Bis ans Limit

Kernspannung, Base Clock, Multiplikatoren und Co.: Nur wer seinen Prozessor und dessen Bedürfnisse gut kennt, kann ihn erheblich schneller und trotzdem stabil rechnen lassen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Benjamin Benz
Inhaltsverzeichnis

Um aus einem Prozessor das Maximum an Taktfrequenz und damit auch Performance herauszuholen, reicht es nicht aus, nur an einer Stellschraube zu drehen. Vielmehr muss der Chiptuner viele einzelne Optionen fein aufeinander abstimmen und zwischen einer ganzen Reihe von Parametern abwägen, von denen sich manche wiederum gegenseitig beeinflussen.

Ohne viel Geduld, Zeit, Fingerspitzengefühl und eine gewisse Risikobereitschaft kommt man leider nicht weit. Dennoch reduziert ein systematisches Vorgehen anhand unseres Leitfadens und die Kenntnis der Zusammenhänge zwischen den einzelnen Parametern die Anzahl der Fehlschläge und Abstürze.

Nachdem die vorige Folge des Übertaktungsleitfadens [1] gezeigt hat, wie man Prozessoren mit offenem Multiplikator einfach, elegant und relativ gefahrlos übertakten kann, geht es diesmal ans Eingemachte: Wer sich die Mühe macht, das Optimum zwischen Kern-, I/O-, Speicher- und Northbridge-Spannung, Basis- und Speichertaktfrequenz, Multiplikatoren für Core- und Uncore-Bereiche sowie Schnittstellengeschwindigkeiten und einigen weiteren Einstellmöglichkeiten zu finden, wird mit Performance-Steigerungen von 60 Prozent oder gar mehr belohnt – sofern er auch Glück hat.

Greift man bei einzelnen Parametern daneben oder übertreibt es mit Taktfrequenzen und Spannungen, wird das System schnell instabil oder geht kaputt. Dass in diesem Fall weder gegen den Händler noch gegen uns Garantieansprüche bestehen, versteht sich hoffentlich von selbst. Das Betreiben des Prozessors jenseits des vom Hersteller spezifizierten Bereichs ist vergleichbar mit Extremsport: Nervenkitzel, Adrenalinausstoß und Gesprächsstoff für die nächste Party gehören ebenso dazu wie kostspielige Ausrüstung und teure Fehlschläge. Um Frust zu vermeiden, stellen Sie sich jedoch von Anfang an auf Dutzende von Abstürzen und Neustarts ein.

Moderne AMD- und Intel-Prozessoren bestehen aus einer ganzen Reihe verschiedener Takt- und Spannungsdomänen. So brauchen die Rechenwerke (Cores) andere Taktfrequenzen und Spannungen als Speicher-Controller oder Schnittstellen zur Peripherie. In jeder einzelnen solchen Domäne muss die Spannung zur Taktfrequenz passen. Grundsätzlich gilt: Hohe Taktfrequenz erfordert hohe Spannung. Damit steigen auch Leistungsaufnahme und Kühlungsbedarf. Eine ausführliche Erklärung der Zusammenhänge sowie der Nebenwirkungen von zu hoher Spannung finden Sie in [2].

Gleicher Name, gleicher Preis – unterschiedliche Eigenschaften: Der eine Core i5-750 (gestrichelt) kommt im Nominalbetrieb mit niedrigerer Kernspannung (braun) aus und erreicht eine höhere Maximalfrequenz als sein Bruder (durchgezogene Linie). Dafür verbrät er im mittleren Bereich mehr elektrische Leistung (blau).

Die Taktfrequenzen für fast alle Domänen leiten sich aus einem einzigen Referenzsignal ab. Dieses heißt bei modernen Intel-CPUs „Base Clock“ und hat einen Nominalwert von 133 MHz (oder genauer 133,33… MHz). AMD verwendet 200 MHz und Namen wie „CPU/HT Reference Clock“. Aus diesen Grundfrequenzen entstehen die Taktsignale für die einzelnen Funktionsbereiche durch Multiplikation mit einem oft einstellbaren Faktor.

