Ausbau mit Hindernissen

Für viele ländliche Gemeinden fällt der DSL-Ausbau teurer als erwartet aus. Mit dem Ziehen eines Glasfaserkabels und dem Aufbau eines DSLAM ist es vielerorts nicht getan, häufig muss außerdem die Struktur der Teilnehmeranschlussleitungen bereinigt werden, was hohe Kosten verursacht. Die Betroffenen haben aber mit der Funktechnik eine Alternative zum tiefen Griff in die Schatulle.

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Von
  • Urs Mansmann
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Der Bürgermeister der bayerischen Gemeinde Weiding, Karl Holmeier, ist auf die Telekom nicht besonders gut zu sprechen. Die fehlende Breitbandversorgung der zwischen Furth im Wald und Cham gelegenen Gemeinde beschäftigt ihn schon lange und sorgt für Unmut unter seinen Wählern.

Die Fraunhofer-Einrichtung für Systeme der Kommunikationstechnik (ESK) hatte den Fall Weiding vor etwas über zwei Jahren untersucht und war zu dem Schluss gekommen, dass die Verlegung von Glasfaserkabeln in die verschiedenen Ortsteile unwirtschaftlich sei. Das erste Angebot der Telekom schien die These zu bestätigen: Die Versorgung der rund 1300 Haushalte sollte knapp 1,1 Millionen Euro kosten – zu viel für die kleine Gemeinde. Aber Holmeier ließ nicht locker. Die Gemeinde verlegte die Glasfaserkabel letztendlich in Zusammenarbeit mit einem Telekom-Konkurrenten in Eigenregie und gab dafür bislang rund 250 000 Euro aus. Packt die Gemeinde nochmals 200 000 Euro drauf, wäre der ganze Ort mit DSL versorgt, berichtet Holmeier.

Warum aber ist der Ausbau in Weiding derart teuer? Anderenorts kostet die Versorgung vergleichbarer Gemeinden oft nur einen Bruchteil der jetzt in Weiding veranschlagten Kosten. Die Telekom stand uns in einem längeren Gespräch dazu Rede und Antwort und lieferte schlüssige Erklärungen für die Kostenexplosion.

Günstig wird es für Gemeinden, wenn Idealbedingungen vorliegen. Alle Haushalte hängen an einem Hauptkabel, das über eine einheitliche Trasse zur nächsten Vermittlungsstelle (HVt) geführt wird. Sind die Kabel zu den Haushalten kürzer als 4,7 Kilometer, funktioniert wenigstens noch DSL light mit 384 kBit/s, bei längeren Anschlussleitungen geht per ADSL gar nichts mehr.

Auf Antrag der Mitbewerber muss die Telekom am Ortsrand einen sogenannten Schaltverteiler einrichten. Dazu werden die Teilnehmeranschlüsse der Bündelleitung an einer dafür geeigneten Stelle aufgetrennt und über ein leicht zugängliches Schaltfeld geführt. Dort kann die Telekom oder einer ihrer Mitbewerber einen DSLAM einrichten und mit kurzen Anschlussleitungen DSL mit hoher Bandbreite anbieten. Ein einziges Glasfaserkabel zu diesem DSLAM reicht aus, um die gesamte Gemeinde zu versorgen.

Der Idealfall tritt zwar häufig auf, aber längst nicht überall. Das heutige Telefonnetz wurde in den fünfziger Jahren konzipiert und in den folgenden Jahrzehnten nach Bedarf ausgebaut. Bis Ende der 90er Jahre hatte man dabei DSL nicht auf dem Zettel, sondern lediglich Sprachtelefonie. Das hochfrequente DSL-Signal weist aber ganz andere Eigenschaften auf als das NF-Signal einer Telefonverbindung, beispielsweise eine viel höhere Streckendämpfung und starkes Übersprechen, also eine unerwünschte Einkopplung des Signals auf benachbarte Leitungen.

Wenn in einem Ortsnetz bereits DSL-Anschlüsse mit niedrigen Bandbreiten bestehen, wird die nachträgliche Einrichtung von DSL-Vermittlungseinheiten ein kompliziertes Geschäft. Denn das vor Ort eingespeiste DSL-Signal weist einen um Größenordnungen höheren Pegel auf als das schwache DSL-Signal, das bereits eine kilometerlange Leitung zum nächsten HVt durchlaufen und eine entsprechende Dämpfung erfahren hat. Durch das Übersprechen von Signalen mit hohem Pegel werden die Signale mit niedrigem Pegel erheblich beeinträchtigt.

Das Problem lässt sich lösen, indem man den Pegel des Downstream-Signals in den kritischen Bereichen so weit absenkt, dass die Pegelunterschiede ausgeglichen werden. Das allerdings kostet bei den neuen, schnellen DSL-Verbindungen viel Bandbreite. Eine vorhandene DSL-Versorgung bremst neu errichtete Vermittlungseinheiten erheblich aus.

