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Autohersteller setzen immer mehr auf Gimmicks und Elektronik im Auto. Bald könnte Apple auf die Idee kommen, selbst eines zu bauen, zeigen Testfahrten mit Nissans neuesten Einfällen.

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Von
  • Martin Kölling

Die Verwandlung des Autos in rollende Konsumelektronik prescht immer weiter voran. Immer stärker greifen Algorithmen ins Lenkrad oder treten auf Gas oder Bremse, um Unfälle zu vermeiden – und lassen den Fahrer nebenbei das Fahren verlernen. Gleichzeitig transformieren sich die Kraftwagen durch die immer engere Vernetzung mit dem Internet in rollende Unterhaltungsplattformen. Die Hersteller verbauen Myriaden an weiteren Gimmicks. Vermutlich glauben sie, dass sie angesichts der wachsenden Automatisierung des Fahrens das Vertrauen in Fahrleistung und Handling als wichtiges Unterscheidungsmerkmal im Wettbewerb verlieren. Doch die endgültige Metamorphose vom Auto zum Gadget droht mit dem Elektroauto: Dann werden sich die Autobesitzer über Autos so unterhalten wie über ihr Handy. "Na, wie lang hält denn dein Akku durch?" Spätestens dann werden sich auch Elektronikhersteller und Firmen wie Apple sagen, dass nun auch sie Autos bauen können.

Dieser Eindruck verstärkte sich bei mir, als ich am gestrigen Mittwoch die alljährliche Testfahrt der neuesten Innovationen des Herstellers Nissan in der Nähe von Yokohama absolvierte. Die Firma ist einer der stärksten Motoren der beschriebenen Metamorphose. Nicht umsonst nimmt der Konzern seit 2007 als einziger Autohersteller der Welt an der japanischen Konsumelektronikmesse Ceatec teil. Das Ziel ist, pro Jahr mindestens 15 neue Technologien einzuführen – und das möglichst weltweit als Erster. Unter den Pioniertaten sind die erste 360-Grad-Rundumsicht aus der Vogelperspektive, die beim Ein- und Ausparken hilft, ein System gegen unbeabsichtigten Spurwechsel und das "Öko-Pedal", das bei Bleifußfahrten widerspenstig gegen den Fuß drückt, um den "User" so zum Benzin sparenden Fahrverhalten zu erziehen.

Ein Teil der Neuerungen waren daher auch eher mehr oder weniger nützliche Erweiterungen dieser Systeme. Die Rundumsicht wurde durch Software so weit aufgerüstet, dass sie auch vor Menschen und Tieren in unmittelbarer Umgebung des Fahrzeugs warnen kann, wodurch das Risiko gesenkt werden soll, dass Fahrer beim Parken aus Versehen Passanten anfahren. Das Spurhaltesystem wurde durch eine Warnung und ein Ausweichen vor Fahrzeugen im toten Winkel der Rückspiegel aufgerüstet. Praktisch. Das Öko-Pedal hat sich wiederum zum "aktiven Pedal" gemausert, das sich in in vielen Fahrsituationen regt. Wie es funktioniert, zeigen zwei automatische Crash-Vermeidungssysteme:

1. Der Auffahrunfall-Vermeidungsassistent, der das Vehikel zur Not vor einem Hindernis per automatisierter Vollbremsung von Tempo 60 auf 0 bremsen kann. Der Bremsweg von Tempo 40 auf 0 beträgt auf trockener Straße laut Nissans Technikern fünf Meter. Volvo hat Ähnliches eingeführt, doch funktioniert es nur bei niedrigeren Geschwindigkeiten und besteht nur aus einem Notbremssystem, während Nissans Technik zwei Phasen hat. Schon lange bevor die Elektronik in die Eisen steigt, erinnert sie den Fahrer durch Piepsen und Gegendruck des aktiven Gaspedals vor der Gefahr und animiert ihn zum Bremsen. Die Idee dahinter ist, dass der Fahrer selbst die meisten Unfälle durch rechtzeitiges Abbremsen vermeiden kann, so dass das Auto gar nicht in Verlegenheit kommt, die Notbremse zu betätigen.

