Das Nanoproblem der EU

Wenn das kein Witz ist: Das EU-Parlament denkt über eine Nano-Kennzeichnung für Elektro- und Elektronikprodukte nach.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 5 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Niels Boeing

Auf die EU und ihre Bürokratie zu schimpfen, ist ein Volkssport, dem sich Millionen Europäer gerne hingeben. Fairerweise sollte man zwar erwähnen, dass der Beamtenapparat der EU nicht größer ist als der einer deutschen Millionenstadt. Aber was in Brüssel so ausgeheckt wird, schwankt nicht selten zwischen äußerst fragwürdig (z.B. die Vorratsdatenspeicherung) und äußerst verblüffend.

Geradezu verblüffend fragwürdig ist ein aktueller Vorstoß des Umweltausschusses des EU-Parlaments: Im Entwurf für eine Revision der europäischen RoHS-Richtlinie, die Gefahrstoffe in Elektro- und Elektronikgeräten regelt, will der Ausschuss mehrwandige Kohlenstoffnanoröhren (CNT) und "Nanosilber" in die Liste der verbotenen Stoffe aufnehmen. Außerdem gibt es Überlegungen, für sämtliche Elektro- und Elektronikgeräte ein "Nano"-Kennzeichen vorzuschreiben, wenn sie Nanomaterialien enthalten.

Nun kommt Nanosilber – genauer: Silber-Nanopartikel – nach meinem Kenntnisstand höchstens als Bakterizid an Computergehäusen in Frage. Ob man darauf verzichten sollte, darüber kann man diskutieren. Was Kohlenstoffnanoröhren und eine Kennzeichnung angeht, kann ich mich allerdings über die EU-Parlamentarier nur wundern.

In IT-Geräten könnte man Nanotubes entweder als Zusatz für Kunststoffgehäuse verwenden, der diese belastbarer macht und Kriechströme verhindert. Oder sie kommen in CNT-Transistoren zum Einsatz, an denen seit vielen Jahren gearbeitet wird.

Zwar sind die noch weit davon entfernt, Rechenarbeit in einem Chip zu leisten. Als Detektoreinheit in Sensoren lassen sie sich hingegen schon jetzt sinnvoll verwenden, um zum Beispiel Sprengstoffspuren oder Nervengifte in Trinkwasser nachzuweisen (wie von der Gruppe von Zhenan Bao an der Stanford University demonstriert). Die US-Firma Nanomix hat bereits begonnen, CNT-Sensoren zu kommerzialisieren.

Entscheidend ist nun, dass Nanotubes in beiden Fällen nicht als lose Objekte vorliegen, sondern fest in eine größere Struktur eingebunden sind. Wie sie aus der wieder herauskommen sollen, ist alles andere als offensichtlich. Angesichts einer gegen null gehenden Exposition ist das Risiko, das von CNTs zumindest in Elektronik ausgeht, ebenfalls verschwindend gering.

Eine allgemeine Nano-Kennzeichnung für Elektronik-Bauteile ist erst recht nicht naheliegend. Nach der Definition des Internationalen Standardisierungs-Organisation (ISO) zeichnen sich Nanomaterialien dadurch aus, dass sie innere Strukturen oder äußere Ausmaße in wenigstens einer Dimension haben, die kleiner als 100 Nanometer sind.

Gemessen daran ist die gesamte IT schon seit Jahren kennzeichnungspflichtig, da ihre Komponenten deutlich kleinere Strukturgrößen haben (tatsächlich werden Chips von AMD oder Intel auch längt in der Nanoprodukt-Datenbank des Wilson-Centers aufgeführt). Dass 65- oder 45-Nanometer-Nodes in Chips ein Umweltrisiko darstellen, habe ich noch nicht gehört.

Ich bin weit davon entfernt, potenzielle Risiken von Nanomaterialien als irrelevant abzutun. Aber ich ärgere mich, dass anscheinend all die EU-Nano-Reports, -Foren und -Observatorien der letzten Jahre kein differenziertes Bild von der Nanotechnik und ihren diversen Risiken zustande gebracht haben. Als ob wir immer noch im Jahre 2003 wären, als Prince Charles der diffusen Empfindung "nano = böse" Ausdruck gab.

Synthetische Nanopartikel in Lebensmitteln oder Kosmetikprodukten zu kennzeichnen (geplant ab 2012), ist sicher nicht verkehrt. Denn hier spielt die Exposition der Verbraucher eine Rolle – schließlich sollen sie die Partikel essen oder sich auf die Haut schmieren.

Für Elektro- und Elektronikgeräte ergibt ein Kennzeichnungsansatz aber schlicht keinen Sinn – und dass könnte man auch im EU-Parlament wissen. Aber womöglich bereitet dort schon irgendjemand eine Anti-Grey-Goo-Verordnung vor. (nbo)