Assistent Roboter

Bei der Erforschung von Wahrnehmung und Denken arbeiten Biologen und Informatiker immer enger zusammen. Dass Biologen sich von Informatikern anregen lassen, ist allerdings relativ neu. Bislang verlief der Wissenstransfer überwiegend in der anderen Richtung, etwa wenn Ingenieure sich an biologischen Vorbildern orientierten.

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Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Orang-Utans haben keine Höhenangst. Das ist zunächst nicht weiter überraschend bei Baumbewohnern wie ihnen, doch damit gibt sich Susannah Thorpe nicht zufrieden. Die Biologin von der University of Birmingham möchte ganz genau wissen, wie es die bis zu 100 Kilo schweren Menschenaffen schaffen, sicher ihren Weg durch die komplexe, sich ständig verändernde Welt der Baumkronen im tropischen Regenwald zu finden. Künstliche Intelligenz soll ihr helfen, die natürliche Intelligenz der Primaten besser zu verstehen.

Auf Sumatra beobachtete Thorpe, dass Orang-Utans auf ihren Wegen durch die Baumwipfel nur sehr selten in Sackgassen geraten und umkehren müssen. Lücken im Baumbestand überwinden sie zum Beispiel, indem sie einen kleineren, dünneren Baum erklimmen und ihn wie ein Kind auf einer Schaukel in immer größere Schwingungen versetzen, bis sie der anderen Seite nahe genug kommen. Wie aber, fragt sich die Wissenschaftlerin, können sie aus der Ferne die Tragkraft der Äste und Lianen so zuverlässig einschätzen? Wie haben sie das gelernt?

Bei der Suche nach Antworten will sich Thorpe jetzt vermehrt auf Methoden und Begrifflichkeiten der Künstlichen Intelligenz stützen. Sie ist überzeugt, dass die für Roboter entwickelten Lernverfahren helfen können, das Verhalten der Menschenaffen zu erklären. Computersimulationen der Lebenswelt von Orang-Utans seien zwar noch "ein Stück weit weg", räumt die Biologin ein. "Doch der Denkansatz der KI hilft uns sehr, die Probleme aus der Perspektive der Tiere zu verstehen." Allzu leicht gerieten Forscher ansonsten in die Falle, alles nur aus menschlicher Sicht wahrzunehmen und zu deuten.

Was Thorpe an der im Computer erschaffenen Intelligenz fasziniert, ist der Blickwinkel des Designers. Zwar ist die natürliche Intelligenz der Tiere bislang noch jedem Computer überlegen, aber dafür ist die künstliche Intelligenz bis ins kleinste Detail bekannt. Mit ihr lassen sich Experimente durchführen, die mit Lebewesen nicht möglich oder nicht vertretbar wären. Gezielt können etwa bei Robotern Teile des Systems deaktiviert, der Informationsfluss gefiltert werden. Das daraus resultierende Verhalten lässt sich wiederum mit Tierbeobachtungen vergleichen und erlaubt Rückschlüsse auf deren Wahrnehmung und Denken.

Dass Biologen sich auf diese Weise von Informatikern anregen lassen, ist relativ neu. Bislang verlief der Wissenstransfer überwiegend in der anderen Richtung, etwa wenn Ingenieure sich an biologischen Vorbildern orientierten. So entdeckte der Neuroinformatiker Mandyam Srinivasan vor gut zehn Jahren an der Australian National University, dass sich Bienen am optischen Fluss orientieren. Sie schätzen ihre Geschwindigkeit anhand des Rhythmus der seitlich vorbei ziehenden Umgebung und weichen so auch Hindernissen aus. Die Forschungen hatten von vornherein das Ziel, Navigationsverfahren für autonome Flugroboter zu entwickeln. Die haben die Bienenmethode mittlerweile auch tatsächlich erfolgreich kopiert. Jetzt helfen umgekehrt Roboter den Entomologen, noch tiefer ins Insektenhirn zu schauen.

