Bloggen oder arbeiten

Mit dem Vordringen von Facebook, Twitter und Co. verliert die Marketingabteilung ein Stück weit die Hoheit über die Außendarstellung des Unternehmens – was nicht zwangsläufig von Nachteil ist. Damit aus der Beteiligung der Angestellten am Mitmachweb aber keine PR-Katastrophe erwächst, sollten Unternehmen mit Social Media Guidelines regeln, wer was wo und wann veröffentlichen darf.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Frank Puscher
Inhaltsverzeichnis

Alles, was wir als News veröffentlichen, gilt als gesagt. Interna haben in den Medien nichts verloren“, erklärt Claudia Sommer. In ihrem Arbeitsbereich dürfen die Mitarbeiter zwar gerne twittern, bloggen und facebooken, aber nur einige Wenige vertreten offiziell den Standpunkt der Firma. Das ist für Claudia Sommer und ihren Arbeitgeber überlebenswichtig, denn der heißt Greenpeace und kaum ein Unternehmen steht so im Brennpunkt des anwaltlichen Interesses der Gegenseite wie die Umweltschützer. Kleinste Fehler im Kommunikationsverhalten nach außen könnten fatale Folgen für Greenpeace haben. Claudia Sommer: „Meinungen finden nur in unserem Blog statt und sind dort klar gekennzeichnet.“

Mit einem Bein vor Gericht: Potenziell ist jede Kritik weltweit sichtbar.

Als Webmanagerin von Greenpeace Deutschland weiß Sommer, welchen Druck das Social Web entfalten kann, wenn es einmal von der Leine gelassen wird. Sie selbst hat mit ihren Kollegen vor kurzem einen Sturm der Entrüstung gegen den Lebensmittelgiganten Nestlé entfacht. Mit einem Video, das sich viral über soziale Medien wie Twitter und Facebook verbreitete, machte Greenpeace darauf aufmerksam, dass bei der Gewinnung von Palmöl für Nestlés Schokoriegel KitKat der Lebensraum von Orang-Utans zerstört wird.

Im Proteststurm sah sich Nestlé zunächst gezwungen, die KitKat-Fanseite auf Facebook abzuschalten – die zum fraglichen Zeitpunkt 700 000 Fans hatte! Und zum vorläufigen Schluss veröffentlichte Nestlé sogar einen Fahrplan, wie man den Missstand möglichst schnell zu beheben gedenke. Was anfangs wie ein kleinerer Imageschaden vor allem bei aktiven Netzbürgern aussah, erzwang letztlich die Änderung der Produktpolitik eines Milliardenkonzerns.

Vor dieser Kraft sozialer Medien haben viele Unternehmen Angst – auch, wenn sie sich keine Verfehlungen gegenüber bedrohten Tierarten vorzuwerfen haben. Denn die Gefahr des Mitmachwebs besteht nicht nur aus von außen herangetragenen Aktionen, sondern kann auch aus dem Unternehmen selbst kommen, wenn etwa Mitarbeiter in Blogs und Foren ihre Meinung veröffentlichen.

Es kostet nur ein paar Mausklicks, und schon ist der Frust über das schlechte Kantinenessen, das miserable Betriebsklima oder den saudummen Geschäftspartner gepostet. Getwitterte oder auf der Facebook-Statusseite veröffentlichte Updates sind häufig nicht nur für Freunde, sondern für Jedermann lesbar; einmal veröffentlichte Beiträge lassen sich kaum rückgängig machen, weil sie von Suchmaschinen und anderen Nutzern kopiert werden. Klaus Eck, der sich als Blogger und Berater mit PR in Zeiten des Web 2.0 befasst, warnt Angestellte ausdrücklich: „Es muss dem Einzelnen bewusst sein, dass er mit nur einem Tweet die Reputation seines Arbeitgebers beeinträchtigen kann. 140 Zeichen können völlig ausreichen.“

Der neuen Ausgangslage begegnen einige Unternehmen mit Social Media Guidelines: Richtlinien zum Gebrauch der sozialen Medien also, die festlegen, wer was wann und wo schreiben darf, wie die eigene Meinung von der offiziellen Firmendiktion zu trennen ist und – ein nicht zu unterschätzender Punkt – wie viel Arbeitszeit ein Mitarbeiter im Social Web verbringen darf oder sollte. Dazu zählt nach heutigem Verständnis auch YouTube.

