Computex

Wie Tablets den PC-Markt umkrempeln

Es war kaum ein serienreifer Tablet auf der Computex zu entdecken, aber drüber gesprochen wurde viel, sogar mit großen Worten: Möglicherweise bricht eine neue PC-Ära an.

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In den Gesprächen mit den im Tablet-Bereich tätigen Herstellern ist oft von einer neuen PC-Ära die Rede, davon, dass die fingerbedienbaren Geräte unseren Umgang mit Computern grundlegend ändern werden. Selbst wenn man davon den berufsimmanenten Enthusiasmus abzieht, durchzieht eine ungewöhnlich starke Aufbruchstimmung die Computex.

Androids Computex 2010 (9 Bilder)

Malata zeigte zwei ähnliche Android-Tables, den "High Definition" A1011 mit Tegra 2 und Kapazitiv-Touchscreen und den A1001 mit langsamerem Samsung-Prozessor und Resistiv-Oberfläche. Entsprechend wird sich der Tablet-Markt wohl aufteilen: Die Billiggeräte stellen sich in Schwellenländern dem Preiskampf, die teuren bilden die iPad-Klasse und punkten mit Bedienbarkeit und Ausstattung.

Viele neue Firmen betreten den Markt, meist chinesische. Ein asiatischer ARM-Mitarbeiter meinte, die Chinesen könnten schneller auf diese Bedürfnisse reagieren als die unbeweglichen taiwanischen (womit er Acer, Asus, MSI und Konsorten meint). Tatsächlich sind die chinesischen Firmen weiter, haben sie doch schon Prototypen zur CES oder MWC zeigen können und präsentieren jetzt seriennahe Geräte, während die Taiwaner noch bei Designstudien und E-Book-Readern sind. Ganz so klar ist die Lage dann aber auch wieder nicht, denn die wenigen schon erhältlichen Tablets kommen vom französischen Android-Pionier Archos, vom US-Riesen Dell und natürlich von Apple – der Profi im Setzen von Trends hat schon über zwei Millionen iPads verkauft.

Microsoft verschließt sich hingegen konsequent, fast trotzig dem Trend, obwohl Konzernchef Ballmer ihn immerhin erkannt hat. Doch hat Vizepräsident und OEM-Chef Steve Guggenheimer gegenüber heise online gesagt, dass Microsoft keinen Bedarf sehe, die Tablet-Version von Windows 7 für die Fingerbedienung zu optimieren. Auch von Windows Phone 7 sehe er keine Tablet-Version, sagte er zu Engadget. Es bleibt Windows Embedded Compact 7, ein Betriebssystem, zu dem Microsoft wohl keine Bedienoberfläche mitliefert, sondern das den einzelnen Herstellern überlässt. Wie toll das die Hersteller finden, hat HP gezeigt, der lieber Palm kaufte, die Microsoft-Projekte stoppte und ankündigte, Smartphones, Tablets und Drucker mit WebOS auszustatten.

Windows Computex 2010 (5 Bilder)

LG Electronics UX10: Bei Microsoft auf dem Stand ausgestellt

Intel trudelt etwas ziellos herum. Mit dem speziell für Tablets und Smartphones gedachten Moorestown kam der Abschied von Windows, booten doch nur MeeGo und Android darauf. Doch dann kam die Ankündigung von Oak Trail, quasi einem Moorestown, der doch wieder Windows booten kann. Ob die hauseigene Entwicklung von MeeGo zu langsam voran geht? Mithin drei Jahre nach Ausrufen der Moblin-Allianz, die Anfang des Jahres in MeeGo überführt wurde, ist immer noch weder eine Tablet- noch eine Smartphone-Version zu sehen.

Durch den Tablet-Boom brechen die alten Allianzen auf, Intel gleich Windows und ARM gleich Android gelten nicht mehr. Niemand weiß, welche Prozessorarchitektur und welches Betriebssystem sich durchsetzen werden, also versucht jeder, auf allen Hochzeiten zu tanzen: Intel steckt weiter Geld in MeeGo, portiert aber auch Android auf x86 und ist mit Oak Trail auch dafür gewappnet, dass sich doch das x86-Windows durchsetzt. Microsoft promotet x86-Windows, bastelt aber auch an der Embedded-Version, die wiederum nicht nur auf ARM und MIPS läuft, sondern auch auch x86. VIA, einst hauptsächlich x86-Vertreter,erschließt sich die neuen Märkte einfach durch den Zukauf eines ARM-Produzenten.

Moorestown Computex 2010 (6 Bilder)

Anand Chandrasekher versucht die Vorzüge von Moorestown zu verdeutlichen: Höhere Rechenleistung als ARM-Prozessoren bei konkurrenzfähiger Leistungsaufnahme. Allzu viele Hersteller hat das bisher offensichtlich nicht überzeugt.

