Bundesinnenminister stellt Linien der Netzpolitik vor

Thomas de Maizière hat in einer Grundsatzrede Prinzipien zur Weiterentwicklung der Ordnung im Internet sowie Funktionen des Staates vorgestellt. Zu den konkreten Vorschlägen gehört ein "Recht auf Gegendarstellung" und ein "Datenverfallsdatum".

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Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat am heutigen Dienstag in Berlin Grundzüge (PDF-Datei) der von ihm angestrebten Netzpolitik umrissen. "Das Phänomen Internet haben wir jetzt lange genug erst ignoriert, dann teils unterschätzt, teils überschätzt und vor allem bestaunt", sagte der CDU-Politiker im Deutschen Museum für Technik. Nun müssten Schlüsselfragen beantwortet werden, zum Beispiel wie die weltumspannende Freiheit genutzt werden solle, die das Internet biete, wie die Privatsphäre geschützt und persönliche Daten vor unerlaubtem Zugriff gesichert werden könnten.

De Maizière meinte, bevor neue Gesetze aufgestellt würden, müssten bestehende angewendet werden. Viele Phänomene seien auch in der digitalen Welt bereits zufriedenstellend geregelt. Die Selbstregulierung solle Vorrang vor neuer Rechtssetzung haben. Die Entwicklung des nationalen und internationalen Rechts müssten Hand in Hand gehen. Der Einzelne solle auch im Netz "frei, selbstbestimmt und eigenverantwortlich handeln" können.

"Das stets wachsende und pulsierende Internet scheint unserem bisherigen Datenschutzrecht, das auf Datenvermeidung und -sparsamkeit angelegt ist, durch Freiheitsausübung zuwiderlaufen", sagte de Maizière. Diese Entwicklung müsse man aber auch im Licht des "Rechts auf Persönlichkeitsentfaltung durch Kommunikation und soziale Teilhabe" sehen. Es gebe im Internet aber auch bereits Formen der "sozialen Kontrolle" wie Meldefunktionen für anstößige Inhalte bei YouTube.

Der Minister sieht einen "digitalen Radiergummi" oder ein "Verfallsdatum" für ins Netz gestellte Informationen als erstrebenswert an. Hilfreich könnte mitunter auch schon ein "Indexierungsverbot" für Suchmaschinen sein. Provider müssten selbst ein Haftungsrisiko tragen, wenn sie ihre Kunden durch Voreinstellungen dazu verleiteten, "Daten über Dritte preiszugeben und zu vernetzen". Der Minister setzte sich dafür ein, dass sich der Einzelne zur Wehr setzen könne, "wenn etwas Falsches oder Ehrenrühriges über ihn im Internet kursiert", zum Beispiel gegenüber Betreibern von Suchmaschinen. Bei anonymen Schmähungen sollte der Geschmähte einen Anspruch auf Löschung gegen den Provider erhalten.

Anbieter von Cloud Computing sollten nur so viele identitätsbestätigende Daten erhalten wie gerade im Bezug auf die jeweilige Rechtsbeziehung nötig seien, sagte de Maizière. Der Nutzer müsse zunächst einwilligen können, wenn ein Gerät erstmals Kontakt mit dem Internet aufnimmt. Auch die Idee vom "Datenbrief" verfolge ein wichtiges Ziel, meinte der Minister. Mit Experten solle ein tragfähiges Konzept erarbeitet werden, um eine erstmalige Zusammenführung personenbezogener Informationen auszuschließen.

Der Minister forderte eine "Garantie der Abwehrrechte gegenüber dem Staat" und einen Schutz vor dem "technisch möglichen" Missbrauch des Internets als "totalitäres Überwachungsinstrument". Kritiker könnten zwar einwenden, dass der Schritt dorthin mit der vom Bundesverfassungsgericht zunächst gestoppten Vorratsdatenspeicherung bereits gegangen sei. Ein Verzicht auf die Vorratsdatenspeicherung würde aber eine zu große Lücke in die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung reißen. "Schrankenlose Anonymität" könne es im Netz nicht geben. Auch im Internet-Zeitalter müssten klassische Eingriffsinstrumente bereit stehen. Ermittler dürften im Netz nicht privilegiert oder benachteiligt werden.

Generell sei der Staat für das Internet als Infrastruktur verantwortlich, die für alle zugänglich sein und zuverlässig funktionieren müsse. In diesem Zusammenhang nannte der Minister die Aufrechterhaltung der Netzneutralität, einen flächendeckenden Zugang auch für Menschen der Ballungszentren und ein Angebot "mit sicheren Basisdiensten wie De-Mail".

Auch müsse jeder Einzelne seinen Beitrag zu mehr Internetsicherheit leisten und zum Beispiel sein WLAN marktüblich absichern. Provider will der Minister in die Pflicht nehmen, "wenn sie keine ausreichenden Vorkehrungen gegen den Transport von Viren und Schadprogrammen treffen". Für "besonders gefahrgeneigte Online-Dienste" wie Kreditvermittlungsplattformen, den Versandhandel von Medikamenten, Ortungsdienste oder anonyme Finanzdienste erwog er "in manchen Fällen eine staatliche Erlaubnis beziehungsweise Zulassung" oder ein Verbot. Als noch "diskussionsbedürftig" stellte er den Umgang mit illegalen Inhalten wie Kinderpornographie dar. Er wolle im Hinblick auf das umkämpfte Zugangserschwerungsgesetz bald ein mit dem Bundeskriminalamt (BKA) geschnürtes Maßnahmenbündel vorstellen, um das Löschen sexueller Missbrauchsbilder "gerade im Ausland" zu verbessern.

"Lassen Sie uns den Ordnungsrahmen einer systematischen Netzpolitik in den nächsten Wochen und Monaten weiter erörtern", sagte der Minister abschließend. Seine Thesen könnten im Internet nicht nur bewertet, sondern auch mit konkreten Handlungsvorschlägen versehen werden.

Der Grundsatzrede waren im vergangenen Halbjahr vier "netzpolitische Dialoge" mit Bürgerrechtlern, Netzaktivisten, Forschern und Wirtschaftsvertretern auf Einladung des Ministers vorangegangen. Dabei gestaltete sich der Dialog teils vor allem in Fragen des Datenschutzes und der Strafverfolgung recht zäh. De Maizières Offenheit zum Gespräch auch mit Andersdenkenden und Kritikern einer Ausweitung der Internetüberwachung stieß vielerorts auf Anklang. (anw)