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Was war. Was wird.

Die Langeweile hat uns wieder -- oder ist sie nun richtig vorbei? Wir sind noch einmal davongekommen, vor Untergangsfeiern, neudeutschen Patchorgien und missverstandenen amerikanischen Freunden, hofft Hal Faber.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Phhh. Wir sind noch einmal davongekommen. Heute fange ich darum einmal damit an, dass ich mich kräftig vergreife und Karl Kraus zitiere. Denn das Programm dieser Kolumne ist derart krausig und verwirrt so manchen Einklicker, eben kein tönendes "Was wir bringen", aber ein ehrliches "Was wir umbringen". So aber steht's auf der ersten Seite des ersten Heftes der Fackel. Bloß mit dem "Wir" gibt es Probleme, denn das magst Du gar nicht, liebe Leserin, lieber Leser, so einfach eingemeindet zu werden. Dabei ist die Sache einfach: Ohne all die Wirs, die all die politisch korrekten Links einschicken, ist das WWWW ein einziges Gestammel, da könnte man besser widdatwatoddawadattwatt lesen. Nehmen wir nur die Rechtschreibreform und den in der letzten Woche vorgestellten Duden, der, das habe ich übersehen, das schöne Wort Patch in die deutsche Sprache einbürgert. Der berühmte Sicherheitsmechanismus der Firma Microsoft ist also, wie das "Einklicken" und "Googlen", Teil unserer Sprache geworden. Wir dürfen jetzt patchen und wenn Du nicht mitmachen willst, dann hast Du entweder ein Problem oder ein anderes System. Wir sehen das nicht so eng. Und Du, wenn Du Dich nicht Einklicken willst, dann lebst Du halt in einer gespaltenen Welt. Aber das ist echt Dein Problem.

*** Auch nicht die Sache mit dem Duzen, das wir alle drauf haben: Ey, Du, haste mal nen Traum, ey? Der neue Ikea-Katalog für Büros ist draußen und duzt uns heftig im Befehlston, typisch deutsch. "Mach deine Arbeit zum Vergnügen!" werden wir streng mit ! angemacht. Beim Schreibtisch Motiv raunzt die Werbung "Klapp die Tischplatte auf und verstau Laptop, Tastatur und Dokumente. Was willst du mehr?" Weg mit diesem ganzen unansehnlichen Zeug, es muss Platz geben, damit du loslegen kannst. Wie hieß es noch am Ikea/Microsoft-Stand auf der CeBIT in Halle 1? Wohnst du noch oder installierst du schon? Hast du überhaupt den richtigen Computer, nur eine hirnrissige Fußfessel oder gar die neuesten Anwandlungen der Designer, die gar nicht mehr rotbehost daherkommen? Woher kommen dann bloß all die Drängeleien, wenn es heißt:"Arbeit kann so viel Spaß machen! Alles, was du brauchst: Lösungen, die funktionieren." Nun hat Ikea nicht nur das Duzen zu neuen Ehren gebracht, sondern auch den in Spanien programmierten Lingubot Anna eingestellt, die bei der Frage nach dem Betriebssystem alle Ikea-Namen raushaut. Es gab mal eine Zeit im Westen, als das Duzen noch geholfen hat und alle Genossen waren. Damals hing der von Alberto Korda fotografierte Che Guevara in den WGs, bei kritischeren Genossen kopfüber auf dem Klo, der Dialektik wegen. Das meistreproduzierte Foto der Welt gehört nun einer Firma namens Fashion Victim, die mit auf das große Geschäft mit ihrem geistigen Eigentum setzt: "New and improved, that's what we're about, baby." Eigentlich ein ganz passender Spruch für das kommende DRM-Shopping von heute.

*** Du, es geht uns doch noch gut in Oberjammergau! Die sich als Genossen Duzen, kennt man auch als Sozialdemokraten. Einer von ihnen, der NRW-Innenminister Fritz Behrens, feierte in dieser Woche die Installation der Videoüberwachung in Mönchengladbach als wichtigen Schritt der Polizei, mit Videokameras auf Verbrecherjagd zu gehen. Eine kleine Meldung und eine kleine Anlage, gewiss, doch ist sie Grundstock für ein landesweit Ausbauprogramm, das Verbrechen aus den Innenstädten zu verdrängen. Während die Arbeit mit versteckter Kamera bei der Polizei als "Verbrecherjagd" bezeichnet werden darf, gilt sie bei Journalisten nach Veränderung des Paragraphen 201a ab sofort als Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen. Nein, die Rede ist nicht von dem mächtig aufgebauschten Caroline-Urteil, in dem sich der ganze miserable Zustand unserer Aufmerksamkeitsgesellschaft spiegelt, in der die Zeitung mit mehr Bums und güldene Blättchen zum Hort der Pressefreiheit werden. Es geht vielmehr um investigative Filmer wie Manfred Karremann (Unter Kinderschändern), denen nun Freiheitsstrafen drohen, wenn sie filmen.