Android geht auf den ersten Blick gestärkt aus der Suche nach Partnern hervor, und Android gleich Smartphone gilt schon lange nicht mehr: Bilderrahmen, Fernseher, Settop-Boxen und E-Book-Reader laufen mit Android, sogar eine kleine Stereoanlage haben wir gesehen. Alleine über 100 PMP-Designs (Personal Media Player) gibt es laut ARM mittlerweile.

Doch uneingeschränkt ist die Begeisterung nicht, viele Entwickler dürften sich eine klarere Roadmap gerade Richtung Tablet wünschen und haben Google noch nicht die Verwirrung verziehen, die durch Chrome OS entstanden ist: Welches von den beiden ist denn nun das System der Wahl für Tablets? Laut eines ARM-Mitarbeiters ist diese Unsicherheit einer der Gründe dafür, dass die Android-Tablets noch nicht auf dem Markt sind.

Diese klarere Trennung ist bei MeeGo vorhanden, es gibt einen definierten Core und darauf aufsetzende Oberflächen (User Experiences) für verschiedene Geräteklassen, wozu neben Tablets, Smartphones und Netbooks auch Fernseher, Multimedia-Telefone und In-Vehicle-Geräte zählen. Während Android auf Smartphones immer besser funktioniert, aber auf Tablets und Netbooks eine schlechte Figur macht, geht es MeeGo genau andersherum: Die Netbook-Version ist die einzig vorzeigbare, die Tablet-Version beherrscht außer ein paar Demos wenig, die Smartphone-Version existiert noch gar nicht – Smartphone und Tablet sind unter der Handheld User Experience zusammengefasst, was mit Blick auf die Probleme von Android auf Tablets und den iPhone-Anwendungen auf dem iPad möglicherweise nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Auch lässt sich kaum abschätzen, wie schnell sich die MeeGo-Gründer Nokia und Intel zurückziehen, wenn ihnen das Projekt nicht mehr nutzt.

MeeGo Computex 2010 (11 Bilder)

Der MeeGo-Startbildschirm der Netbook-Experience

Das könnte auch eine Motivation für Linaro, den Zusammenschluss einiger ARM-Vertreter sein: Vielleicht wollen sie ihre Investitionen in die Software-Entwicklung schützen und davon unabhängig machen, ob sich Android, Chrome OS, MeeGo oder WebOS durchsetzt.

Um wie viel einfacher haben es da die beiden Einzelkämpfer Apple und – seit dem Palm-Kauf – HP.

Der Erfolg der Smartphones, angetrieben von Apple, und die ersten Erfahrungen mit dem iPad zeigen jedenfalls eines ganz deutlich: Jetzt hat das Zeitalter der Bedienoberflächen begonnen. Das Interface entscheidet, die perfekte Integration von Software und Hardware (beispielsweise durch einen Kapazitivdisplay), vielleicht die Qualität der Apps. Bisher hat der Kunde zuerst einen Hardware-Hersteller gewählt und dann in 90 Prozent der Fälle doch einfach Windows benutzt – oder Mac OS, wenn die Hardware von Apple stammt. Nun muss er sich für ein Bedienkonzept, für ein Betriebssystem entscheiden: Android, MeeGo, WebOS/HP, iPhone OS/Apple und vielleicht Windows sind die heißen Kandidaten.

Die Geräte-Hersteller verlieren dadurch an Bedeutung, wenn sie es nicht schaffen, durch gute Hardware, perfekte Integration, raffinierte Zusatzfunktionen oder einen kämpferischen Preis im Gespräch zu bleiben – was alles immerhin möglich ist. Richtig düster sieht es eher für die Komponentenhersteller aus: Ob das schöne Kistchen jetzt von Qualcomm, Freescale, Nvidia oder Intel angetrieben wird, interessiert nicht mehr. Gerade Intel sieht sich hier auf einmal ganz neuen Herausforderungen gegenüber und agiert ungewohnt erfolglos.

Immerhin haben alle Beteiligten noch viel Zeit. Apples zwei Millionen verkaufte iPads sind natürlich für eine neue Geräteklasse, die gerade mal zwei Monate im Verkauf ist, eine tolle Zahl. Verglichen mit dem weltweiten PC-Markt sind das aber noch Peanuts: 377 Millionen PCs insgesamt, davon 225 Millionen Notebooks und davon wiederum 42 Millionen Netbooks sollen laut einer Schätzung von Gartner dieses Jahr verkauft werden – und gerade mal 10 Millionen Tablets der iPad-Klasse (die Gartner Media Tablets nennt, in Abgrenzung zu den unter Windows laufenden Tablet PCs). Da Intel und Microsoft an diesen 377 Millionen einen Anteil von grob geschätzt über 90 Prozent haben, ist ihre Trägheit verständlich, aber auch der Hunger der ganzen anderen Mitspieler.

Und wer weiß, wie schnell sich Android, MeeGo, Chrome OS oder iPhone OS auf Einstiegs-PCs mit Touchscreen portieren lassen und dort dann plötzlich Windows und auch Mac OS verdrängen. Vielleicht wird der heutige PC schneller zum Nischenprodukt, das man nur noch für High-End-Anwendungen einschaltet, als viele erwarten. (jow)