Fernsurfen

Immer mehr Menschen zieht es auf der Suche nach Unterhaltung und Informationen ins Netz statt vor die Glotze. Für die Unterhaltungselektronikindustrie heißt das: Das Internet muss schnellstens in den Fernseher. Aber wie denn eigentlich?

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Sven Hansen
  • Jan-Keno Janssen

Das Internet im Fernseher? Das wollte schon vor zehn Jahren niemand haben. Zumindest nicht das Internet, wie es vor zehn Jahren aussah: textlastige Bleiwüsten mit seltenen Bildeinsprengseln.

Inzwischen zischen HD-Videos in Millisekunden um den Globus. Netzwerkspezialist Cisco geht in einer Studie davon aus, dass 2014 ganze 91 Prozent des globalen Datenverkehrs Videoinhalte sind. Schon heute liefert das Internet Unterhaltung und Informationen auf Wunsch, auf Knopfdruck, „on demand“. Beim klassischen Fernsehen muss man hingegen hoffen, dass die Programmplaner den persönlichen Geschmack treffen und man zum richtigen Zeitpunkt vor der Glotze sitzt. Spätestens bei HD-Inhalten sieht sich der Zuschauer zudem mit einem Wust von Verschlüsselungssystemen konfrontiert. Nie war Fernsehen so kompliziert wie heute.

Die Video-Dienste im Netz erleben einen weltweiten Boom. In den USA erfreuen sich Netflix und Hulu großer Beliebtheit, in Großbritannien schaut man in den BBC iPlayer und hierzulande gewöhnt man sich an den Komfort der Mediatheken von ARD, ZDF und Arte. Das YouTube-Logo auf TV-Geräten ist längst zum Verkaufsargument geworden – laut einer Erhebung von Telegraph UK werden jährlich über 2 Milliarden YouTube-Videos abgerufen. Dank mobiler Endgeräte hat das Internet ohnehin längst den Alltag und zum Teil auch das Wohnzimmer erobert: Die Mini-Bildschirme von Smartphones, Web-Tablets, Net- und Notebooks stehlen dem Fernseher zunehmend die Schau. Wie soll das TV der Zukunft seine zentrale Rolle als „digitales Kaminfeuer“ angesichts dieser Konkurrenz behaupten?

Während die durchschnittliche Nutzung des Fernsehers in den vergangenen Jahrzehnten rapide gestiegen ist, stagniert die durchschnittliche Verweildauer seit 2005: 220 Minuten lang sehen Zuschauer heute täglich fern, genauso lange wie vor fünf Jahren. Das Internet hat das Fernsehen zwar noch nicht eingeholt, die Kurve zeigt aber steil nach oben: Verbrachte der durchschnittliche Konsument im Jahr 2000 erst 13 Minuten im Netz, waren es 2005 44 Minuten und 2010 schon 83.

Während die tägliche Verweildauer vor den TV-Gerät stagniert, zeigt die Kurve der Internetnutzung steil nach oben.

(Bild: ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation)

Das Internet ist für viele Menschen unverzichtbarer Bestandteil ihres Lebens geworden: Statt sich am Samstag in der Stadt zu drängeln, shoppt man während des Sonntags-Brunchs entspannt im Online-Shop. Statt zum Flohmarkt geht man zu eBay und statt zum Briefkasten zum E-Mail-Postfach – die Liste ließe sich beliebig verlängern. Für all das benötigt man keinen Computer mehr, vieles kann man auch mit dem Handy erledigen. Das Telefon, das immerhin auf eine über 100-jährige Geschichte zurückblickt, hat sich mit den Ansprüchen seiner Nutzer gewandelt und den Anschluss ans Internetzeitalter gemeistert.

Anders sieht die Sache beim Fernseher aus: Groß, bunt und flach sind die Geräte geworden, das Grundprinzip der Inhalteübertragung ist aber seit 50 Jahren gleich. Angesichts des chronischen Gehäuseschwunds haben die Geräte äußerlich immer weniger Unterscheidungsmerkmale. Zwar bauen inzwischen fast alle Hersteller Internetfunktionen ein, die oben genannten Nutzungsszenarien funktionieren aber schlicht nicht: Einen echten E-Mail-Client findet man bisher auf keinem Fernseher, offene Browser bieten die wenigsten Geräte – und wenn, ist er bei weitem nicht so komfortabel zu bedienen wie auf dem Computer oder Smartphone.

Trotzdem wollen die Kunden den WWW-TV. Laut einer aktuellen Bitkom-Untersuchung wünschen sich 47 Prozent der Deutschen Internetfunktionen auf ihrem Fernseher. Und die bekommen sie auch: Es gibt derzeit so gut wie kein aktuelles Mittelklasse-TV-Gerät zu kaufen, das nicht zumindest einen YouTube-Zugang anbietet. Aber das wars oft auch schon – zu wenig, um die Kunden vom PC vor den Fernseher zu locken.

