Pfau

)

Mainframes sind seine Berufung: Wolfram Greis ist als Geschäftsführer der European Mainframe Academy verantwortlich für die technische Infrastruktur und Umsetzung der Mainframe-Lehrgänge. Außerdem ist er Präsident des Fördervereins Academic Mainframe Consortium e.V., der die Ausbildung zum Thema Enterprise Computing an Europas akademischen Einrichtungen unterstützt, und Chairman Mainframe Modernization im Anwenderverein ceCMG, der für moderierten Austausch zwischen Nutzern, Dienstleistern, Beratern und Herstellern im Umfeld Enterprise IT steht. Greis versteht sich selbst als „Mainframe-Allrounder, aber immer noch am Lernen!“ Der Informatiker hält als gefragter Dozent für Mainframe-Topics Vorlesungen an Hochschulen, aber auch Präsentationen und Keynotes auf Konferenzen im In- und Ausland.

Herr Greis, sind Mainframes heute noch relevant?

Relevanter als Viele denken! In Einführungsvorlesungen an Universitäten und Hochschulen stelle ich gerne die Frage: Wer von euch hat schon mal einen Mainframe benutzt? Es gehen wenige Hände hoch. Dann frage ich: Wer hat schon mal Geld abgehoben an einem Geldautomaten? Wer hat schon mal mit einer Kreditkarte bezahlt? Wer ist schon mal mit einer Airline geflogen? Wer hat schon einmal bei Rewe eingekauft? Hier sind – mit wenigen Ausnahmen – immer Mainframes im Spiel. Das heißt: Wir kommen täglich mit Mainframes in Kontakt, ohne dass uns das bewusst wird.

Welche speziellen Skills sind für den Betrieb von Mainframes notwendig?

Es ist vor allem die Komplexität, die hier die entscheidende Rolle spielt. Da Mainframes in der Regel tausende und zehntausende Benutzer gleichzeitig bedienen, sind auch die Infrastrukturen im Hintergrund komplex, denn sie sorgen für Hochverfügbarkeit und den unterbrechungsfreien Betrieb. Dafür werden spezielle Skills gebraucht.

Unterscheiden muss man hier vor allem noch die Expertengruppen: Für Anwendungsentwickler spielt die Plattform eine weniger große Rolle als für die Administratoren. Früher hat man letztere als Systemprogrammierer bezeichnet. Für die Administratoren ist Programmierung heute jedoch kaum noch relevant, dafür umso mehr das Verwalten von Petabytes an Storage, von Security und von den Datenbank- und Transaktionsumgebungen.

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Droht ein Fachkräftemangel – oder gibt es den bereits? In den USA mussten Banken oder auch Behörden über 70-jährige COBOL-Rentner reaktivieren, um beispielsweise Gesetzesänderungen zu implementieren. Wie sieht die Situation in Deutschland aus?

Ja klar, es gibt einen Fachkräftemangel. Den gibt es generell in der IT – und im Mainframe-Umfeld macht er sich noch eklatanter bemerkbar. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe. Der erste ist, dass man sich in den letzten Jahren in den Unternehmen viel zu wenig um die Ausbildung von Nachwuchs gekümmert hat. Der zweite ist, dass der Mainframe an Universitäten und Hochschulen so gut wie keine Rolle mehr spielt. Wie sollen sich Studierende für Mainframes interessieren, wenn sie gar nicht wissen, dass – und vor allem auch warum – es sie gibt.

Ein weiterer Aspekt noch: Es geht nicht nur um Hochschulabsolventen, die gebraucht werden. Auch in der Ausbildung von Fachinformatikern spielt der Mainframe heute leider keine Rolle mehr. In der dazu erhältlichen Fachliteratur für Fachinformatiker werden Mainframes als Dinosaurier und veraltet dargestellt und bis auf eine Randnotiz ignoriert. Wer genauer hinschaut sieht aber: Es gibt kaum eine modernere Plattform.