Maulkorb: Auch prominente Fußballer müssen sich an ein Social-Media-Verbot halten.

Im Extremfall besteht die Social-Media-Richtlinie aus einem strikten Verbot. Prominente Opfer eines solchen Verbots sind zum Beispiel die Fußballer von Manchester United. Im Januar schloss die Marketingabteilung von ManU kurzerhand die Twitter-Accounts von Ryan Giggs, Rio Ferdinand und Wayne Rooney. Einer Studie von Cisco zufolge gehen 44 Prozent der deutschen Unternehmen denselben Weg und untersagen den Umgang mit Social Media während der Arbeitszeit komplett.

Andere Firmen begegnen dem sozialen Web dagegen wesentlich offener. Firmen wie SAP, IBM, Daimler und Kodak erlauben ihren Mitarbeitern in Grenzen die Teilnahme am Web 2.0. Sie erhoffen sich unter anderem einen Image-Gewinn. Indem die Mitarbeiter twittern, sich auf Facebook oder anderen Netzen als Angestellte zu erkennen geben, erhält das Unternehmen ein Gesicht.

Selbst PR-Agenturen beschränken die freie Nutzung von Social Media.

(Bild: news aktuell)

Digitale Mundpropaganda kann helfen, neue Produkte in der Netzgemeinde bekannt zu machen – ganz ohne Marketingplan aus der PR-Abteilung. Mitarbeiter sind im Social Web näher am Kunden, können sich dort mit ihm intensiver und direkter über Produkte austauschen, und auch wenn es Probleme oder Vorschläge für Verbesserungen gibt, erfahren sie es schneller.

Dass Unternehmen sich dem Mitmachweb öffnen, ist letztlich aber auch eine unvermeidbare Reaktion auf eine veränderte Online-Welt. Wer die Benutzung von sozialen Diensten unterbinden will, wird auf Dauer vermutlich jede Website sperren müssen, denn die Integration von Mitmachfunktionen in Webseiten schreitet in Windeseile fort. Tweets sind eben nicht nur via Twitter.com verbreitbar, sondern auch durch Onlinetools wie Twitzap oder Brizzly.

Außerdem kann man es zwar im Unternehmen verbieten und durch technische Maßnahmen unterbinden, dass Mitarbeiter sich im Social Web betätigen. Was diese zu Hause twittern oder anderweitig veröffentlichen, lässt sich aber kaum kontrollieren. Da Social Media mit Höchstgeschwindigkeit in den privaten Alltag vieler Menschen vordringen, müssen Unternehmen hierauf reagieren.

Klare Regeln und Schulungen, die vor allem auch die konstruktiven Möglichkeiten des Social Web in den Fokus heben, sind vor diesem Hintergrund besser als Verbote. So hält es zum Beispiel auch Intel: „Wir verbieten unseren Mitarbeitern nichts. Wir zeigen ihnen lediglich die Möglichkeiten und die Gefahren des sozialen Netzwerkens auf“, so Kari E. Aakre, die bei dem Chip-Hersteller für Social Media zuständig ist.

„Da Arbeitszeiten und Freizeit immer enger verschmelzen, können und wollen wir niemandem vorschreiben, wann er privat und wann er beruflich im Internet surfen darf.“ Bevor Angestellte allerdings das Web 2.0 nutzen dürfen, vermittelt Intel seine Regeln: „Jeder, der Angebote wie Facebook, Skype oder Twitter nutzen will, wird vorher geschult.“

Social Media Guidelines sind Leitfaden und Regelwerk zugleich. Sie sollen die Angestellte informieren und in der Regel für das Social Web begeistern, gleichzeitig aber auf die Tragweite des Handelns dort aufmerksam machen. Der harte Kern verbindlicher Regeln beschränkt sich meistens auf Verbot oder Erlaubnis zur Nutzung bestimmter Dienste während der Arbeitszeit.

