Schneller als das Auge

Mit dem 3D-Boom kommen auch stereoskopische Spiele ins Wohnzimmer. Wissenschaftler befürchten stärkere gesundheitliche Probleme, wenn Spieler noch dichter und länger vor dem 3D-Bildschirm hocken.

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Inhaltsverzeichnis

Wissenschaftler wie Martin Banks von der Berkeley-Universität sind den gesundheitlichen Auswirkungen von 3D-Filmen, die bei einigen Zuschauern Kopfschmerzen, Müdigkeit oder gar Übelkeit auslösen, schon länger auf der Spur [1]. Neben flimmernden Shutter-Brillen und auftretenden Geisterbildern zählt die Entkoppelung von Akkommodation (Brennweitenregulierung der Iris) und Konvergenz (Fokussierung des Objekts über die Sehachsen der Augen) zu den grundsätzlichen Problemen der stereoskopischen Wiedergabe, denen man selbst mit besserer Brillen- und Bildschirmtechnik kaum beikommen kann. Während die Augen in der realen Welt ein Objekt direkt fokussieren und die Brennweite der Iris dabei auf die tatsächliche Entfernung des betrachteten Objekts anpassen, muss letztere bei einem 3D-Fernseher stets auf die Display-Oberfläche scharf stellen – unabhängig von der Fokusebene.

Während die Iris des Auges in der realen Welt direkt auf ein Objekt scharf stellt, fixiert sie ihre Brennweite bei 3D-Displays immer auf die Bildschirmoberfläche.

Wegen dieses Unterschiedes zum natürlichen Zusammenspiel von Akkommodation und Konvergenz benötigen Zuschauer meist etwas länger, um sich an eine 3D-Szene zu gewöhnen. Verändert sich der Abstand des Objekts zum Betrachter, so bekommt das Auge dies in der realen Welt durch die Änderung des Fokuspunktes und einer beginnenden Unschärfe mit und passt Irisbrennweite und Blickwinkel automatisch an. Auf einem 3D-Display fehlt jedoch der Unschärfe-Indikator: Das Auge muss nur den Fokussierungswinkel anpassen, während die Iris ihre Brennweite weiterhin auf die Bildschirmebene fixiert. Für dieses unnatürliche Sehen sind fortlaufend regulierende Bewegungen der Augenmuskulatur nötig, die das Auge schneller ermüden.

In Filmen kann der Regisseur jede einzelne Szene und Einstellung so anpassen, dass die Augen die Konvergenz nicht zu schnell anpassen müssen. So hat beispielsweise James Cameron in der ersten halben Stunde des Films „Avatar“ bewusst auf schnelle Action-Szenen verzichtet, damit sich die Augen der Zuschauer an das unnatürliche 3D-Sehen gewöhnen können. Zudem liegen die Hauptpersonen und wichtige Objekte einer Szene häufig in Nähe der Bildschirmebene.

In 3D-Spielen gibt es allerdings keinen Regisseur, der Blickrichtung und Tempo vorbestimmt. Hier ist es üblicherweise die Spielmechanik, die dem Spieler mehr oder minder große Bewegungsfreiheit gewährt. „Das Auge kann im Spiel nicht immer vorhersehen, wie sich der Abstand der Objekte ändert. Es wird mitunter von Objekten überrascht, die plötzlich auf dem Bildschirm aufpoppen. Dann fällt es den Augen schwer, schnell richtig zu konvergieren“, erklärt Banks, der in Berkeley das Visual Space Perception Laboratory leitet. Diesen Effekt konnten wir beispielsweise im Rennspiel „Wipeout HD“ nachvollziehen, in dem der Blick des Spielers sehr schnell zwischen Gegner, Beschleunigungs-Pad und HUD-Anzeige wechseln muss. Problematisch können auch Ego-Shooter sein, in denen der Blick des Spielers auf das Zielkreuz fokussiert. Wenn dieses in der virtuellen Umgebung zwischen verschiedenen Objekten hin und her springt, können die Augen dem nur schwer folgen.

„Der Konflikt zwischen Konvergenz und Akkommodation verstärkt sich bei einem geringeren Abstand zum Bildschirm. Spiele zeigen Charaktere häufig viel zu weit vor oder hinter der Bildschirmebene. Zudem sitzen Spieler des Öfteren länger vor einem Spiel, als sie einen Film schauen würden“, zählt Banks die Unterschiede zwischen 3D-Spielen und -Filmen auf.

Während am PC Spiele per Grafikkartentreiber automatisch stereoskopisiert werden, ohne dass eine spezielle Anpassung auf das räumliche Sehen stattfindet, will Sony bei künftigen stereoskopischen Spielen für die Playstation 3 die Szenen so gestalten, dass sie Spieler nicht überfordern. So raten sie Entwicklern, dass die maximale Parallaxe, die den Abstand der Projektion eines Objektes für das rechte und linke Auge beschreibt, nicht größer als ein Dreißigstel der Bildschirmbreite sein sollte. Hauptobjekte sollten in Nähe der Bildschirmebene platziert werden. Diese „Komfort-Zone“ ist abhängig vom Abstand des Spielers zum Bildschirm: Je weiter weg er sitzt, desto tiefer dürfen Objekte gestaffelt werden.

„Spiele sollten es vermeiden, die Distanz der Objekte zu schnell zu wechseln“, fordert Simon Benson von Sony Computer Entertainment. Der Entwickler arbeitet in den Evolution Studios in Großbritannien, die derzeit das Rennspiel „Motostorm: Apokalypse“ stereoskopisch umsetzen. Auch in den Niederlanden bei Guerilla Games ist man sich der Problematik bewusst. So achte man für den kommenden Ego-Shooter „Killzone 3“ besonders darauf, das Zielkreuz sanft zwischen unterschiedlich entfernten Objekten gleiten zu lassen und die Spieler in Mehrspieler-Szenarien nicht mit zu vielen Informationen zu überfordern.

Spieler können die Augen entlasten, indem sie den Abstand zum Bildschirm vergrößern. Benson sieht sogar einen positiven Effekt: "Je weiter man vom Bildschirm entfernt sitzt, desto größer erscheint die räumliche Tiefe des 3D-Bildes." Wer näher am Bildschirm sitzt, kann zwar besser in die virtuelle Szenerie eintauchen, sollte seinen Augen zuliebe aber die Intensität des 3D-Effektes im Setup verringern. Ebenso hilft es, den Raum nicht ganz abzudunkeln. „Bei heller Beleuchtung ziehen sich die Pupillen stärker zusammen. Der Tiefenschärfebereich wird größer. Deshalb kann man hellen 3D-Szenen etwas leichter folgen als dunklen”, erläutert Benson.

Inzwischen beschäftigen sich weltweit etliche Forscherteams mit den Auswirkungen des 3D-Konsums. Sie wollen unter anderem klären, ob etwa Kinderaugen größere Probleme mit 3D-Bildschirmen haben und ob man ein Mindestalter empfehlen sollte. Laut Banks steht man hier noch am Anfang: „Wir haben noch keine Antwort auf diese Fragen.“

[1] Jan-Keno Janssen, Ulrike Kuhlmann, Krank durch 3D, Welche Risiken birgt Stereoskopie?, c’t 11/10, S. 50 (hag)