Allerdings präsentiert längst nicht jedes BIOS-Setup oder Übertaktungs-Tool den nackten Multiplikator. Insbesondere für Speicher und Schnittstellen wie QPI oder HyperTransport (HT) stehen oft nur ein paar vordefinierte Stufen zur Auswahl, mit teils kreativen Namen. Im Zweifellsfall hilft hier nur nachrechnen: Teilen Sie die jeweilige Frequenzangabe der Stufe – oder den mit Tools wie CPU-Z ausgelesenen Ist-Wert – durch die gerade eingestellte Basistaktfrequenz. Lassen Sie sich dabei auch nicht verwirren, wenn das Ergebnis wegen der Double-Data-Rate-Technik um den Faktor zwei danebenliegt.

Bevor es mit dem Übertakten losgeht, stehen einige Vorbereitungen an, denn während der Experimente kommt unweigerlich der Punkt, an dem sich der Prozessor verrechnet oder der ganze Rechner abstürzt. Ein Backup aller wichtiger Daten auf ein externes Laufwerk ist daher unter allen Umständen Pflicht! Während der Übertaktungsversuche sollte das Backup-Medium keinesfalls am PC hängen. Auf Nummer sicher geht, wer gleich ein komplettes Image des Systems zieht.

Die wichtigsten Software-Tools haben wir unter dem Link am Ende des Artikels zusammengetragen. Machen Sie sich mit CPU-Z, HW-Monitor sowie den diversen Stabilitätstests vertraut, solange ihr Rechner noch im Rahmen seiner Spezifikationen arbeitet. Wir verwenden im Folgenden den Multicore-Rendering-Lauf aus dem Cinebench als Lasttest, weil er auch gleich einen Performance-Wert ausspuckt. Bevor ein übertakteter Rechner in den Dauerbetrieb geht, muss er jedoch weitere Stresstests absolvieren [1].

Notieren Sie sich außerdem alle wichtigen Eckdaten – am besten gleich in Form einer Tabelle auf einem zweiten Rechner. Ein paar Vorlagen haben wir im Excel- und OpenOffice-Format zum Download bereitgestellt. Zu den interessanten Werten gehören neben den diversen Taktraten, Multiplikatoren, Spannungen und Speicher-Timings auch die Temperaturen der Komponenten. Im Zweifellsfall schaden auch der ein oder andere Screenshot oder das Abspeichern eines CPU-Z-Protokolls nicht. Während unserer Experimente kamen für fünf untersuchte CPUs rund 350 Tabellenzeilen zusammen – fast jede davon steht für einem Neustart.

Ein Blick in die CPU-Datenblätter von AMD oder Intel verrät, wie viel Hitze und Spannung der Prozessor verträgt. Oberhalb dieser Grenzwerte wird es brenzlig, aber auch knapp darunter ist nicht unbedingt ein stabiler Dauerbetrieb gewährleistet.

Die nächste Anlaufstelle ist das BIOS-Setup Ihres Rechners. Dokumentieren oder Fotografieren Sie auch hier alle Einstellungen, damit Sie im Zweifellsfall zum Normalbetrieb zurückkehren können. Manche Rechner bieten auch das Abspeichern der Setup-Einstellungen in einem Profil an.

Los geht es mit dem Laden der Standardeinstellungen („Setup Defaults“, „Optimized Defaults“, etc.), um einen definierten Ausgangspunkt zu schaffen. Danach passen Sie Optionen wie AHCI und Co. [3] so an, dass Ihr Betriebssystem einwandfrei und möglichst flott startet. Nicht benutzte Zusatzchips, Schnellstart-Linuxe und bunte Splash-Screens verlängern die Bootzeit unnötig und nerven bei jedem Booten ein wenig mehr.