Dass COBOL-Rentner in den USA aktiviert werden mussten, liegt daran, dass diese COBOL-Programme seit Jahrzehnten nicht mehr angefasst und überarbeitet wurden. Auch COBOL hat sich verändert und wurde modernisiert. Es sollte doch eigentlich nicht gar so arg verwundern, dass Programme, die man zig Jahre nicht mehr verändert und verbessert hat, in extremeren Situationen nicht mehr vernünftig arbeiten. Das hat wenig mit COBOL zu tun!

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Wie können Unternehmen, die auf Mainframes in ihrer IT-Infrastruktur setzen, dem Problem des Fachkräftemangels begegnen?

Man muss der Herausforderung ganzheitlich begegnen. Wir haben in Deutschland ein Academic Mainframe Consortium (AMC e.V.) als gemeinnützigen Verein ins Leben gerufen und können bereits schöne Erfolge verbuchen. Von Fördermitgliedern und IBM gesponsert, haben wir zwischenzeitlich Mainframes an den Universitäten Leipzig, Frankfurt, Tübingen, Erlangen-Nürnberg, Magdeburg und an der Hochschule Luzern im Einsatz. Weitere Universitäten können sich jederzeit gerne anschließen. Es muss nicht jede Universität einen Mainframe im Keller haben, um die Ausbildung zu ermöglichen. Allerdings benötigen die Universitäten dann Unterstützung, da die Professoren – wie auch die Manager in den Unternehmen – in ihrer eigenen Ausbildung wenig über Mainframes erfahren haben.

Mitglieder im AMC e.V. sind Universitäten, Studenten, Anwender, Hersteller und Förderer, denen die Plattform am Herzen liegt. Die Anzahl Mitglieder wächst derzeit stetig. An Universitäten, Hochschulen und in der Fachinformatiker-Ausbildung wird das Thema Mainframe hochgebracht, die Unternehmen können sich als interessante Arbeitgeber präsentieren und die European Mainframe Academy wird dann mit der vertieften Ausbildung betraut.

Außerdem haben wir über das AMC in Zusammenarbeit mit dem Hasso Plattner Institut an der Uni Potsdam im Jahr 2017 den ersten deutschen Mainframe MOOC – die Abkürzung für Massive Open Online Course – ins Leben gerufen und konnten damit deutlich über 8.000 Subscriptions verzeichnen, was uns bei diesem doch eher exotischen Thema positiv überrascht hat. Die Inhalte zu diesem MOOC habe ich gemeinsam mit Professor Philipp Brune von der Hochschule Neu-Ulm erstellt. Professor Brune hält zwischenzeitlich Mainframe-Vorlesungen an der Goethe-Universität Frankfurt, nachdem dort einige große Finanzdienstleister in Frankfurt dies gefordert haben.

Sie haben gerade die Manager erwähnt. Haben die auch Defizite?

Ja, dem ist so! Wie Professoren, die heute an den Universitäten lehren, sind auch die Manager, die heute in den Unternehmen am Ruder sind, in ihrer Ausbildung nicht mit Mainframes konfrontiert worden. Sie sehen jedoch die hohen Kosten ohne den Gesamtzusammenhang. Wer eine seriöse TCO-Analyse macht, stellt dann aber meistens fest, dass der Mainframe weniger Kosten pro Transaktion verursacht, als alle anderen Plattformen. Dies vor allem dann, wenn die Transaktionsraten verhältnismäßig hoch sind.

Wir sind auch hier aktiv geworden und bieten seit 2014 Workshops unter der Überschrift Mainframe für Manager an, in denen wir – ganz bewusst ohne IBM-Beteiligung – Vor- und Nachteile der Mainframes offen diskutieren. Mein Argument in diesem Zusammenhang: Wir kümmern uns nicht um Mainframes, weil wir IBM so mögen, sondern weil wir von der Plattform überzeugt sind.

Inwieweit können Outsourcing, Managed-Services oder Offshoring dem Fachkräftemangel entgegenwirken – und welche Risiken sind damit verbunden?

Ich persönlich sehe diese Varianten kritisch und kenne wenige Unternehmen, die damit wirklich glücklich geworden sind. Zum einen sind die billigen Arbeitskräfte in den Offshoring-Ländern nicht besonders loyal. Sie lassen sich von einem Arbeitgeber ausbilden – und sobald sie danach von einem anderen Arbeitgeber mehr Gehalt bekommen, sind sie wieder weg.

