100.000 Dollar für das dezentrale soziale Netz Diaspora

Aus den 10.000 US-Dollar, die als Anschubfinanzierung für das dezentrale soziale Netz Diaspora eingeworben werden sollten, sind über 100.000 Dollar geworden. Offenbar trifft die Idee des "Facebook-Killers" auf Peer-to-Peer-Basis den Nerv vieler Anwender.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Robert Seetzen
  • Dr. Oliver Diedrich

Am gestrigen Donnerstag war es soweit: Weit jenseits der zunächst anvisierten 10.000 US-Dollar sprang der Zähler für das Open-Source-Projekt Diaspora zum Aufbau eines dezentralen Netzes beim Crowdfunding-Dienst Kickstarter in den sechsstelligen Bereich. Und ein Nachlassen der Finanzierungszusagen scheint nicht in Sicht: Das Projektversprechen trifft offenbar den Nerv vieler Anwender. Das selbst gesteckte Finanzierungsziel ist damit weit übertroffen.

Diaspora soll zwei Funktionen vereinen, die zumindest potenziell eine dauerhafte Abkehr von etablierten Anbietern wie Facebook oder SchülerVZ möglich machen. Kern des Projekts ist ein Peer-to-Peer-basiertes soziales Netzwerk mit fein abgestuften Einstellungen für die Privatsphäre, das nicht der Kontrolle zentraler Anbieter unterliegt. Dabei soll Diaspora auf die in bestehenden Communities gespeicherten Daten zugreifen, sie in den Datenbestand des nutzereigenen Netzwerkknotens übernehmen und Modifikationen auf Wunsch auch wieder zurück zu Facebook, Flickr und Co. übertragen. Beide Ideen sind nicht neu, bislang hapert es aber an alltagstauglichen Umsetzungen.

Zuständig für die Kommunikation mit den verschiedenen Anbietern sollen jeweils maßgeschneiderte Plug-ins sein – die von den vier Schöpfern skizzierten Projektpläne sehen eine flexibel erweiterbare Architektur mit möglichst schlankem Kern vor.

Beifall für Diaspora kommt derzeit vor allem von Facebook-Nutzern, ganz besonders mit Hinweis auf die umstrittenen OpenGraph-Erweiterungen. Zahlreiche Anwender wollen das eigene Surfverhalten keinesfalls von Facebook protokolliert wissen und suchen deshalb nach Alternativen. Inmitten der meist positiven, mitunter euphorischen Kommentare zu Diaspora sind allerdings auch kritische Stimmen zu vernehmen. Im Mittelpunkt steht dabei weniger das Fehlen jeglichen Codes – die vier Schöpfer des Projekts haben bislang außer grob skizzierten Ideen nichts vorzuweisen.

Kritiker weisen vor allem auf ähnlich gelagerte, dem bloßen Planungsstadium aber bereits entwachsene Projekte hin. An vorderster Stelle wird dabei stets onesocialweb genannt, ein quelloffenes, auf dem etablierten Messaging-Standard XMPP aufbauendes Projekt, für das bereits erste funktionsfähige Module veröffentlicht wurden. Die Programmierer des von Vodafone initiierten Projekts haben auch bereits explizit auf die Verwandschaft zu Diaspora hingewiesen und eine Zusammenarbeit in Aussicht gestellt.

Auch andere Projekte finden im Hype um Diaspora plötzlich größere Aufmerksamkeit. In den zahlreichen Diskussionen wird neben onesocialweb oft auch das ebenfalls XMPP-basierte StatusNet erwähnt, trotz seiner Beschränkung auf Microblogging-Dienste, vor allem unter Verweis auf die Reife des Projekts. Auch von Elgg, einer eher klassisch strukturierten Social-Network-Plattform ohne explizite Peer2Peer-Ansprüche, ist in den Diskussionsbeiträgen oft die Rede. Einen Überblick existierender Projekte und Konzepte hält die Free Software Foundation auf GNU Social vor.

Der FSF ist nach Darstellung des Diaspora-Teams auch die Initialzündung des Projekts zu verdanken. Eben Moglen, Rechtsprofessor und Chefsyndikus der FSF, hatte Anfang Februar über Freiheit in der Cloud referiert (Video auf YouTube) und damit letztlich die Konzeption von Diaspora angestoßen. Der ursprüngliche Plan der vier Studenten hatte vorgesehen, "drei Monate völlig auf Diaspora konzentriert Code zu schreiben". Vor diesem Hintergrund hatten sie auch das Finanzierungsziel von 10.000 US-Dollar festgelegt, gerade genug, um auch ohne Sommerjobs durch die Semesterferien zu kommen.

Nun bleibt abzuwarten, wie die Vier die derart große Resonanz auf ihre Idee und ihren plötzlichen Ruhm verkraften. Die Erwartungshaltungen der Community sind immens, Diaspora wird oftmals als Facebook-Killer gehandelt – dem wird eine erste Version von Diaspora kaum genügen können. Möglicherweise braucht das Projekt die tatkräftige Unterstützung durch eine auch in Kreisen freier Software respektierte Firma. Als Kandidat käme womöglich Google in Frage, dessen Networking-Tools Wave und Buzz einiges mitbringen, das für Diaspora erst noch programmiert werden müsste. Aber egal, wie sich das Projekt entwickelt: Der fulminante Start von Diaspora dürfte – direkt oder indirekt – die weitere Entwicklung sozialer Netzwerke beeinflussen. (odi)