Überwachung: Auswertungssoftware der NRW-Polizei wird jahrelang nicht fertig

2019 sollten Ermittler in NRW ein neues Programm für das Auslesen von Daten aus der Kommunikationsüberwachung erhalten. Verzögerungen führen zu Millionenkosten.

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(Bild: mahc/Shutterstock.com)

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Die Polizei in Nordrhein-Westfalen kommt beim Auswerten der wachsenden Datenberge aus der Telekommunikationsüberwachung nicht mehr hinterher. Bereits 2019 sollte den dortigen Ermittlern flächendeckend eine neue Software für diesen Zweck zur Verfügung stehen, berichtet der WDR. Doch diese laufe bis heute nicht. Oliver Huth, Mitarbeiter beim Landeskriminalamt (LKA) und Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BDK) in NRW, sprach gegenüber dem Sender von einem Desaster und "Riesenproblem". Mit dem alten aus 2008 stammenden Programm könne die Polizei nur noch 60 bis 70 Prozent der Daten verwerten. Das sei wie bei einem Streifenwagen, "der mit drei Reifen durch die Gegend fahren soll".

Die Strafverfolger, die sonst oft ein "Going Dark"-Szenario bemühen, bekämen mittlerweile auf richterlichen Beschluss hin von Telekommunikationsanbietern jenseits abgehörter Gespräche ganze Datenpakete geliefert inklusive Aktivitäten im Netz und über Apps etwa für Social Media, erläuterte Huth dem Bericht des WDR zufolge. Es sei entscheidend, diese Mengen "richtig auslesen und interpretieren" zu können. Nur so werde der Wust hör- und lesbar sowie vor Gericht verwertbar. Die IT-Experten des zuständigen Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) sollen daher schon 2017 nach einer Alternative für die bestehende Auswertungssoftware Ausschau gehalten haben, die laut Ausschreibung "auf dem neuesten technischen Stand" sein und mit "zunehmend verschlüsselt ablaufender Kommunikation" klarkommen sollte.

Der Auftrag ging an die kanadische Firma JSI Systems, die mit Lösungen für das "Beschaffen, Verwalten und Auswerten" rechtmäßig erfasster Daten wirbt. Dafür komme eine Plattform zum Einsatz, "die den Standard für digitale Aufklärung gesetzt hat". Doch fünf Jahre nach dem geplanten Start laufe das einschlägige Programm in NRW "nur im Probebetrieb", schreibt der WDR. Das LZPD hoffe, dass es Ende 2023 endlich normal verwendet werden könne. Den Preis für das System, zu dem das federführende NRW-Innenministerium keine Angaben mache, schätzten Beobachter auf mehrere Millionen Euro. Geld zurück gebe es trotz der Verzögerungen nicht. Stattdessen musste das Land zusätzlich 1,2 Millionen Euro ausgegeben, um die alte Software notdürftig anzupassen.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nahm JSI gegenüber dem WDR in Schutz. Dass solche IT-Vorhaben nicht fristgerecht fertig würden, sei nicht verwunderlich: "Wir haben ja auch nicht eine fertige Software von der Stange gekauft, sondern im Grunde ein Entwicklungsprojekt." Der Hersteller habe sein Produkt erst noch an die Vorgaben der Polizei anpassen müssen. Die Software habe während der Entwicklung auch mehrfach umprogrammiert werden müssen, um neue rechtliche Entwicklungen wie eine Novelle des NRW-Polizeigesetzes zu berücksichtigen. Zudem habe die Corona-Pandemie die von JSI maßgeblich aus Kanada und Australien vorangetriebene Initiative ausgebremst.

Im NRW-Landtag kam der Vorgang bisher nicht zur Sprache. "Der Minister neigt dazu, aus solchen Dingen eine Blackbox zu machen", monierte der FDP-Abgeordnete Marc Lürbke laut WDR. "Hier geht es um die Frage, wie unsere Polizei arbeiten kann, wie wir sie unterstützen. Und da würde ich mir wünschen, dass wir auch öffentlich darüber diskutieren." Annette Brückner vom Blog Police-IT.net stellte infrage, wieso Länder wie NRW oder Bayern überhaupt auf eigene Auswertungslösungen setzten, statt übergreifend solche Projekte anzugehen und Kosten zu sparen. Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen etwa wollen ihre Telekommunikationsüberwachung in einem gemeinsamen Rechenzentrum bündeln. Doch auch dessen Inbetriebnahme verzögert sich seit Jahren.

(olb)