Global, lokal, total egal

Wann erkennt die Medienindustrie endlich das Potenzial weltweiter Märkte? Der erste Teil einer dreiteiligen Serie über technische Lebensumstände der Gegenwart, über die uns unsere Enkel auslachen werden.

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Technik kann viel - wenn man sie lässt. Partikularinteressen, alteingesessene Rechtszustände und das pure Bestehen auf dem Status quo sind ihr größter Feind. Übrig bleiben Lebensumstände, die man in wenigen Jahren kaum mehr verstehen wird. In den nächsten drei Wochen will ich mir drei Beispiele vornehmen, die mich in letzter Zeit besonders ärgern.

"We could not process your order. The sale of MP3 Downloads is currently available only to US customers located in the 48 contiguous states, Alaska, Hawaii, and the District of Columbia." Als ich diese ernüchternde Botschaft las, hatte ich gerade versucht, beim Online-Händler Amazon.com ein brandneues Album einer wohlklingenden Independent-Musikformation zu erwerben, das es in Deutschland noch nicht gibt. Und so blieb es bei dem frustrierenden Erlebnis, dass mein Geld offensichtlich für amerikanische Firmen nichts wert ist. Wer auf dem europäischen Kontinent lebt, bleibt draußen.

Man muss sich nicht wundern, wenn sich brave Nutzer an dieser Stelle die Teufelshörner aufsetzen und nach weniger legalen Wegen suchen, an den von ihnen gewünschten Stoff zu gelangen. Das ist ja auch klar: Gibt es kein legales Angebot, bleibt nur das Illegale. Wann werden das die Medienkonzerne wohl verstehen? Märkte sind längst global geworden, Informationen über neue kulturelle Phänomene verbreiten sich in Windeseile weltweit, egal ob es nun der neueste Film, das neueste Buch oder das neueste Musikerlebnis ist. Die Industrie tut dagegen so, als gäbe es noch lokale Märkte - es dauert Monate, bis alle Regionen beschickt sind.

Ein anderes Ding, das ich wohl nie verstehen werde: Musiker, die Alben fertigstellen und an Rezensenten verschicken, sie aber dem gemeinen Volk erst drei Wochen später zum Verkauf vorlegen. Ehedem mag das ja noch gegangen und notwendig gewesen sein: Vertriebler mussten ausrücken, um die neue Scheibe in Plattengeschäften an Mann und Frau zu bringen, riesige Werbekampagnen erst angeschoben werden, Promo-Teams ihre Arbeit erledigen. Doch heute, wo der große (wenn nicht der größte) Teil der Musik längst digital vertickt wird, ist das kompletter Käse. Und dann wundern sich Plattenfirmen, dass plötzlich illegale Vorabkopien kursieren? Die Kunden wollen das Produkt, dürfen es aber nicht haben.

Ein weiterer Aspekt dieser Märktezwangstrennung sind sogenannte Geofilter. Als das Internet einst groß wurde, lag sein Reiz auch darin, dass man plötzlich überall auf der Welt mit seinem Computer hingelangen konnte - was früher teure Ferngespräche kostete. Es gab keine Grenzen mehr. Irgendwann fiel den Anwälten großer Fernsehsender dann auf, dass man ja möglicherweise Rechte verletzt, wenn man Produktionen weltweit bereithält - eventuell kostet das ja dann mehr. Statt sich mit den Rechteinhabern zu einigen, werden nun Mauern hochgezogen, über die Otto-Normal-Nutzer nicht mehr kommt. Problem gelöst, Globalisierung gestoppt.

Dabei wächst doch überall alles zusammen. Fremdsprachige Websites lässt man sich mit Produkten wie Google Translate übersetzen und kommt plötzlich an Nachrichtenquellen aus China, Vietnam oder Schweden - im Original. Im internationalen Online-Verkehr hat sich Englisch als Lingua Franca durchgesetzt. Worum also wieder künstliche Grenzen ziehen? Unsere Enkel werden das nie verstehen. (bsc)