US-Provider gegen EU-weite Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten

Der US-Branchenverband CompTel/ALTS sieht die Investitionen seiner Mitgliedsfirmen in der EU gefährdet durch die sinnlose Datenjagd; die Grünen in Brüssel wollen gegen den EU-Rat vor Gericht ziehen.

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Der US-Branchenverband CompTel/ALTS sieht die Investitionen seiner Mitgliedsfirmen in der EU durch die vom Ministerrat in Brüssel weiter forcierte Verpflichtung von Telcos und Internetprovidern zur Datenjagd gefährdet. Der Vorstoß des EU-Rates und der erwartete Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Vorratsdatenspeicherung "werden die Industrie unverhältnismäßig belasten und zu rechtlicher Unsicherheit führen", warnt die Lobbyvereinigung von über 350 US-amerikanischen Telekommunikationsunternehmen in einem Schreiben (PDF-Datei) an die Ratspräsidentschaft und die federführenden Mitglieder der EU-Kommission. Mit der geplanten pauschalen Überwachungsmaßnahme sollen die Anbieter zu umfangreichen Hilfssheriffsdiensten in Form der Aufbewahrung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten über Monate und Jahre hinweg verdonnert werden, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen.

Laut CompTel/ALTS haben die Sicherheitsbehörden nicht hinreichend dargelegt, warum das Speichern "gewaltiger unstrukturierter Datenmengen" überhaupt für eine effektive Strafverfolgung nötig sein soll. "Carrier und Provider" bräuchten die Datenberge auf jeden Fall nicht, stemmt sich der Verband gegen die Behauptung des Rates aus dessen jüngstem Arbeitspapier, es sollten nur die bereits wirtschaftlich genutzten Informationen beansprucht werden. Solange nicht klar sei, welche Daten genau von den Firmen gespeichert werden müssten und wer darauf zugreifen könne, werde auch an künftige Investoren "das falsche Signal gesendet". Es sei abzusehen, dass Polizeibehörden und Strafverfolger "sich zwanglos in den 'kostenlosen' Daten umschauen", falls keine Entschädigungen für die schwer belasteten Anbieter vorgesehen seien. Die Branche wüsste zudem nicht, wie sie die eigentlich allein gewünschten Verbindungs- und Standortdaten ohne die damit bei vielen Diensten zwangsweise verknüpften inhaltlichen Informationen aufbewahren solle.

Der Verband rät den EU-Gremien dringend, überhaupt keine Mindestspeicherfristen festzulegen. Er empfiehlt stattdessen die Praxis in den USA, wo sich die Regierung klar gegen eine Vorratsspeicherung gestellt hat. Stattdessen gilt jenseits des Atlantiks die Verpflichtung, die begehrten Daten bei einem konkreten Verdacht "auf Zuruf" der Ermittler im so genannten "Quick Freeze"-Verfahren zu erfassen. Obwohl die USA ihre Telekommunikationsbranche von der unspezifischen Speicherlast befreit haben, forderte US-Präsident George W. Bush aber die Einführung dieser Form der pauschalen Überwachung nach dem 11. September in Europa.

CompTel/ALTS drängt dagegen auf die möglichst rasche Aufnahme eines transatlantischen Dialogs, um die bestmögliche Kooperation zwischen Strafverfolgern in den USA und in der EU unter Berücksichtigung der Wirtschaftsinteressen zu ermöglichen. Dem "Kompromissvorschlag" des Ministerrates, zunächst die Speicherung allein der Telefondaten vorzuziehen, erteilt der Verband dagegen eine deutliche Absage. Er verstoße gegen den von Brüssel selbst gepredigten Regulierungsansatz der "technologischen Neutralität" und werfe nur neue Fragen auf, etwa zur Stellung von Anbietern von Internet-Telefonie.

Zwischen dem EU-Parlament und dem Rat wird der Tonfall gleichzeitig härter, seit sich die Abgeordneten am Dienstag geschlossen gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen haben. So forderte die niederländische Grüne Kathalijne Buitenweg nach der Abstimmung, "dass wir den Europäischen Gerichtshof anrufen und ihn um seine Einschätzung über ein Mitentscheidungsrecht der Parlamentarier bitten sollten, falls die EU-Minister dieses Gesetz ohne Berücksichtigung des Parlaments und seiner aufgeworfenen legitimen Bedenken über die Auswirkungen auf den Datenschutz und die Kosten für Unternehmen durchdrücken wollen". Der Hinweis auf eine abstrakte Terrorgefahr dürfe eine sorgfältige Prüfung des Vorhabens nicht verhindern.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)