Die Guidelines definieren Prozesse für die Abwicklung externer Anfragen, zum Beispiel durch die Presse, und natürlich verbieten sie unternehmensschädigendes Verhalten, was allerdings schon im Arbeitsrecht umfassend geregelt ist. Interna und Betriebsgeheimnisse dürfen auch dann nicht veröffentlicht werden, wenn das nicht explizit im Arbeitsvertrag steht. „Verstöße gegen die allgemeine Treuepflicht können arbeitsrechtliche Konsequenzen haben“, erläutert Rechtsanwalt Henning Krieg von der kanzlei Osborne Clarke.

Mehr Infos

Leitfaden für Guidelines

Der Bundesverband digitale Wirtschaft (BVDW) hat eine Broschüre herausgebracht, die Unternehmen helfen soll, unternehmenseigene Social-Media-Richtlinien aufzustellen. Einen Verweis zu der kompletten Broschüre finden Sie unter dem c’t-Link. Die zentralen Punkte lauten:

  1. Definieren Sie Ziele!
  2. Geheimnisse sind geheim und Interna bleiben intern!
  3. Mitarbeiter müssen authentisch sein.
  4. Wer veröffentlicht, übernimmt Verantwortung.
  5. Interne Kritik ist erlaubt, bleibt aber intern.
  6. Gehen Sie mit Fehlern offen um!
  7. Schonen Sie Ihre Geschäftsbeziehungen!
  8. Beachten Sie das geltende Recht!
  9. Schränken Sie private Nutzung von Social Media während der Arbeitszeit ein!
  10. Social Media erfordern kontinuierliches Engagement.

Bei der Formulierung individueller Social Media Guidelines sollten mindestens die Marketingabteilung, die Rechtsabteilung und der Betriebsrat involviert sein. Für Sean MacNiven, Head of Social Web bei der SAP AG, ist es wichtig, dass die Guidelines lebendig sind. Sie dürfen kein starres Konstrukt sein, sondern sollen die Mitarbeiter zur Teilnahme am sozialen Web einladen. Wer eigene Guidelines formulieren will, findet unter dem c’t-Link am Ende des Artikels Verweise zu den Richtlinien von mehr als 100 Unternehmen als Anregung. Zudem hat der Bundesverband digitale Wirtschaft einen Leitfaden herausgebracht (siehe Kasten).

Social Media Guidelines müssen immer mal wieder an neue Gegebenheiten im Unternehmen oder im Web angepasst werden. Hierfür eignen sich zum Beispiel die Schulungen. Wenn sich die Mitarbeiter an der Formulierung der Guidelines beteiligen, steigert das automatisch deren Akzeptanz.

Wichtig ist auch, dass kompetente Ansprechpartner benannt werden, die möglichst außerhalb der direkten Hierarchiestufen sitzen. An die sollen sich Mitarbeiter wenden können, wenn sie in der Nutzung von Social Media unsicher sind oder dort Anstößiges finden. Schließlich bedeutet die Nutzung von Social Media durch die Mitarbeiter auch gleichzeitiges Monitoring desselben – eine Funktion, die Unternehmen definitiv wünschen.

Social Media Governance ist gefragt: Die Unternehmensleitung muss neben den Social Media Guidelines auch klären, was Social Media für die Firma und deren Geschäftsprozesse eigentlich grundsätzlich bedeuten, und eine Marschrichtung vorgeben, wie sich Social Media erfolgreich in die eigene Organisationen integrieren lassen. Social Media Governance bedeutet allerdings mehr als nur das Auftstellen von Regeln, meint Nadja Parpart, Beraterin bei der Webagentur Virtual Identity. Parpart fordert, dass die Manager selbst Social Media nutzen, auch intern, um den eigenen Mitarbeitern „zuzuhören“.

Ein striktes Nutzungsverbot von Social Media jedenfalls ist auf Dauer kontraproduktiv. Es birgt das Risiko, die Mitarbeiter zu „kriminalisieren“ und damit eine unerwünschte Arbeitsatmosphäre zu erzeugen. Schon jetzt gaben 40 Prozent der von Cisco befragten Nutzer an, die ausgesprochenen Verbote regelmäßig zu umgehen: Nicht via kontrollierbarem Firmenrechner, sondern mit dem Smartphone.

www.ct.de/1015074

(jo)