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Was war. Was wird.

Zuse und kein Ende. Auf dem anderen Kanal freuen sich Deutschland und England auf den Fußballkrieg, der ja keiner mehr ist. Alles so gestrig hier, denkt Hal Faber und schaltet um. Und im Internet krakelen sie was von Bücherverbrennung,

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.


*** Hannover. Was kommt aus dieser Stadt noch alles auf uns zu? Natürlich diese kleine Wochenschau vom Rande der norddeutschen Tiefebene. Bitte schön, meine Geburtsstadt ist unergründlich wie der Maschsee und ist obendrein die Hauptstadt der Schwarzfahrer. Doch gehen wir etwas näher an den Rand der Tiefebene nach Hameln, wo vor 726 Jahren die Kinder verschwanden, nachdem ein Rattenfänger seine Flöte zückte. Heute wissen wir, dass es eine Vuvuzela war.

*** Aus Hannover kommen bekanntlich die heißblütigen englischen Könige, in England liegt das Grab unseres Karl Marx. Muss man mehr über das Spiel, den Klassiker, das Stahlbad und die Luftschlacht sagen? Natürlich fehlen mir die Pappbomben, die 1996 von einer englischen Zeitung aus einem Flugzeug auf das deutsche Trainingslager abgeworfen wurden: So erklärt man stilecht den Fussballkrieg (und gewinnt ihn stilecht im Elfmeterschießen). Die Zeiten sind anders und Bombenwitze gar nicht mehr gern gesehen. Weichen wir daher auf die hohe Kunst des Schämens aus. Passend zur Partie Deutschland gegen England liefert uns die designbetüdelte PR-Abteilung von Lenovo einen bizarren Vergleich der Kontrahenten: 48 Prozent der Engländer schämen sich für ihren PC, was nur 37 Prozent der Deutschen tun: Klarer fall für Deutschland! (Vergessen wir mal bei dieser "Studie", dass Frankreich mit 35 Prozent noch besser dasteht - dort schämt man sich für die desolate Equipe.) Sollen sich die Engländer weiter schämen: Manuel Neuer mit seinem IBM/Lenovo-Laptop tut es nicht.

*** "Eure Sklavenmoral kotzt mich an!" So endet der Ausflug des jungen Doktoranden Michael Seemann in die harte Welt der Arbeit, wo es Arbeitsanweisungen gibt und Juristen, die beim Kontrollverlust über die Bildrechte mit hübschen Sachadensersatzforderungen beim Verlag anklopfen. Die Redaktion der FAZ ließ ihm als Blogger Freiheiten, die normale Journalisten niemals haben, wenn sie ihre Texte wie diese kleine Wochenschau mit den durchaus widerständigen Redakteuren aushandeln. Das verstand der Mann mit Aversionen gegen Formalien nicht und setze auf "seiner Plattform" auf eine eigenwillige Art der Eskalation. Was die einen nicht oder doch als systematischen Konflikt sehen, kann journalistisch als pure Doofheit gewertet werden. Für Seemann hat es auch was Gutes. Schließlich will er niemals einem "9 to 5 Normaljob" nachgehen und einer gesellschaftlichen Norm nacheifern, die Software berechnen kann. Was bleibt, sind interessante Überlegungen und Verwunderungen über die aufgeregte deutsche Blogosphäre, die den Fall tatsächlich zur Bücherverbrennung hochstilisiert. So wird das nichts mit der Macht der Blogger, wenn sie nicht mal die deutsche Geschichte kennen und ihre Verblödung stammtischartig twittern, wenn sie nicht einmal die einfachsten Spielregeln des pöhsen kommerziellen Journalismus begreifen können.

*** Ob Marke oder MünzeKonrad Zuse und kein Ende. Selbst Innenminister de Maizière kann keine Grundsatzrede über die Netzpolitik der Bundesregierung halten, ohne Konrad Zuse zu erwähnen. So passieren die wunderlichsten Dinge, nicht nur im Technikmuseum mit de Maizière, der ein hübsch zugeschraubtes Netz avisiert, und das nicht etwa im Jahre 2025. Immerhin kommt mit dem Zuse-Jubiläum eine Debatte in Gang, wie es die Zuse Apparatebau mit den Nationalsozialisten hielt. Dabei werden die härtesten Vorwürfe von Mitarbeitern des Deutschen Museums in München im Katalog zur Zuse-Ausstellung "Einblicke in den Nachlass" gemacht. Da wird ein sicherlich nicht unproblematischen Brief von Konrad Zuse mit einer Bemerkung über eine Horde wilder Marokkaner herausgegriffen und kommentiert, dass Zuse "gedanklich und sprachlich noch stark von der nationalsozialistischen Propaganda, deren Durchhalteparolen und von dem Gedanken an den 'Endsieg' durchdrungen war." Liest man einen Satz weiter, so schreibt Zuse: "Die Marokkaner zeigten sich sehr deutschfreundlich und benahmen sich anständig gegen die Bevölkerung."

