Vom iPad-Rivalen, der partout keiner sein will

Viele Unternehmen wollen Apple Konkurrenz machen. Nur Sharp stapelt bei der Vorstellung von zwei potenziell ernsthaften Rivalen unterirdisch tief. Und wählt einen unglaublichen Markennamen. Bericht eines Marketing-Unglücks.

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Von
  • Martin Kölling

Viele Unternehmen wollen Apple Konkurrenz machen. Nur Sharp stapelt bei der Vorstellung von zwei potenziell ernsthaften Rivalen unterirdisch tief. Und wählt einen unglaublichen Markennamen. Bericht eines Marketing-Unglücks.

In aller Welt legen sich IT-Klitschen ins Zeug, um halbgare Ware zu iPad-Rivalen hochzuhypen. Der japanische Elektronikkonzern Sharp geht just den umgekehrten Weg: Am Montag hat der Konzern zwei Geräte vorgestellt, die wie ein Generalangriff auf Apples iPad aussehen, sich auch so anfühlen und von denen Sharp so schnell wie möglich eine Million Stück verkaufen will. Das Japan-Debüt ist im Dezember, der US-Start 2011. Nur wendet der Konzern alle erdenkliche Mühe auf, seine wunderbar geschmeidig wirkenden, mit Googles Handy-Betriebssystem Android ausgerüsteten Tablet-Computer im Taschenbuch- (mit einem scharfen 5,5-Zoll-LCD) und Magazinformat (die 10,8-Zoll-Variante) als schnöde eBook-Reader darzustellen. Und nicht als kleine multimediale Alleskönner.

Nun, wir kennen die technischen Daten und den Preis der Geräte noch nicht. Die will Sharp erst später veröffentlichen. Vielleicht will Sharp preislich wirklich nur gegen Amazons Kindle oder Sonys eBook-Reader in die Schlacht ziehen. Die Untentschlossenheit ließ bereits einige Reviewer – zum Beispiel auf "PC-World" – davon sprechen, das Gerät plage wohl eine "Identitätskrise". Nun könnte Sharps Vorgehen noch als typisch japanisches Understatement verziehen werden. Doch so richtiges Kopfschütteln löste die Namenswahl unter vielen der anwesenden Technikjournalisten wie auch Daisuke Wakabayashi vom "Wall Street Journal" aus: "Galapagos" nennt Sharp die neue Marke – in vollem Bewusstsein, dass der Begriff im negativen Sinne für innovative mobile Produkte aus Japan stehen kann, die wie die einzigartigen Tierarten auf der südamerikanischen Inselgruppe nur in der Isolation überleben konnten. Und so widmete Sharp den Beginn der Pressekonferenz und den Anfang seiner Presseerklärung nicht der Vorstellung des Produkts und seiner Fähigkeiten, sondern der Erklärung der Namenswahl: "Sharp sieht Galapagos als positiven Begriff an", so Keiko Okada, Geschäftsführerin von Sharps One-of-a-Kind-Gruppe.

Der Gedankengang ist elaboriert. Hier die fast wörtliche Wiedergabe: Galapagos, einst angesehen als negativer Begriff für Japans Isolation, wird nun ein Terminal mit globalem Standard und weltweit führender, in Japan kultivierter Technik repräsentieren, meint Sharp trotzig und selbstbewusst. Doch es klingt eher so wie bei asiatischen Eltern, die ihren Wunsch, dass ihre Kinder groß und stark werden, im Namen ausdrücken. Charles Darwin habe auf den Galapagos-Inseln die Evolutionstheorie aufgestellt und geschrieben, dass im Überlebenskampf die Stärksten auf Kosten ihrer Rivalen überleben werden, weil sie sich am besten an die Umwelt anpassen. Der Markenname Galapagos stehe daher als "global standard tablet terminal", das sich evolutionär weiterentwickelt und sich der Zeit anpasse.