Die Pegelanpassung funktioniert zudem nur dann, wenn alle DSL-Signale vom HVt den gleichen Pegel aufweisen. Denn am DSLAM lässt sich nicht individuell pro Leitung ein geeigneter Pegel einstellen, sondern nur global für alle Leitungen. In einigen Fällen nehmen die Kabel zu einem Schaltverteiler aber unterschiedliche Wege oder weisen unterschiedliche elektrische Eigenschaften auf. Schon ein Pegelunterschied von wenigen Dezibel zwischen zwei oder mehr Gruppen von Leitungen macht die Einrichtung eines DSLAM vor Ort schwierig bis unmöglich.

Aus Sicht des Kunden wäre die logische Schlussfolgerung, die problematischen DSL-light-Anschlüsse einfach alle auf den neu errichteten DSLAM umzuschalten. Dann hätten alle Kunden schnelle Anschlüsse, die man nicht zum Schutz der DSL-light-Signale drosseln müsste.

Das aber geht nicht so einfach: An neu errichteten Schaltverteilern werkelt nämlich oft ein DSLAM eines Telekom-Konkurrenten. Zwar könnte die Telekom dort ihrerseits Ports anmieten oder einen eigenen DSLAM setzen und im Gegenzug die DSL-light-Versorgung einstellen. Aber sie darf dabei andere Mitbewerber nicht ausbremsen.

Im Idealfall lässt sich ein ganzer Ort über einen einzigen Schaltverteiler per DSL versorgen. Die Kosten bleiben in solchen Fällen niedrig.

In den meisten HVt haben Konkurrenten wie Vodafone, O2 oder QSC eigene DSLAM installiert – und wollen von dort aus ihre Kunden versorgen können. Die Telekom muss deshalb sicherstellen, dass die Signale den Kunden auf direktem Weg über das Hauptkabel erreichen können. Und selbst wenn dort aktuell kein DSLAM installiert ist, darf die Telekom durch einen Schaltverteilerausbau diesen Weg nicht praktisch versperren.

Sind die Kunden über verschiedene Leitungswege angebunden, ist zuerst einmal eine Bereinigung erforderlich. Man kann etwa die betreffenden Leitungsstränge mit einigen hundert bis tausend Teilnehmern auseinanderdividieren und auf unterschiedliche Schaltverteiler auflegen. Das ist zwar meist technisch möglich, bedeutet aber einen hohen Arbeitsaufwand für Schaltungsarbeiten, der letztendlich zu hohen Kosten pro Anschluss führt.

Im schlimmsten Fall muss man in einer Gemeinde mehrere Schaltverteiler errichten und diese einzeln jeweils mit einem Glasfaserkabel versorgen. Das wird zwar sehr teuer, dafür lassen sich mit einer derart gut ausgebauten Infrastruktur viele Anschlüsse per VDSL versorgen, wenn die Leitungslängen zu den Haushalten jeweils nur noch einige hundert Meter betragen.

Ein zusätzliches Problem im ländlichen Raum sind sogenannte Querkabel, die in einigen Ortsnetzen zu finden sind. Diese bestehen aus Bündeln von Kupferdoppeladern und verbinden verschiedene Schaltverteiler untereinander. Sie dienten dazu, Kapazitätsengpässe in HVt oder Zuführung auszugleichen, indem man den Kunden einfach per Querkabel an einer anderen Stelle des Netzes anschloss. Dabei entstand oft Gegenverkehr, das heißt, dass die Kabel sowohl in die eine als auch in die andere Richtung genutzt werden, was bei Telefonanschlüssen problemlos möglich ist.

Der Aufschaltung eines DSL-Signals steht der Gegenverkehr auf diesen Leitungsbündeln allerdings im Weg: Zum einen sorgen die Kabel meist für eine große Leitungslänge insgesamt und damit eine hohe Dämpfung von DSL-Signalen, zum anderen sorgt der Gegenverkehr für ein enorm hohes Störpotenzial. Denn auf jeder Seite des Querkabels sind die dort eingespeisten DSL-Signale deutlich stärker als die ankommenden, was zu erheblichen Störungen durch Übersprechen führt. Diese Pegelunterschiede machen das Kabel für DSL unbrauchbar. Auch das lässt sich nur durch umfangreiche Bereinigungen beheben, indem man die Nutzung des Querkabels entweder unidirektional gestaltet oder gleich komplett einstellt.

Eine Vorhersage, wie teuer der Ausbau einer Gemeinde ausfallen wird, ist nur anhand einer detaillierten Analyse der Verkabelungspläne möglich. Wer optimistisch von einem einfach gelagerten Fall ausgeht, erleidet möglicherweise Schiffbruch. Das passierte beispielsweise der Firma MVOX, die Angebote an bayerische Gemeinden zum DSL-Ausbau in mindestens einem Fall zurückziehen musste, nachdem sich herausstellte, dass die bestehende komplexe Struktur erhebliche ungeplante Aufwendungen erforderlich machte.

