Biosig 2010: Finger für Europa

Das europäische Visa Information System (VIS) soll 2011 oder 2012 starten. Dann wird die biometrische Verifikation von Personen mit einer europäischen Aufenthaltsgenehmigung die Konsulate wie die Grenzbehörden in Atem halten. Experten warnten u.a., dass sich mit zunehmender Sammlung biometrischer Daten ihr Nutzen auflöse.

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Von
  • Detlef Borchers

Wenn das europäische Visa Information System (VIS) im Jahre 2011 oder 2012 startet, wird die biometrische Verifikation von Personen mit einer europäischen Aufenthaltsgenehmigung die Konsulate wie die Grenzbehörden in Atem halten. Neben zahlreichen Referaten zu biometrischen Teilfragen stand dieses Thema im Mittelpunkt der Konferenz Biosig 2010 in Darmstadt, die diesmal vom CAST-Forum und dem Biometrics European Stakeholder Network (BEST-Network) veranstaltet wurde.

Tim Cooper von der Research Unit der europäischen Grenzagentur Frontex warnte davor, dass sich mit der zunehmenden Sammlung biometrischer Daten ihr Nutzen auflöse. Nach seinen Überlegungen wird es 14 große Datenbanken geben, die jeweils auf ihre eigene Art und separat biometrische Informationen speichern und sich nur über intransparente "Meta-Level" austauschen. Im Verein mit unterschiedlichen nationalen Zugriffsregelungen sieht Cooper ein ethisches Datenschutz-Problem spätestens dann kommen, wenn all diese Datenbanken "in die Cloud" wandern, weil dies kostengünstig sein soll.

Auch Günter Schumacher vom europäischen Forschungszentrum für den Schutz und die Sicherheit der Bürger beschäftigte sich mit der Zukunft von VIS, in dem über 10 Millionen Datensätze von Fingerabdrucken genehmigter wie abgelehnter Aufenthaltsbewilligungen gespeichert werden. Schuhmacher verwies auf die Inventur (PDF-Datei) des BEST-Network zu biometrischen Grenzkontrollen hin, die so unterschiedlich konzipiert sind, dass ein echter Vergleich nicht möglich sei. So könnten negative Erfahrungen beim Einsatz der Biometrie unterschlagen werden und unrealistische Erwartungen über den Nutzen der Biometrie entstehen.

Fares Rahmun vom Bundesverwaltungsamt (BVA) berichtete (PDF-Datei) von den ersten Versuchsreihen, Fingerabdrücke für die digitalen VIS-Aufenthaltsdokumente in den Test-Konsulaten aufzunehmen. Als IT-Dienstleister des Bundes ist das BVA für die Ausrüstung der Konsulate mit biometrischen Erfassungsplätzen und die Schulung der Mitarbeiter zuständig. Es führte gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik die BioDEV-II-Studie (Biometric Data Experimented in Visas II) durch. Die ersten 12.000 Datensätze, die in den Test-Konsulaten in Damaskus und Ulan Bator angefertigt wurden, waren größtenteils unbrauchbar. Durchschnittlich 75 Prozent der Fingerabdrücke entsprachen nicht den minimalen Qualitätskriterien der VIS-Datenbank. Die Verifikation der Test-Visa in dementsprechend ausgerüsteten Flughäfen Schönefeld und Tegel funktionierte kaum.

Erst nach einer erneuten gründlichen Schulung, der aufwändigen Produktion von Aufklärungsvideos für die Antragssteller und zusätzlichen Maßnahmen wie Auslegen von Matten zur Reinigung von Fingern gab es brauchbarere Ergebnisse. Die Visa-Stellen der Konsulate sind schusssichere Installationen, in denen der Fingerabdruckscanner außerhalb der Sicherheitsscheibe liegt und dabei so positioniert sein muss, dass der Konsulatsbeamte beim Scannen nicht getäuscht werden kann. Dennoch wiesen die Ergebnisse eine immer noch zu hohe Fehlerrate von 15 bis 16 Prozent auf. In einem weiteren Schritt wurden die VIS-Qualitätskritierien bearbeitet und neu gewichtet, bis eine akzeptable Rejection Rate von 3 Prozent erzielt werden konnte. Die Erkenntnisse wanderten in die Version 2.1 der Biometrie-Richtlinien des BSI.

BSI-Mitarbeiter Ralph Breithaupt berichtete über die aktuellen Biometrie-Aktivitäten seiner Behörde. Nach den Vorarbeiten an der Fingerabdruck-Datenbank für VIS im Rahmen von BioDEV II wird das BSI ProVITA starten. In diesem Projekt werden alle Erfahrungen in die nächste Version der technischen Richtlinie TR-03121 zum Enrolment von Fingerabdrücken eingearbeitet. Die Praktikabilität der Richtlinie wird anschließend im Projekt VISPILOT in enger Kooperation mit Frontex getestet. Die Zusammenarbeit mit Frontex bezieht sich vor allem auf die Entwicklung von technischen Maßnahmen, mit denen Fälschungen von Fingerabdrucken (PDF-Datei) begegnet werden kann – eine Untersuchungsreihe, die im BSI den Namen Lifefinger trägt. Weitere entfernt verwandte BSI-Projekte, die Breithaupt kurz vorstellte, sind die Fortentwicklung der bereits auf der Biosig 2009 vorgestellten Firebird-Referenzdatenbank und des EasyPass-Systems der automatisierten Grenzkontrolle, das unter dem namen EasyPass Plus künftig auch den elektronischen Personalausweis verarbeiten kann. (anw)