*** Als Zuse im III. Reich seine Firma aufbaute, beschäftigte der Ariernachweis viele Menschen, auch den Tüftler. Er notierte sich 1942, dass es möglich sein muss, die Verwandtschaftsbeziehungen von zwei beliebigen Menschen A, B zu berechnen, wenn eine Liste sämtlicher Einwohner eines Gebietes mit ihren ursprünglichen Verwandschaften existiert. Etwas ähnliches wird sich jeder mathematisch Interessierte notiert oder gedacht haben. Was macht der Katalog aus der Notiz? Er ziert sich nicht, die ganz große Keule zu schwingen: "Diese Überlegungen zeigen, wie nahe Konrad Zuse an nationalsozialistischen Ideologien argumentierte. Während er ursprünglich die Anwendung seiner Rechner im technisch-wissenschaftlichen Bereich sah, spekulierte er in dieser Notiz, den Absatz seiner Geräte durch neue Nutzungsmöglichkeiten zu vergrößern. Unverkennbar spielte Zuse hier mit dem Gedanken, seine Rechenanlagen in den Dienst nationalsozialistischer Rassen- und Bevölkerungspolitik zu stellen und dadurch die systematische Umsetzung der NS-Ideologie hinsichtlich Erbkrankheiten und Rassenvorstellungen mit Hilfe von Rechnern effizienter zu organisieren."

*** Im Zuse-Jahr wird es eine Reihe weiterer Kongresse und Feierlichkeiten geben, auf denen Informatiker oder Techniker ihre Sicht auf Zuse formulieren. Auch das von de Maizière genutzte Technikmuseum ist ab September dabei. Wenn weitere Urteile ebenfalls das Niederkeulen schätzen, bleibt am Ende ein Trümmerhaufen zurück und Marken wie Münzen werden eingezogen müssen. Ja, die letzten heute noch laufenden Zuse-Rechner stehen bei Krauss-Maffei und werden für die Wartung von Leopard-Panzern benötigt, ein weiteres kriegerisches Indiz nach den in der letzten Wochenschau erwähnten Flügelbomben. Wie sagte es Orwell? Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft.

*** Neusprech heißt seit Orwell die Sprachreform der Regierenden, die das Wegdenken fördern soll. Ein schönes Beispiel von Neusprech präsentierte dieser Woche Belgien. Das Land hat derzeit keine gewählte Regierung, übernimmt aber zum Juli die europäische Präsidentschaft. Das entsprechende "Regierungsprogramm" (PDF-Datei) steht und wurde auch auf Deutsch präsentiert. Eine neue Informationsarchitektur wird in ihm so angekündigt: "Die Präsidentschaft unterstützt auch die Absicht der Europäischen Kommission, die Informationssysteme zu kartografieren, insbesondere diejenigen, die personenbezogene Daten enthalten, um ein tiefer gehendes Nachdenken über die Informationsarchitektur, insbesondere im Rahmen eines integrierten Grenzschutzes, zu organisieren." Ein tiefes Nachdenken setzt ein, weil immer neue Gefahren drohen. In einem Satz werden Bandkriege, Identitätsbetrug, Ausschreitungen bei Fußballspielen und die Sicherheit von Autobahnparkplätzen und Rasthöfen genannt. Deutschland macht dicht, titelte die tageszeitung, doch wer das belgische Programm liest, bemerkt schnell, dass Europa dicht macht. Mit dabei: die neuen elektronischen Klebevisa und ein schickes SWIFT-Abkommen, komplett mit einem eigenen Programnm zur Durchforstung der übermittelten Daten. Denn der Terrorismus wird immer übermächtiger und die Parlamentarier zittern.

Was wird.

Die Woche beginnt mit dem 100. Geburtstag des Journalisten Erich Kuby, den Friedrich Sieburg, ein anderer großer Journalist als "Bundesnonkonformist" bezeichnet hat. Für die Wunderkinder des Bloggerszene wird das natürlich kein Datum sein. Sie denken anders: Wie krank muss man sein, um eine Kolumne zu führen, die "Der Zeitungsleser" hieß - gedruckt im bloggerfreundlichen Freitag, der Kuby längst vergessen hat.

Angeblich wird der kommende Mittwoch ein Trauertag. Nein, die freie Wahl des Bundespräsidenten Wulff ist nicht gemeint. Am 30. Juni stirbt die Schultafel. Das behauptet zumindest eine Todesanzeige, die die Firma Panasonic im Trauerbrief verschickt hat. An ihrer Stelle soll ein interaktives Whiteboard treten, das von bis zu drei Schülern gleichzeitig nutzbar sein soll. Man mag mit Panasonic glauben, das in jedem Tod ein neues Leben steckt, ein Neuanfang an allen deutschen Schulen. Aber halt. Wir sind in Deutschland, wo ein iPad im Bundestag gerade die Würde des Hohen Hauses verletzt hat, wo der Abgeordnete vom Geschäftsordnungsausschuss zu vier Wochen Bleistiftkauen verurteilt wird und nur das Simsen der Kanzlerin gestattet ist. In diesem unseren Land, in dem das Bildungsideal von insolventen Bundesländern mit Wassersuppe gefüttert wird, soll also die Schultafel aussterben?

Ein Bild statt Bildung? Es ist ein Rätsel der eigenen Art, der erste Hinweis auf das anstehende Sommerrätsel, in dem tote Tafeln und ähnliches Gedöns erraten werden soll. Ich lade alle Leser ein, Fragen in den Kategorien Hardware, Software und Whetware zu schicken, ganz in der zweinulligen Tradition des AAL - immer die Anderen arbeiten lassen.

Ach, Hannover. Wie schreibt die FAZ im eingangs zitierten Artikel? "Wir sind Hannover und Hannover ist Deutschland. Am kommenden Mittwoch repräsentiert die Stadt womöglich das ganze Land. Was will man mehr?" Nun, vielleicht eine kleine Erwähnung, dass Christian Wulff Osnabrücker ist? Und ein hübsches Symbol für unsere Schrumpfvergreisung. (vbr)