Die Woche: Bruchlandung für den Pinguin

Neun Jahre nach der Entscheidung, die Rechner des Kantons Solothurn auf Linux zu migrieren, kam heute die radikale Kehrtwende: Alle Desktops werden auf Windows 7 umgestellt. Hat Linux versagt?

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Von
  • Andrea Müller

Das Projekt Linux-Migration stand im Schweizer Kanton Solothurn von Anfang an unter keinem guten Stern: Wer die Berichterstattung der letzten Jahre zu dem Projekt verfolgte, musste den Eindruck bekommen, es handle sich um eine einzige Reihe von Pleiten, Pech und Pannen. Besonders Medien aus der Schweiz wie die Solothurner und die Berner Zeitung heizten die Diskussion mit launigen Überschriften wie "Auf Irrflug weg vom Fenster" und "Wieder Ärger mit dem Pinguin" regelmäßig erneut an.

Verzögerungen bei der Umsetzung, unausgereifte Software, angefressene Mitarbeiter, deren Unmut angeblich in einer eigenen Homepage zum sich Luft machen gipfelte und die vor lauter Linux gar nicht mehr zum Arbeiten kamen – das suggerierte, dass hier Steuergelder in ein zwangsläufig zum Scheitern verurteiltes Projekt flossen. Nun ist es tatsächlich gescheitert, aber allein Linux dafür den schwarzen Peter zuzuschieben, ist ebenso kurzsichtig wie bequem. Schaut man hinter die Kulissen, wird deutlich, dass viele Faktoren für das Scheitern verantwortlich waren.

Im Dezember 2001 beschlossen, sollte die Migration auf Linux eigentlich 2007 abgeschlossen sein. Ein Ziel, das nicht zu schaffen war, unter anderem, weil einige Ausschreibungen für das Projekt erst 2006 anliefen. Bei der Wahl des Scalix-Webinterfaces als Ersatz für Outlook hatten die Projektverantwortlichen kein gutes Händchen bewiesen: Noch im Juni fehlten dem Webmailer eine Aufgabenverwaltung sowie einige Komfortfunktionen von nativen Mail-Clients.

Eine Reihe Fachanwendungen konnten nicht ohne weiteres durch Linux-Lösungen ersetzt werden. Dazu kamen dann Probleme mit der von Solothurn eingesetzten Datenbank Konsul zur Bearbeitung von Regierungsratsbeschlüssen: Der Datenbestand der Windows-Software ließ sich nicht so einfach migrieren, daher sollte das Projekt Ambassador die Anbindung zu OpenOffice & Co. erledigen. Inzwischen fertiggestellt, wurde die Einführung von Ambassador jedoch bis auf Ende 2010 verschoben, um Probleme mit der Performance zu beheben. Die Abhängigkeit von Konsul bedingte, dass keines der Regierungsratsmitglieder mit einem Linux-System arbeitete.

Kein gutes Signal für die Nutzer, die sich im Rahmen der Migration nicht nur mit einem neuen Betriebssystem, sondern auch mit neuen Anwendungen konfrontiert sahen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und hält schon aus Bequemlichkeit gerne an Vertrautem fest. So muss man bei jeder Software-Umstellung mit einem gewissen Prozentsatz an Mitarbeitern rechnen, die sich allem Neuen verweigern. Als Leiter eines Migrationsprojekts muss man auch solche Probleme ernst nehmen und sie nicht – wie Kurt Bader, Chef des Amtes für Informatik und Organisation – gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung mit dem Hinweis auf "eine gewisse Trägheit" der Mitarbeiter vom Tisch fegen. "Sogar wenn der Bäcker keine Gipfeli mehr habe, werde das System mit dem Markenzeichen Pinguin beinahe dafür verantwortlich gemacht, führte Bader in diesem Gespräch weiter aus", zitierte die Zeitung den für die Migration Verantwortlichen.

Seine Sicherheit nahm der Informatik-Chef des Kantons wahrscheinlich aus einer internen Umfrage unter den Mitarbeitern: Wie heise open von einer projektnahen Quelle erfuhr, zeigten sich um die 80 Prozent der betroffenen Kantonsangestellten mit der neuen Umgebung zufrieden, zehn Prozent bemängelten einige Kinderkrankheiten und "nur" zehn Prozent waren gar nicht zufrieden. Nun sind aber auch das noch über 100 Mitarbeiter – und jene, die sich am lautesten Gehör verschaffen. Sogar eine – inzwischen nicht mehr erreichbare – Homepage sollen die verärgerten Mitarbeiter zum Frustablassen eingerichtet haben.

Die Schweizer Medien wiederum griffen jede noch so belanglose Unmutsäußerung aus der Kantonsverwaltung begierig auf. Aus einem temporären Druckproblem, das innerhalb kurzer Zeit behoben war, wurden dann "dauernde Druckprobleme"; Zitate von Mitarbeitern, die sagten, sie würden zu Hause produktiver arbeiten als im Büro, wurden dankbar abgedruckt.

Gab es keine neuen schlechten Nachrichten, machte man sich einfach selbst welche: Die Überschrift "Wieder Ärger mit dem Pinguin" verspricht großes Kino, bietet aber nur Bauerntheater. Die Solothurner Staatsanwaltschaft richtete im Mai 2009 eine Juristentagung für 400 Teilnehmer aus dem ganzen Land aus, hatte aber kein Windows-System zum Abspielen von Powerpoint-Präsentationen vorbereitet. Die Kantonspolizei, die sich laut Berner Zeitung "erfolgreich gegen Linux gewehrt hatte", konnte mit einem Windows-System aushelfen und eine Blamage der Solothurner Staatsanwaltschaft verhindern. Man kann Linux vieles vorwerfen, aber das mangelnde Organisationstalent der Tagungsveranstalter gehört nicht dazu.

All das führte schließlich dazu, dass Informatik-Chef Bader diesen Sommer seinen Posten räumen musste und ein Kantonssprecher den Wechsel zu einer dualen Strategie ankündigte, bei der neben Open-Source-Software auch Microsoft-Lösungen zum Einsatz kommen sollen. Gestern kam dann das endgültige Aus für Linux im Kanton Solothurn: Die Desktop-Rechner werden 2011 komplett auf Windows 7 umgestellt, Outlook ersetzt den Webmailer von Scalix.

Dass die Kehrtwende ausgerechnet jetzt erfolgt, wo mit der Entwicklung von Ambassador das größte Migrationsproblem vom Tisch ist, ist wahrscheinlich auch dem öffentlichen Druck geschuldet. Ob die Öffentlichkeit diesen Schritt auch dann noch honoriert, wenn die Kosten der Re-Migration bekannt werden, bleibt abzuwarten. (amu) (amu)