2. Der Abstandskontrollassistent. Er funktioniert ähnlich wie das Notstoppsystem. Fährt der Nutzer zu dicht auf ein Auto auf, drückt zuerst das Gaspedal gegen die Schuhsohle, bevor das Auto selbst leicht abbremst. Der Gedanke ist hier wieder, den Fahrer nicht von der Verantwortung zu entbinden. Aber meinem Eindruck nach führt es dennoch zu einem weiteren Verlernen der Fahrtechnik. Denn das System funktioniert so gut, dass ich als Fahrer mich fragte, warum ich selbst den Zeitpunkt des Bremsens bestimmen soll, wenn das Auto es doch so gut kann. Merke: Das Roboterauto rückt einen weiteren Schritt näher.

Auch an der Front der Gimmicks, von denen man noch gar nicht wusste, dass man sie überhaupt gewollt hat, tummelt sich Nissan: Die Klimaanlage ist mit einem "Plasmacluster-Ionen"-Spender aus dem Hause Sharp versehen, die mit einem Sprühregen von Minus-Ionen den Nasen der Insassen vorgaukeln soll, im Bergwald neben einem Wasserfall zu stehen. Zusätzlich gibt die Klimaanlage auch noch Vitamin C-Derivate an die Raumluft ab, die in die Haut dringen und dort von Enzymen in Vitamin C umgewandelt werden. Dies soll die Haut feuchter halten als normale oder gar mit Vitamin C angereicherte Kosmetik.

Zum Glück hat Nissan auch für ökologisch verbrämte Bleifußfreunde zwei Schmankerln bereit. Da ist zum einen Nissans erster selbst entwickelter Hybridmotor. Die Kombo aus einem V6-Benziner und einem Elektromotor (genaue Leistung noch unbekannt) fährt sich im Stadtverkehr beim Anfahren und Gleiten meist wie ein Elektroauto, weil der V6-Motor nur bei rasanter Beschleunigung oder Geschwindigkeiten über 40 km/h anspringt. Zudem braucht das Auto nicht an die Steckdose, da bei Bedarf der Benzinmotor als Stromaggregat zum Aufladen des Akkus dient. Außerdem hat Nissan einen "Supercharged"-Drei-Zylinder mit 1,2 Litern entwickelt, der nur 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstößt, 180 km/h Spitze schaffen und ab 2011 im neuen Micra Dienst tun soll. Anbei bemerkt: Der Motor ist erstaunlich zivilisiert und agil. Den dritten Gang auf mehr als Tempo 100 hochzuziehen fühlt sich nicht wie eine Misshandlung der Maschine an.

Mein zugespitztes Fazit lautet demnach wie folgt:

1. Mit der Ökowelle bei Autos ist es wie mit der erhöhten Energieeffizienz bei Haushalts- und Elektronikgeräten. Bei letzterer Geräteklasse werden die Energieeinsparungen bei den einzelnen Geräten gesamtgesellschaftlich durch die Explosion elektrisch betriebener Komponenten oder den Kauf größerer Fernseher teilweise wettgemacht. Bei den Autos erfolgt dies durch die Verführung zum rasanten Fahren durch die neuen agilen Motoren (erst recht bei eAutos im Stadtverkehr).

2. Durch Einsatz von immer mehr Fahrassistenten verlernen wir nicht nur schrittweise die Beherrschung des Autos, sondern das Autofahren gleicht sich auch immer mehr einem Videospiel an. So sehr ich auch aufs Gas drücke, mir kann nichts passieren. Auch wenn die Autobauer es nicht beabsichtigen und immer wieder über die Fahrfreude, die sie vermitteln wollen, schwadronieren: Ich denke, sie erreichen mit der Elektronisierung des Autos im Gegenteil, dass der Trend zum Roboterauto sich verstärkt. Immer mehr Menschen werden sich sagen: Warum soll ich noch lenken und Gas geben, wenn das Auto selber bremsen und einparken kann? (bsc)