Dieser Core i3-530 hat unsere Übertaktungsversuche nicht überlebt. Immerhin findet er nun als Anschauungsobjekt Verwendung: Gut zu erkennen sind die beiden einzelnen Dice unter der Haube.

Fast alle aktuellen Prozessoren beherrschen Stromsparfunktionen wie SpeedStep oder Cool’n’Quiet, können also mit unterschiedlichen Frequenzen beziehungsweise Multiplikatoren arbeiten. Diese Taktfrequenzwechsel erschweren das Übertakten, weil sie im Grenzbereich womöglich nicht zuverlässig klappen. Wer C1E, Speedstep, EIST, Cool’n’Quiet oder C-States, aber auch Turbo-Modi deaktiviert, erleichtert sich das Übertakten – freilich um den Preis deutlich höherer Leistungsaufnahme auch im Leerlauf.

Machen Sie sich nun ein paar Notizen, was Sie gegenüber den Vorgaben des BIOS-Setup verändert haben. Das hilft bei der Rekonstruktion der Einstellungen nach einem sogenannten CMOS-Reset. Diesen letzten Rettungsanker – wenn dem Prozessor ein Parametersatz gar nicht schmeckt – kann man entweder per BIOS-Setup, per „CMOS-Clear“-Jumper auf dem Mainboard oder durch zeitweisen Ausbau der Pufferbatterie auslösen. Er setzt alle Setup-Optionen auf die vom Hersteller vorgesehenen Standardwerte zurück.

Bei den meisten CPUs ist der Maximalwert des Multiplikators beschränkt, meistens auf den für die Nominalfrequenz nötigen Wert, bei Turbo-Prozessoren je nach Zahl der belasteten Kerne höher [4]. Nur wenige CPUs erlauben die freie Wahl des Multiplikators [1], bei den meisten lässt er sich per BIOS-Setup oder Overclocking-Software ausschließlich absenken. Als Stellgröße zum Übertakten bleibt folglich nur die Basistaktfrequenz – eventuell sogar in Kombination mit einem leicht abgesenkten Multiplikator.

Bei vielen Mainboards blockiert die manuelle Einstellung des CPU-Multiplikators die Stromsparfunktionen – die Rechenwerke können ihre Taktfrequenz nicht mehr automatisch wechseln. Das bedeutet übrigens auch, dass etwa vorhandene Turbo-Funktionen ausfallen, der Prozessor läuft also komplett auf manueller Steuerung.

AMD-Prozessoren mit K10-Innenleben haben im Wesentlichen fünf verschiedene Power Planes. In jeder muss die jeweilige Versorgungsspannung zu den dort verwendeten Taktfrequenzen passen.

Allerdings leiten außer den Rechenwerken auch Speicher, Speicher-Controller, Caches und Schnittstellen ihre Taktfrequenz aus der Basistaktfrequenz ab. Somit ergibt sich ein reichlich komplexes Gebilde, das nur dann stabil läuft, wenn kein Bereich an seine Grenze stößt. Würde man einfach den Referenztakt hochzwirbeln, kommt allzu schnell der Punkt, an dem der Rechner nicht mehr zuverlässig arbeitet. Das Anheben einzelner Spannungen auf gut Glück ist ebenso wenig ratsam.

Welcher Bereich gerade überfordert ist oder noch Potenzial birgt, lässt sich zwar nicht ohne Weiteres vorhersagen, jedoch schrittweise ermitteln: Dazu lotet man die Bereiche zuerst einzeln aus und bestimmt so die Obergrenze für die jeweilige Taktfrequenz und die dafür benötigte Spannung.

Hat man für eine Domäne sinnvolle Parameter gefunden, gilt die einfache Grundidee: Senkt man die Taktfrequenz ab, ohne dort die Spannungen zu verändern, wird das aller Wahrscheinlichkeit nach die Stabilität nicht negativ beeinflussen.

Den vollständigen Artikel finden Sie in c't 19/2010. (bbe)