Outsourcing und Managed-Services sehe ich ebenfalls sehr kritisch, da hier zu sehr nach Verträgen und Vereinbarungen gearbeitet wird, was in einer aktuellen DevOps-Infrastruktur nicht wirklich funktioniert und hinderlich ist. Hier kommt es immer darauf an, wie kooperativ die jeweiligen Unternehmen sind. Bei den einen funktioniert es gut, bei den anderen weniger gut.

Wenn Unternehmen aus den eigenen Reihen Fachkräfte ausbilden möchte: Mit welchen Argumenten können die Mitarbeiter überzeugt werden, sich Mainframe-Skills anzueignen?

Das erweist sich in der Praxis als nicht besonders schwierig, wenn ein Unternehmen eine Strategie hat, in der Mainframes eine zentrale Rolle spielen. Dem Nachwuchs zu vermitteln, welch spannende Umgebung hier für Herausforderungen sorgt und wie wichtig in diesem Umfeld der Nachwuchs vor allem auch in Verbindung mit der Integration neuer Technologien ist, kann für alle Seiten sehr motivierend sein. Vor allem im Zusammenhang mit innovativen Technologien und DevOps ist junges Blut in den Unternehmen äußerst hilfreich, da sie von der Ausbildung oft viel mitbringen. Wenn dann die Zusammenarbeit mit den erfahrenen Mainframern in den Unternehmen funktioniert, profitieren alle davon.

Schwieriger ist es für Unternehmen, die eine „weg-vom-Mainframe"-Strategie haben. Dann die Nachwuchskräfte zu überzeugen, dass man sie für eine Übergangszeit noch braucht, weil die bisherigen Mitarbeiter in Rente gehen, ist verständlicherweise für den Nachwuchs nicht besonders motivierend. Dann kommt noch hinzu, dass in diesen Unternehmen die neuen Technologien – die vor allem für die Nachwuchskräfte interessant sind – eine untergeordnete Rolle spielen. Schließlich will man den Mainframe ja loswerden.

Welchen Skill-Mix brauchen die Mainframe-Experten der Zukunft: Reichen beispielsweise bei Programmierern COBOL- und/oder PL/1-Kenntnisse oder sind auch modernere Sprachen wie Java oder Python gefragt? Brauchen Mainframe-Programmierer eher Expertise oder sind auch Allrounder gefragt?

Nein, COBOL oder PL/I reicht sicher nicht mehr aus. Das sind zwar sehr gute und häufig unterschätzte Programmiersprachen, stehen jedoch einer plattformunabhängigen Strategie im Wege, da sie eben doch sehr stark mit dem Mainframe verhaftet sind. Sie sind zwar standardisiert, wenn dieser Standard jedoch nur auf Mainframes eingesetzt wird, ist er nicht wirklich hilfreich. Wir bilden derzeit sehr viele Teilnehmer in COBOL und PL/1 aus – allerdings weniger mit dem Ziel, dass diese dann neue Anwendungen entwickeln, sondern dass sie bestehende Anwendungen in modernere Umgebungen migrieren können. Dazu müssen sie die alten Anwendungen verstehen.

Die Sprache der Wahl ist hier dann tatsächlich Java. Dies hat auch den Hintergrund, dass COBOL- und PL/1-Programme auf den Mainframes mit klassischen Prozessoren (CPs), Java-Programme jedoch mit Spezialprozessoren (z Integrated Information Processors, zIIPs) abgearbeitet werden, was deutliche Kostenvorteile bringt.

Python spielt ebenfalls eine wachsende Rolle und wird künftig viele Aktivitäten und Automatismen steuern, die man bisher mit der Skriptsprache REXX auf dem Mainframe programmiert hat. Hinzu kommen noch DevOps-Techniken und Sprachen wie Ansible, YAML, Jenkins – die üblichen Verdächtigen aus dem Open-Source-Umfeld.

