Speichern ohne Ende

Claus Mikkelsen, Mr. Datenspeicher und Chefwissenschaftler von Hitachi Data Systems, sagt die 50 TB-Festplatte voraus.

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Von
  • Martin Kölling

Ein Blick in das faltige Gesicht von Claus Mikkelsen ist ein bisschen so wie ein Blick zurück in die Anfänge der Datenspeicherung. Der Chefwissenschaftler von Hitachi Data Systems (HDS), einem der führenden Anbieter großer Festplatten, schaut auf 43 Jahre Erfahrung in der Datenspeicherindustrie zurück, 32 davon bei IBM, die vergangenen 11 bei HDS. Er begann nur neun Jahre, nachdem IBM das erste Disk Drive (IBM 350) ausgeliefert hat: ein zwei Meter hohes und zwei Meter breites, 700 kg schweres Ungetüm, das laut Mikkelsens Erinnerung 4 MB Speicher hatte und damals 3200 Dollar Monatsmiete kostete. Er kenne niemanden der länger in der Industrie aktiv wäre als er selbst, sagt er. Und dennoch hat sich der "Mr. Datenspeicher" die Kraft zum Wundern bewahrt.

Vor wenigen Jahren habe er sich noch gefragt, wer um Himmels willen eine 1-TB-Festplatte brauche. Nun habe er selbst bereits 4 TB zu Hause herumstehen. "In fünf bis sieben Jahren werden Festplatten 30 bis 50 TB haben", sagt Mikkelsen bei einer Tour durch Hitachis Forschungszentrum für Datenspeicher im japanischen Odawara am Mittwoch dieser Woche. Derzeit seien 2- bis 3 TB-Festplatten erhältlich, Ende 2011 sieht er 4 TB-Exemplare den Markt erobern.

Die Frage "Braucht man das wirklich?" hat er sich offenbar abgewöhnt. Zu Recht, denn wieder einmal beweist das menschliche Verhalten, dass die virtuelle in vielen Belangen nur eine Fortsetzung der realen Welt ist. Zimmer, die man hat, werden ebenso vollgerümpelt wie vorhandene Festplatten. Es gibt nur einen entscheidenden Unterschied: Während der Ausbau eines Hauses teuer ist und die Menschen daher zum Entrümpeln gezwungen werden, sind Festplatten inzwischen so billig, dass die meisten Menschen (und Firmen) in ihrem Hang zur Faulheit und aus nüchternem Kosten-Nutzenkalkül lieber mehr Speicher kaufen als Datenspeicher aufwendig per Hand auszumisten. Dazu kommt noch hinzu, dass die Erweiterung noch nicht einmal mehr Platz wegnimmt, weil der Formfaktor der Festplatte sich kaum verändert, sondern stattdessen die Speicherdichte wächst.

Vorgezeichnet ist damit nicht nur eine Explosion des Speicherbedarfs, der durch den Siegeszug des Cloud Computing und des Digitalzeitalters noch potenziert wird. Gleichzeitig steigen durch die Vermehrung der Datentürme und die wachsende Komplexität der Netzwerke die Herausforderungen an Speicher- und Datenverwaltung.

Und an dieser Stelle haben jüngst IBM und in den Augen vieler Experten besonders HDS die Tür zu einer wichtigen Neuerung aufgestoßen: die Virtualisierung des Speichers. Virtuell werden für einen Großkunden alle seine verschiedenen, gerne auch räumlich in 100 Kilometer Umkreis verteilten Speicher der verschiedensten Ebenen virtuell in einen, leicht erweiterbaren und damit mitwachsenden "Speicher" zusammengefasst. Der Vorteil für die Kunden ist, dass sie nur noch eine Einheit managen müssen. Bei einem Besuch Hitachis bezeichnen selbst nüchterne Fachjournalisten und Analysten die virtuelle HDS-Plattform USP-V als revolutionär, selbst im Vergleich zu den Produkten seiner Rivalen. "Hitachi ist EMC um sechs Jahre voraus", meint der Storage-Analyst Josh Krischer.

Solch Lob gefällt Mikkelsen sichtlich. Er redet gerne von den Erfolgen und Fortschritten. Selbst durch den Vorstoß von SSDs (Solid-state Drives) wie sie in Highend-Laptops vermehrt Dienst tun, sieht er seine magnetische Datenscheibe nicht gefährdet. "Elektromagnetische Speicherung wird uns noch eine lange Zeit erhalten bleiben", verspricht er. Schon aus wirtschaftlichen Gründen.

Irgendwo hat er gelesen, dass sich der Preis von SSDs über 10 Jahre um jährlich 70 Prozent reduzieren müsse, um Festplatten preislich Konkurrenz zu machen. Aber deren Entwicklung geht ja ebenfalls weiter. "Ein Speicherlimit ist noch weit entfernt", prahlt er, "dass SSDs elektromagnetische Festplatten verdrängen, kann passieren, aber dann bin ich schon lange in Rente." Doch dann erinnert er sich offenbar an seine eigene Überraschung mit der 1 TB-Festplatte. "Aber ich bin immer vorsichtig mit solchen Urteilen. Vielleicht kommen ja einige Brüder in Taiwan mit einer neuen Idee, die alles über den Haufen wirft." (bsc)