*** Versteckt ermittelt wird auch bei Toll Collect, doch immerhin mit korrekter öffentlicher Ausschreibung und durch den Auftraggeber. Im Stolpe-Ministerium will man langsam wissen, wie und ob die Gelder fließen. Ob mit Bearing Point nicht ein weiteres Böckchen zum Gärtnern aufgefordert wird, das wird die Zukunft zeigen. Derweil hat Toll Collect eine, ähem, unvorhergesehene Schutzverletzung produziert, obwohl es zur Berechnung der Maut nach dem Knoten-Kanten-Modell aus der Graphentheorie gar nicht der Daten von Stadtplandienst bedarf. "Toll Collect-Mitarbeiter befahren und vermessen das Autobahnnetz regelmäßig. Toll Collect verfügt deshalb über die aktuellste digitale Autobahnkarte Deutschlands." Derweil verhallt der Appell der Betreiber an die Spediteure, doch schnell die Mautgeräte einzubauen, "damit sich ihr Fahrer in aller Ruhe an die neue Technologie gewöhnen kann". Einfacher als ein Autoradio solle die neue OBU zu bedienen sein, und fast so einfach wie ein PC. Das lässt uns alle hoffen, die vor manchem Autoradio schneller kapitulieren als vor Windows Shorthorn, dem lieblichen XP mit seinem SP2.

*** Derweil lehrt uns die Geschichte, dass sie nichts lehrt. Heute vor 27 Jahren begann der Deutsche Herbst. Die Bundesrepublik Deutschland wurde unerpressbar. Ein Vergleich mit den Ereignissen in Beslan mag geschmacklos erscheinen, weil die Ziele und Methoden der Terroristen damals und heute unterschiedlicher nicht sein können. Doch die Frage muss erlaubt sein, wie hoch der Preis für die Unerpressbarkeit sein darf. Eine differenzierte Betrachtungsweise à la Schröder kommt nicht unbedingt zu den besseren Ergebnissen.

*** Heute vor 57 Jahren erschien On the Road (Unterwegs) von Jean-Louis Lebris de Kerouac, besser bekannt als Jack Kerouac. Im April 1951 hatte sich der Schriftsteller an seinen Küchentisch gesetzt und in 25 Tagen das Buch heruntergeschrieben, am Ende waren es 83 Meter auf einer 100 Meter langen Papierrolle, einzeilig beschrieben wie eine Straße. Es gehört zu den lustigsten Missverständnissen der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft, dass Unterwegs Anfang der 70er Jahre das Erkennungszeichen für junge Leute wurde, die in ihren Schulferien mit der Eisenbahn und Interrail durch Europa düsten. Und Interrail war auf seine Art einer der Vorläufer des Internet, wie ein mitreisender Julf Helsingius einmal behauptete. Sein finnisches Relais und später der Remailer entstanden aus der Idee, ein paar alte Bekannte anmailen zu können. Ja, wer on the Road ist, wird das Internet als eine Straße für Daten mögen und gar nicht verstehen, warum nun eckige Räder aus Redmond auf dieser Straße besser sein sollen.

Was wird.

Die große Langeweile geht noch lange nicht zu Ende, von Öffentlich-Rechtlich bis zu Privat versendet sich so die Zeit zwischen Grand Prix der Volksmusik und Voll normaaaal. Bei solch versendeter Zeit, die die These der Vernichtung der Information zu bestätigen scheint, freut sich mancher auf das Ende des Sommers, wenn die Zeit gekommen ist für Konferenzen und Proceedings im großen Stil, auf denen erholte Wissenschaftler und Politiker Fragen großer Tragweite klären. In Deutschland ist es Frau Bulmahn, die morgen in die freundliche, helle Welt der bleifreien Grünen Elektronik einführt, in denen schwachsinnige Slogans wie "Geiz ist geil" einfach nicht vorkommen. Verantwortlich, wie wir nun einmal alle sind, werden wir die Verschrottungsgebühren für die ständig veraltende Hardware akzeptieren. Wobei sich einige Zeitgenossen liebevoller von ihren treuen Datenträgern verabschieden als andere.

Derweil sich Toitschland in den nächsten Wochen noch einmal am Untergang seines letzten Helden delektieren darf und die Nachfolgegeneration der Generation ohne Eltern sich jetzt schon nach eigenem Gutdünken lächerlich machen möchte, feiert man den amerikanischen Freund, der auch die Hochzeit der New Economy, die die Geschäfte blühen ließ, erfolgreich überlebte. Denn obwohl Cisco Systems erst im Dezember 1984 gegründet wurde und am 25. Mai schon in den USA feierte, steigen nun in Deutschland die Festivitäten, in denen auf "20 Years of Cisco Innovation" geblickt werden kann. Doch wenn es dann ganz feierlich um innovative konvergente intelligente IP-Services geht, vergreife ich mich zum letzten Mal, für heute: "Die Leute verstehen nicht deutsch; und auf journalistisch kann ich's ihnen nicht sagen." (Hal Faber) / (jk)