Dabei ist der Kampf um die Aufmerksamkeit des Zuschauers in vollem Gange. Nicht nur die TV-Gerätehersteller wollen hier mitspielen, sondern auch die klassischen Fernsehstationen, die ihre Felle davonschwimmen sehen. „In den USA zeigen Google TV und Apple TV, wohin die Reise geht“, so ZDF-Intendant Schächter im Interview mit dem Medienmagazin DWDL, „Suchmaschinen und Vertriebsplattformen saugen jeden Content auf, ganz egal von wem er stammt“. Wenden sich die Zuschauer anderen Medien zu, ziehen sie über kurz oder lang auch die Werbe-Etats mit sich. „Unsere Produkte werden zum Gegenstand fremder Geschäftsmodelle“, warnt Schächter und bricht eine Lanze für den von den Senderketten angepriesenen „Videotext 2.0“, Fachleuten auch als Hybrid Broadcast Broadband TV (HbbTV) bekannt.

Google TV stellt Fernseh- und Netzinhalte in einer Suchmaske dar. Über eine Steuerkonsole mit Volltastatur – im Bild von Sony – soll man den TV-Netz-Hybriden kontrollieren.

Die auch als „Hybrid-TV“ oder „HD-Videotext“ beworbene Mischform von Internet und klassischem TV-Signal ist denn auch die letzte Chance der Broadcaster, das Internet in ihren Sendestrom zu integrieren. Die Inhalte sollen zwar aus dem Netz kommen, doch der Zugang erfolgt über die vom jeweiligen Sender bereitgestellten Startseiten und den von dort aus weiterführenden Links. Der Vorteil für die Sender: Was da parallel zum TV-Programm eingeblendet wird, entscheiden nur sie allein, außerdem können sie Werbung schalten, wann und wo sie wollen.

Die Mediatheken der Sender – eigentlich als Online-Archiv gedacht – wandern nun wieder zurück in die Fernseher. Für den Konsumenten ist das verwirrend: Er kann sich die Tagesschau nämlich nicht nur über das eingebaute Internetangebot des Fernsehers oder Zuspielers ansehen, sondern auch auf der HbbTV-Seite der ARD. Manche Geräte greifen zusätzlich noch die Video-Podcasts mit wiederum identischen Inhalten ab. Das Gleiche gilt für Video-on-Demand-Anbieter: Hersteller wie LG und Samsung bieten beispielsweise einen Maxdome-Zugang im TV-Menü an, genauso lässt sich Maxdome aber auch im HbbTV-Angebot von Sat.1 und ProSieben abrufen. Je nachdem, von wo man die VoD-Services ansteuert, könnten sich Bildqualität und Film-Angebot unterscheiden – und das auf ein und demselben Gerät.

Längst haben sich auch andere Marktteilnehmer eingefunden, um am zukünftigen Geschäft teilzuhaben. Suchmaschinenspezialist Google sorgte schon mit der Ankündigung seines neuen Dienstes mit dem Kürzel TV hinter dem wohlbekannten Firmenschriftzug für Aufruhr in der Branche. Die wohnzimmeroptimierte Software auf Android-Basis soll TV- und Web-Erlebnis verschmelzen.

Das Konzept hat es in sich: Über eine zentrale Suchmaske kann man sowohl TV- als auch Web-Inhalte durchsuchen. In Kombination mit ausgewählten Festplatten-Videorecordern verwaltet Google TV gleich noch das Aufnahmearchiv und ermöglicht das bequeme Anlegen von Aufnahme-Timern. Über eine App-Schnittstelle nach Muster des Android Market soll das System künftig erweiterbar sein. Über den integrierten Chrome-Browser mit Flash-Unterstützung steht dem Nutzer zudem das ganze Internet offen. Bedient werden Google-TV-Geräte per Mini-Keyboard mit Touchpad.

Ein Blick auf die Rückseite der von Logitech kürzlich vorgestellten Revue-Box mit Google TV nährt dabei die Urängste der Broadcaster und Gerätehersteller: Das digitale TV-Signal wird über HDMI-In und -Out einfach durchgeschleift. Die von Google TV aus dem Netz gezogenen Inhalte legen sich somit einfach als Overlay über die TV-Inhalte, doch Geld verdienen kann auf Dauer nur derjenige, der im Vordergrund steht.

Sony fährt zweigeisig und bietet in den USA spezielle Internet-TVs und einen Blu-Ray-Player mit Google TV an. Die konventionellen Sony-Bravia-Geräte – hier kommen die Internetfunktionen nicht von Google, sondern von Sony – bleiben aber im Programm.

Apple will mit seinem stark überarbeiteten Apple TV im Wohnzimmer Fuß fassen. Hier liegt der Schwerpunkt allerdings auf dem Video-on-Demand-Bereich des iTunes Store. Statt zur Videothek zu rennen, soll künftig ein Druck auf die Apple-Remote genügen. Andere Webinhalte sind momentan eher schmückendes Beiwerk.

Auch Microsoft will mitmischen und bietet Herstellern von Settop-Boxen eine abgespeckte Media-Center-Version auf Basis von Windows 7 an. Windows Embedded Standard 7 kommt zum Beispiel im Acer Revo 2 und in Asus’ Companion Box zum Einsatz. Beide arbeiten mit Intels Atom CE4100.

Den vollständigen Artikel finden Sie in c't 23/2010.

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(sha)