Zweischneidiges Schwert der KI: Gesundheitsverbesserung oder globale Gefahr?

Welche Pläne es zum Einsatz von KI im öffentlichen Gesundheits- und Forschungseinrichtungen gibt, erklärt der ehemalige RKI-Präsident, Lothar Wieler.

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Lothar H. Wieler

Lothar Wieler auf dem Weltgesundheitsgipfel.

Lesezeit: 6 Min.
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Künftig soll Künstliche Intelligenz (KI) helfen, "globale Gesundheitsherausforderungen" anzugehen. Der Einsatz von KI im Gesundheitswesen soll verstärkt werden. Wie genau, wird derzeit auf dem World Health Summit diskutiert. Nach der COVID-Pandemie sollten die meisten verstanden haben, "wie wichtig die Rolle der nationalen Public-Health-Institute" ist, eröffnet Lothar Wieler, Digital-Health-Sprecher des Hasso-Plattner-Institut (HPI) und ehemaliger Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), seinen Vortrag auf dem World Health Summit. KI könne die Leistungsfähigkeit öffentlicher Gesundheitseinrichtungen fördern. Bereits vor fünf Jahren habe er am RKI, an dem er acht Jahre Direktor war, eine Initiative für eine Abteilung für KI und öffentliche Gesundheit gestartet.

Die öffentliche Gesundheit, die besonders bei der Prävention eine Rolle spiele, bestimmt laut Wieler die globalen Gesundheitsfragen, demnach sei es "sehr wichtig", dass auch nationale Gesundheitsinstitute daran beteiligt sind. Zum einen soll KI Diagnostiken und Ausbruchsvorhersagen verbessern. Indirekt würde sich eine Verbesserung durch die "erwartete KI-gestützte Steigerung der Produktivität der Mitarbeiter" ergeben. Dabei ging Wieler auch auf die Gefahren vom Missbrauch der KI-Methoden ein.

Bisher seien die Auswirkungen von KI auf die öffentliche Gesundheit noch unklar. Der Missbrauch von KI könne direkte Bedrohungen ergeben, wie "weaponizing biological agents" oder indirekt, indem sie das Vertrauen durch von KI erzeugte Fehlinformationen untergrabe. Die öffentlichen Gesundheitsinstitute spielen laut Wieler eine "entscheidende Rolle bei der Antizipation und Bewältigung dieser Risiken" und bei den potenziellen Vorteilen. KI müsse auch als Thema der Gesundheitsforschung betrachtet werden. "Wie wird sich KI grundsätzlich auf menschliche Interaktionen und damit auf die psychische Gesundheit auswirken?", gab Wieler zu bedenken.

Wielers Ansicht nach sollte KI in zehn Bereichen unter anderem für die Überwachung der Gesundheit der Bevölkerung durch das RKI eingesetzt werden. Die automatisierte Verarbeitung und Interpretation großer Datensätze werde durch den Einsatz von KI vereinfacht. Zusammenhänge zwischen neuen Risikofaktoren und Gesundheitsergebnisse würden zudem leichter entdeckt. Die Herausforderung dabei bestünde darin, "private Daten zu schützen und sicherzustellen, dass Einzelpersonen in großen Datensätzen nicht identifizierbar sind":

Der zweite wesentliche Einsatzbereich von KI sei "die Überwachung und Reaktion auf Gesundheitsgefahren und Notfälle". Nach Wielers Ansicht könne KI bei Gefahren wie Pandemien die Umsetzung von Maßnahmen beschleunigen: "Etwa die gezielte Einführung von Impfstoffen, Anweisungen, Empfehlungen zur physischen Distanzierung, automatisierte Kontaktverfolgung und Nachverfolgung, die in den letzten [drei] Jahren wirklich eine große Revolution bewirkt haben", so Wieler.

KI beim Gesundheitsschutz in den Bereichen Umwelt, der Lebensmittelsicherheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz und anderen spiele ebenfalls eine Rolle. Es gäbe mithilfe von KI ein "besseres Verständnis der Wechselwirkungen zwischen diesen komplexen Risikofaktoren". Ebenso könnten sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit entgegengewirkt werden, was sich auch die "Global Initiative on AI for Health" (GI-AI4H), von der Wieler ein Teil ist, zum Ziel gesetzt hat. Diese wurde am 6. Juli von der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), der WHO und der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) angekündigt und setzt auf der Fokusgruppe "AI for Health" auf.