Stichwort Systemadministration: Wie viel Detailwissen über den Mainframe sind in Operating und Systembetrieb noch notwendig, vor allem auch dank der weitgehenden RZ-Automation? Könnten notfalls auch Linux-Kenner den Mainframe fahren?

Da tut sich aktuell sehr viel im Mainframe-Umfeld. Es gibt eine Komponente mit dem Namen z/OS Management Facility, die die Systemadministration deutlich vereinfachen soll. zOSMF verfügt vor allem über eine grafische Oberfläche, die Workflows unterstützt, um beispielsweise neue Komponenten zuverlässig zu installieren oder den Workload-Manager zu konfigurieren.

Linux und z/OS wachsen sowieso immer mehr zusammen. Auch Linux-Anwendungen in Form von Containern in einer z/OS-Umgebung – z/OS Container Extensions oder kurz zCX genannt – sorgen aktuell für viel Aufmerksamkeit. Zum Operating: Dank Automation wird beim Operating immer weniger Personal benötigt, das dafür allerdings sehr gut ausgebildet sein muss. Auch hier ist deshalb eine Zusammenarbeit von z/OS-Experten mit Linux-Spezialisten gefordert.

Was kann IBM als Hersteller tun, um Mainframe-Wissen in den Markt zu tragen?

Die IBM ist da meiner Ansicht nach auf einem ganz guten Weg, wenn sie diesen auch ziemlich spät eingeschlagen hat. Mit dem Contest Master the Mainframe werden Studenten mit gezielten Aufgabenstellungen an die Technologie herangeführt. Einer der Nachwuchskräfte in Deutschland, der diesen Contest auf weltweiter Ebene bereits gewinnen konnte, ist Sebastian Wind, der damals an der Uni Leipzig studiert hatte und heute bei einem großen Mainframe-Anwender in Nürnberg beschäftigt ist.

Erweitert wurde diese Idee ganz aktuell mit Z Xplore. Hier können sich alle Interessierten (nicht nur Studenten) einen Account beschaffen, um einmal mit einem aktuellen Mainframe-Betriebssystem zu spielen. Der in der Vergangenheit häufig gebrachte Vorwurf, dass man keine Möglichkeit hat, auf einen Mainframe zuzugreifen und Erfahrungen zu sammeln, ist damit entkräftet und vom Tisch. Der Zugriff funktioniert in diesem Zusammenhang auch nicht nur mit den Mainframe-Klassikern TSO und ISPF, sondern auch mit dem IBM Z Open Editor, einer Erweiterung für Visual Studio Code.

Für die eigentliche Ausbildung sieht sich IBM weniger verantwortlich; die wurde vor einigen Jahren bereits an sogenannte Global Training Provider outgesourct – zum Leidwesen zahlreicher Kunden.

Welchen Rat würden Sie Mainframe-Nachwuchskräften noch mitgeben?

Als ich vor mehr als 40 Jahren während meines Studiums an der Fachhochschule Konstanz erstmals mit dem Mainframe in Berührung kam – es war damals ein TR4 von Telefunken und noch kein IBM-Rechner –, hatte ich keine Ahnung, was mich künftig erwartet und ob und wie ich dieses Wissen in der Praxis anwenden kann. In den letzten Jahren wuchs in mir die Überzeugung, dass es in diesem Umfeld noch nie so spannend war wie aktuell. Warum sollte das in dreißig Jahren anders sein? Der Mainframe wurde schon mehrmals totgesagt. Die wichtigste Message in diesem Zusammenhang: Um lebenslanges Lernen kommt man nicht herum! Das macht aber viel Spaß – schließlich sind wir zum Lernen geboren!

Herr Greis, vielen Dank für das Interview.

In der vorigen Folge der Mainframe-Interviews sprachen wir mit Professor Dr. Philipp Brune über die Hochschulausbildung [3]. IBMs eigener Business-Sicht auf den Mainframe [4] widmete sich die erste Folge. ()


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[4] https://www.heise.de/news/Mainframes-Nicht-wegzudenken-fuer-den-Erhalt-unserer-Infrastruktur-6291956.html