Und wohl um die Anwesenden zu überzeugen, dass der Name nicht zu sehr um die Ecke gedacht ist, führt Sharp zusätzlich noch drei Bereiche an, in denen das Gerät für Evolution stehen soll:

  1. Die Evolution von Produkt und Diensten: ein Produkt, das sich weiter verändert, mit Diensten, die die Kundenzufriedenheit erhöhen. (Ist das neu? Siehe Software-Updates, Patches, Apps.)
  2. Die Evolution des Geschäftsmodells: Sharp richtet zum Marktstart in Japan einen eMagazin- und eBook-Store im Internet mit 30000 Titeln ein, die im neuen XMDF-Layout-Standards dargeboten werden, und verspricht zudem, mit anderen Playern zusammenzuarbeiten, weil – welch revolutionäre Erkenntnis – geschlossene Modelle nicht dazu taugen würden, Konsumentenbedürfnisse zu befriedigen
  3. "die Evolution, sich an die Umwelt anzupassen": Was sich ein bisschen wie Punkt 1 anhört, stellt für Sharp ein ganz besonderes Versprechen dar. Der Konzern will mit Spitzentechnik und Know-how, die entwickelt wurden, um "die anspruchsvollen japanischen Kunden" zu befriedigen, weiterhin Produkte und Dienste auf den Markt bringen, die die Kultur und den Lebensstil eines jeden Landes, einer jeden Region treffen. Was bitte schön, soll denn das heißen? Sind die Kunden in den USA und Europa etwa nicht anspruchsvoll und warten nur auf die Erlösung aus Japan?

Oder ist die Namenswahl vielleicht doch prophetisch? Denn es besteht noch reichlich Evolutionsbedarf, wenn das Gerät nicht wie so viele andere als Sackgasse der Evolution enden soll. Diesen Eindruck musste wenigstens die Produktpräsentation der Ingenieure hinterlassen, bei der vor allem klar wurde, was das Gerät neben seinen Fähigkeiten alles (noch) nicht kann.

Es kann mit dem neuen XMDF-Format, das Sharp als Weltstandard durchzusetzen hofft, wunderbar Text, Bild und Videos an verschiedene Bildschirmgrößen anpassen. Der Text oder die Multimedia-Inhalte können sich auch einzeln mit einfachem Tippen auf den Touchscreen vergrößern und verkleinern lassen. Das Gerät ist sogar mit einem Internet-Browser ausgestattet. Aber der Reader selbst soll in der Grundausstattung JPEGs, Karten oder andere "Computerdaten" nur nach einer Umwandlung in das XMDF-Format darstellen können, sagt ein Ingenieur. (Wofür die Terminals offenbar mit dem Computer verbunden sein wollen. Immerhin soll der Reader auch andere eBook-Formate entschlüsseln können.) Und bisher ist in der für Dezember geplanten Weltpremiere in Japan auch nur eine schnurlose WLAN-Verbindung, aber keine Handy-Verbindung zum Internet vorgesehen.

Und nicht nur ich fragte mich, warum Sharp seine Hightech so mühsam zügelt, anstatt sie munter mit den Rivalen um die Wette galoppieren zu lassen. Egal, ob Sharp die Geräte nur als billige eBook-Reader konzipiert hat, jedes Gerät, das heute mit hochauflösendem Bildschirm, Videotauglichkeit und sogar Android-Betriebssystem daher kommt, muss ohnehin mit dem iPad in Vergleich treten. Zudem: Innovation alleine reicht nicht, sie muss auch vermarktet werden. Ich ende daher diesen Blog-Beitrag mit einer Bitte: Bitte, Sharp, gönne deinem Produkt und deinem Marketing eine Evolution im Schnelldurchlauf. Sage, was Galapagos der Konkurrenz gegenüber so einzigartig macht. Vermarkte es aggressiv. Zeige der Welt, dass nicht nur Autos, Fernseher und Kameras, sondern auch e-mobile Produkte aus Japan weltweit für Furore sorgen können. (bsc)