Experimente mit Ameisen haben etwa gezeigt, dass die Tiere ein Bild ihres Ausgangspunktes abspeichern, um den Weg zurück zu finden. Paul Graham, der an der University of Sussex die Insect Navigation Group leitet, versucht nun im Roboterexperiment herauszufinden, wie detailliert diese Umgebungsbilder sein müssen. Er und seine Mitarbeiter komprimierten die Bilder der Panoramakamera auf einfache geometrische Muster, dennoch erkannte der Roboter darin noch genügend Ähnlichkeiten, um einen einmal gelernten Weg wiederzufinden. Wichtig war es, die einzelnen Bilder nicht nur mit der jeweiligen Position zu verknüpfen, sondern auch mit der dort erforderlichen Bewegungsrichtung. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass Ameisen auf die gleiche Weise Bilder verarbeiten. Aber das Roboterexperiment gibt Hinweise, wie weitere Versuche mit Ameisen gestaltet werden müssen, um der Frage weiter auf den Grund zu gehen.

Nicht nur Insektenforscher profitieren von der Unterstützung durch Roboter. Die Vogelkundlerin Gail Patricelli (University of California) etwa untersucht mithilfe eines Roboters das Paarungsverhalten von Beifußhühnern. Ihren Roboterassistenten, herausgeputzt wie ein Beifußhuhnweibchen, schickt sie auf Schienen durch das Brutgebiet und registriert die Lockrufe der Männchen. Patricelli vermutet, dass die Männchen den Weibchen sehr zielgerichtet nachrufen. Diese Vermutung kann sie dank des Mikrofons an Bord des Roboters genauer als zuvor überprüfen.

Patricellis Roboter braucht für die Erfüllung seiner Aufgabe nicht viel Intelligenz. Der PoulBot dagegen, der in einem drei mal drei Meter großen Gehege an der Freien Universität Brüssel Hühnerküken betreut, soll mit der Zeit immer klüger werden. In dem gemeinsam mit der Polytechnischen Hochschule in Lausanne betriebenen Projekt soll mithilfe des Roboters die Entwicklung des Sozialverhaltens bei Hühnern studiert werden. Derzeit fährt der PoulBot auf einem Zufallskurs durchs Gehege, während die auf ihn als Muttertier geprägten Küken ihm folgen. Die Forscher beobachten dabei unter anderem die Abstände, die die Tiere sowohl zum Roboter wie auch zu ihren Geschwistern einhalten. Mit zunehmenden Fähigkeiten des Roboters sollen aber nach und nach auch komplexere Fragestellungen untersucht werden.

Sehr komplizierte Fragen könnte eines Tages Corvid aufwerfen, der gerade an der Technischen Universität Wien entsteht. Die Gestalt dieses Roboters ist dem Körperbau einer Krähe nachempfunden. Das bedeutet zunächst einmal, das dessen Kamera fest mit dem Greifer verbunden ist. Den Forschern soll das einen besseren Zugang zur Vogelperspektive ermöglichen, bei der die Augen stets dem Schnabel folgen. Krähenvögel sind dafür berühmt, dass sie mit ihrem Schnabel sehr geschickt die Umwelt manipulieren können. Die auf Neukaledonien lebende Geradschnabelkrähe kann sich sogar gezielt Werkzeuge anfertigen. Davon ist Corvid noch weit entfernt. Derzeit bewegt sich der Roboter noch auf Raupen durch die Gegend. Eine Krähe jedoch hat Füße, mit denen sie Gegenstände festhält, um sie mit dem Schnabel zu bearbeiten.

Früher oder später aber wird es möglich sein, einem Roboter die Geschicklichkeit und Intelligenz einer Krähe zu verleihen. Ein Nachkomme von Corvid könnte dann eines Tages ganz von selbst darauf kommen, sich aus Rohmaterial einfache Hilfsmittel zu formen. Erschafft damit ein Werkzeug die Urform seiner selbst? Spätestens dann ist es Zeit, dass die Biologen und Informatiker ihre Forschungsteams durch Philosophen und Theologen verstärken. (jk)