Chinas Internet-Dilemma

Der Suchmaschinenkonzern Google hat sich aus China zurückgezogen. Doch obwohl die Regierung die Online-Überwachung verstärkt, nutzen immer mehr Bürger das Internet. Ist Wachstum trotz Repression dort ebenso möglich wie in der Wirtschaft?

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Von
  • David Talbot
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Der Suchmaschinenkonzern Google hat sich aus China zurückgezogen. Doch obwohl die Regierung die Online-Überwachung verstärkt, nutzen immer mehr Bürger das Internet. Ist Wachstum trotz Repression dort ebenso möglich wie in der Wirtschaft? Der 23. März war der Tag, an dem es dem Suchmaschinen-Giganten reichte. Einmal zu oft hatten chinesische Hacker – vermutlich im Dienst des Regimes – Googles E-Mail-Dienst Gmail angegriffen, um Menschenrechtsaktivisten zu belasten. Daraufhin entschied das US-Unternehmen, sich künftig nicht mehr den Zensurvorgaben der chinesischen Regierung zu beugen. Es leitete die Suchanfragen auf seine Server in Hongkong um und zog sich ganz vom chinesischen Festland zurück.

Der Konzern gab damit das auf, was Online-Aktivisten und US-Kongressmitglieder als die "zweite Front" im Kampf gegen Zensurbestrebungen Chinas im Internet bezeichnen. Damit ist die Möglichkeit gemeint, als bedeutender Player im chinesischen Internet Redefreiheit und Schutz vor staatlicher Schnüffelei direkt einzufordern. An der ersten Front stellen dagegen lose organisierte Freiwillige im Ausland Server und neutrale Internet-Adressen zur Verfügung, damit Chinesen jene ausländischen Webseiten lesen können, die im chinesischen Internet gesperrt sind.

An der zweiten Front agieren westliche Firmen, die wie bislang Google aufgrund ihrer Dienstleistungen eine wichtige Größe innerhalb der chinesischen Internetwirtschaft sind. Bereits vor zwei Jahren haben sich dazu Unternehmen, Forscher und Menschenrechtsgruppen zu der "Global Network Initiative" (GNI) zusammengeschlossen und einen freiwilligen Verhaltenskodex zur Unterstützung von freier Meinungsäußerung und anderen Menschenrechten ausgearbeitet.

In ihm verpflichten sich die Unternehmen, Privatsphäre und Redefreiheit gemäß Artikel 12 und 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in denen von ihnen betriebenen Diensten sicherzustellen und dies auch von ihren Geschäftspartnern zu verlangen. Die Unterzeichner versprechen auch, die Grundrechte bei der jeweiligen Regierung einzufordern und bei offensichtlich illegalen Handlungen seitens der Regierung diese sogar vor Gericht anzuklagen.

Bisher haben nur Microsoft, Google und Yahoo den GNI-Kodex unterzeichnet. Selbst eine der Gründerinnen von GNI gibt sich skeptisch: Rebecca MacKinnon, Expertin für das chinesische Internet und derzeit Gastforscherin an der Princeton University im US-Staat New Jersey. Jüngst schrieb sie in einem Blog, dass die einzigen wirkungsvollen Maßnahmen gegen die chinesische Zensur von den Chinesen selbst entwickelt würden.

Aktuelle Beobachtungen scheinen dies zu bestätigen. Denn auch ohne subversiven Technologie-Einsatz und den Druck globaler Konzerne finden sich in China Formen freier Meinungsäußerungen und Proteste, die das chinesische Zensurnetz erfolgreich unterwandern. Zuletzt wurde mit netzbasierten Kampagnen, die in Foren und Blogs bisweilen in wenigen Stunden oder Tagen aufblühen können, ausreichend Druck auf die Regierenden ausgeübt, die Auswirkungen staatlicher Willkür zumindest zu mindern.

"Das Internet hat dem chinesischen Volk mehr Macht gegeben als 30 Jahre Wirtschaftswachstum, Urbanisierung, Exporte und ausländische Investitionen zusammen", erklärt Yasheng Huang, China-Kenner und Professor für Internationales Management an der Sloan School, der renommierten Management-Hochschule des Massachusetts Institute of Technology (MIT). "In China gibt es vielleicht keine freie Rede, aber zumindest eine freiere Rede, weil das Internet für die chinesische Bevölkerung eine Plattform zur Kommunikation geschaffen hat."