In gewachsenen Telefonnetzen finden sich häufig komplizierte Strukturen. Diese erfordern den Ausbau mehrerer Schaltverteiler und eine komplexe und teure Infrastruktur zur Zuführung.

Die Telekom verfügt über eine erhebliche Marktmacht und unterliegt daher der Aufsicht durch die Bundesnetzagentur. Lehnt die Telekom etwa die Einrichtung eines Schaltverteilers aus technischen Gründen ab, können betroffene Unternehmen oder Gemeinden eine Überprüfung des Bescheids verlangen. Die Bundesnetzagentur prüft dann, ob die Angaben der Telekom zutreffend sind.

Da das Unternehmen die verlegten und genutzten Kabelstrecken vollumfänglich dokumentiert hat, kann die Überprüfung anhand der Akten erfolgen. Uns liegen keine Hinweise darauf vor, dass die Telekom tatsächlich versucht hätte, die Lage schlechter darzustellen als sie tatsächlich ist. Das würde auch den Interessen der Telekom zuwiderlaufen, denn mit jedem Ausbau verdient sie Geld, selbst wenn diesen Mitbewerber vornehmen. Denn diese müssen mindestens die Teilnehmeranschlussleitung von der Telekom anmieten, sofern sie nicht komplett auf Funkzugänge setzen oder wie im bayerischen Rudelzhausen [1] die Haushalte mit eigenen Anschlussleitungen versorgen.

Geld sparen lässt sich mit Funklösungen [2], die derzeit von Regierungsstellen und den Mobilfunkfirmen propagiert werden. Sie sparen zwar einerseits aufwendige Verkabelungsarbeiten, bleiben aber in der Leistung deutlich hinter den kabelgeführten Lösungen zurück.

Die Backbone-Anbindung eines DSLAM, im Fachterminus meist als Zuführung bezeichnet, lässt sich auch per Richtfunk vornehmen, sofern optische Sicht zu einem geeigneten Zuführungspunkt besteht, beispielsweise zum HVt einer Nachbargemeinde. Die Kosten für die Einrichtung der Funkstrecke sind meist deutlich niedriger als wenn man ein Glasfaserkabel im Tiefbau verlegte. Dafür sind die Betriebskosten merklich höher.

Eine Funkstrecke lässt sich bis zu 2,5 GBit/s ausbauen, das reicht derzeit sogar für die Versorgung einer Kleinstadt. Allerdings lässt sich die Kapazität dann kaum mehr steigern. Ein Glasfaserkabel lässt sich an den Bedarf anpassen, derzeit bis in den TBit/s-Bereich und künftig voraussichtlich noch darüber hinaus. Die erstmalige Einrichtung von DSLAMs kann aber je nach Struktur des Ortsnetzes sehr aufwendig und teuer werden und die Kosten nach oben treiben.

Falls das Gesamtprojekt zu teuer wird, lässt sich auch die Versorgung der Haushalte per Funk vornehmen. Die Mobilfunkfirmen setzen dabei auf die LTE-Technik, die pro Sektor einer Basisstation rund 50 bis 75 MBit/s Gesamtbandbreite bereitstellen kann. Gegenüber einer DSL-Lösung bleibt die Leistung erheblich zurück, mehr als 2 bis 3 MBit/s pro Teilnehmeranschluss lassen sich derzeit nicht für größere Teilnehmerzahlen realisieren.

Ausbauprobleme in den DSL-Netzen zeigen sich derzeit vor allem in Bayern. Dort sind die Verhältnisse nicht anders als im Rest der Republik, aber die Gemeinden sind dort mit ihren Ausbauplänen offenbar weiter; zahlreiche ortsansässige Firmen bieten ihre Unterstützung bei der Breitbanderschließung an. Dieses Thema wird deshalb in Kürze auch in anderen Bundesländern in den Fokus rücken, denn allerorten erkennen Lokalpolitiker und Verwaltung, dass sie eine Breitbandversorgung bereitstellen müssen, wenn sie für Zuzügler attraktiv bleiben und Gewerbebetriebe dauerhaft an den Ort binden wollen.

Erster Schritt der Planung muss immer eine Erfassung des Status quo der Netzwerkstruktur sein. Vom Idealfall auszugehen birgt erhebliche planerische und finanzielle Risiken.

[1] Urs Mansmann, Alle schnell ans Netz, Breitband-Internet in ländlichen Gebieten, c’t 10/10, S. 152

[2] Urs Mansmann, Lückenschluss, Breitbandzugänge per Mobilfunk vor dem Start, c’t 19/10, S. 82 (uma)