"Interventionen in Bezug auf Nachrichtenübermittlung, Sprache und Plattformen auf bestimmte Risikogruppen und Bevölkerungsgruppen" könnten mithilfe von KI zugeschnitten werden. Ebenso ließe sich die digitale Kluft überwinden, wenn es einen "gleichberechtigten Zugang zu digitalen Werkzeugen durch die Entwicklung nutzerfreundlicher und barrierefreier Anwendungen, auch für abgelegene Gebiete" gibt. Bei der Krankheitsprävention, einschließlich der Früherkennung von Krankheiten, sieht Wieler "Frühwarnsysteme mit automatisierter Bedrohungserkennung" als machbar. Modelle zur Vorhersage von Epidemien hätten mittels KI eine neue Dimension erreicht. Zu weiteren KI-Maßnahmen gehören eine "Governance für Gesundheit und Wohlbefinden". Es ließe sich zudem Zeit verkürzen, um Empfehlungen mittels Large Language Models (LLM) an politische Entscheidungsträger zu verfassen.

Zudem könnten mit KI ausreichend kompetente Arbeitskräfte im öffentlichen Gesundheitswesen bereitgestellt werden. Dabei sollten sich aber lediglich wiederholende Tätigkeiten wegautomatisieren lassen. Er wolle "mit demselben Personal eine weitaus größere Anzahl von Analysen durchführen", so Wieler. Die Bewertung von Gesundheitstechnologien ließe sich ebenfalls beschleunigen. Ebenso seien KI-gestützter Unterricht und berufsbegleitende Schulungen möglich, "die aufgrund der Pandemie sehr wichtig sind", etwa für diejenigen, die sich um Hygienemaßnahmen kümmern müssen, so Wieler. Dabei müssten allerdings auch die psychologischen Auswirkungen vom Einsatz von KI auf die Arbeitnehmer bedacht werden, etwa der Verlust von Entscheidungsfreiheit oder weiteren Arbeitskräften.

Ein weiterer Aspekt, den Wieler nennt, ist eher sprachlicher Natur: KI übersetzt Sprache leichter, Schreiben könnten automatisch verfasst, bearbeitet und veröffentlicht werden. Chatbots finden dabei für automatisierte Social-Media-Interaktionen und automatisierte Visualisierungen Anwendungen, für Menschen, die komplexe Informationen lieber visualisiert haben wollen. KI könne ebenso schnelle und vollständige Literaturrecherchen durchführen.

Das RKI müsste sich besser auf den Einsatz von KI vorbereiten. "Wir können es nicht allein der Wissenschaft überlassen", so Wieler. Das Institut verfüge über die notwendige Infrastruktur und Forschungskapazitäten und müsse KI in seine tägliche Arbeit integrieren. Das sei eine wichtige Zukunftsfrage. Gleichzeitig betonte er, dass es wichtig sei, das Vertrauen zu bewahren. Außerdem müssten die öffentlichen Gesundheitsinstitute kompetente Arbeitskräfte und Netzwerke aufbauen. Dabei nannte er die von der Rockefeller-Stiftung initiierte "International Association of Public Health Institutes" (IANPHI), die aktuell mehr als 100 Gesundheitsinstitute weltweit umfasst und maßgeblich von der Bill und Melinda Gates Foundation unterstützt wird. Das Netzwerk sei "von größter Bedeutung". Diese sollten nach Ansicht von Wieler Forschungsnetzwerke aufbauen, "in enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Geldgebern und Universitäten".

Europa hat in diesem Jahr vier Test- und Experimentiereinrichtungen für KI und Robotik in den Bereichen Gesundheitswesen, Smart Cities, Landwirtschaft und Fertigung gestartet, wobei die KI-Produkte unter Berücksichtigung regulatorischer Anforderungen getestet werden sollen. Ziel ist es unter anderem, Diagnose, Therapie und Effizienz mithilfe von Initiativen wie GI-AI4H, das von Prof. Thomas Wiegand vom Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut geleitet wird, zu verbessern. Für das Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Lebensqualität sei den Veranstaltern zufolge die Übertragung von Forschungsergebnissen in "innovative Produkte und Dienstleistungen" wichtig. Innovationen müssen zudem insbesondere auf Vertrauenswürdigkeit geprüft werden. Das wollen die Teilnehmer des Summits mithilfe weltweiter Kooperationen erreichen.

(mack)