Plug & Pray

Der Regisseur Jens Schanze hat die Arbeit von Robotikern und Wissenschaftlern dokumentiert, die an Künstlicher Intelligenz forschen. Herausgekommen ist auch eine Hommage an Joseph Weizenbaum.

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Von
  • Peter König

Ungefähr in 20 Jahren werden Computer intelligent sein wie Menschen. Wir werden mit dieser Technologie verschmelzen. Wir werden millionenfach klüger sein als heute.“ Ray Kurzweil, der US-amerikanische Technologie-Prophet, sagt so etwas, ohne rot zu werden. Er ist davon überzeugt, dass die Menschheit in absehbarer Zeit den Tod überwinden wird, mit Hilfe von Nanorobotern. Diese würden die von der Natur nur „suboptimal“ konstruierten roten Blutkörperchen ersetzen und sollen Menschen von der Zelle auf gesund und vital halten. Doch: „Werden Sie lang genug leben, um ewig zu leben?“ Auch dafür gibt es eine Lösung aus dem Hause Kurzweil: lebensverlängernde Nahrungsergänzungsmittelchen mit Schoko-, Vanille- und Beerengeschmack.

Hiroshi Ishiguro und sein Roboterzwilling Geminoid: „Wenn ich nach Hause komme, sitze ich ja auch nur vorm Fernseher. Werde ich angesprochen, sage ich bloß: Ja, ja. Dafür genügt auch ein Roboter.“

(Bild: farbfilm verleih)

Kurzweil ist nur einer der Forscher, die Regisseur Jens Schanze in seinem Film „Plug & Pray“ vorstellt, der am 11. November in die Kinos kommt. Die meisten der anderen interviewten Wissenschaftler denken weniger kühn voraus. Was sie aber alle verbindet, ist ihr Bestreben, Maschinen den Menschen ähnlicher zu machen. Die einen konzentrieren sich lediglich auf die Nachbildung einzelner menschlicher Fähigkeiten wie die Gruppe um Hans-Joachim Wünsche von der Universität der Bundeswehr in München, die an autonomen Fahrzeugen arbeitet. Andere haben grundsätzlichere Ziele: Beim Projekt „iCub“ in Genua studiert man anhand eines humanoiden Roboters mit der Gestalt eines Dreijährigen, wie eine Maschine durch Interaktion mit ihrer Umwelt wie ein Kind selbstständig lernen kann. Die Forscher interessieren sich dabei weniger für praktische Anwendungen, der Roboter dient vielmehr als Plattform für die Simulation kognitiver Prozesse. Im Gegensatz dazu beschäftigt sich der Japaner Hiroshi Ishiguro eher mit der äußeren Erscheinung als den inneren Vorgängen: Er verkleidet seine Maschinen mit Silikonhaut, gibt ihnen die Züge realer Personen und möchte dadurch den Moment hinauszögern, in dem man sie als Roboter erkennt. Gesteuert werden sie bis ins Detail von einem menschlichen Operator im Nebenzimmer. Dieser trägt Marker im Gesicht, um sogar die Lippenbewegungen direkt vom Menschen auf die Maschinen zu kopieren.

Die zentrale Figur des Films ist jedoch Joseph Weizenbaum, der einzige Protagonist ohne eigenes Forschungsprojekt und ohne vorzeigbares Produkt. Der im Jahr 2008 – noch während der Dreharbeiten zu Schanzes Film – verstorbene Informatik-Pionier wurde 1966 als Autor des Dialogsystems Eliza bekannt und profilierte sich seit den Siebzigern als scharfer Kritiker der Informatik und insbesondere der Forschung zur Künstlichen Intelligenz.

Plug&Play-Regisseur Jens Schanze

(Bild: Karl-Heinz Krauskopf)

Im Film tritt er als Kommentator auf und spricht Zweifel aus, die die anderen nicht äußern. Er selbst hat viele davon. In den Pionierzeiten habe man den Computern nur Aufgaben gegeben, die man sehr genau verstand, erklärt Weizenbaum. Inzwischen sei das umgekehrt: „Wenn wir eine Aufgabe nicht verstehen, dann geben wir das dem Computer, der soll das mit Künstlicher Intelligenz lösen.“ Die Gefahr dabei: „In fast allen Gebieten gilt – wenn der Computer einmal eingesetzt wird, kann man das nicht mehr rückgängig machen, bei der Bank zum Beispiel. Und dann entdecken wir, dass dieses Programm etwas macht, das wir erstens nicht verstehen und zweitens nicht wollen – wo sind wir dann?“

Manches, was Weizenbaum im Film sagt, klingt schlicht und ist doch bedenkenswert. „Dan Dennett hat mal gesagt: Wir müssen unsere Ehrfurcht vor dem Leben loswerden, bevor wir mehr Fortschritte in der KI machen. Das bekämpfe ich und das muss bekämpft werden. Und ich rufe nach Vernunft und Bescheidenheit und nach Respekt für das Leben.“ Oft ist er emotional und persönlich, nicht immer ist er brillant, etwa wenn er sich über den Kabelverhau unter seinem Schreibtisch ereifert oder mit Windows kämpft: „Die Maschine ist böse mit mir oder sie ist müde – sie geht jetzt in Ruhestand.“ Dafür genießt er das Privileg, als einziger im Film als Persongezeigt zu werden. „Die anderen erfüllen eine Funktion, sie repräsentieren ihr Projekt“, bestätigt auch Jens Schanze. Dies sei keine Regie-Entscheidung gewesen, erklärte er im Gespräch mit c’t: „Nur Joseph Weizenbaum hat sich uns als Mensch offenbart.“

Durch diesen Gegensatz und die zentrale Rolle des Kritikers ist Plug & Pray weder ein umfassender Dokumentarfilm über Roboterforschung und Künstliche Intelligenz geworden, noch ein Porträt von Weizenbaum wie der bereits 2006 erschienene und entschieden biografisch angelegte Film „Rebel at Work“ von Peter Haas und Silvia Holzinger. Entstanden ist vielmehr ein assoziativ montierter Dialog zwischen Forschern und Denkern, die sehr gegensätzliche Standpunkte vertreten und sich zum Teil niemals persönlich begegnet sind.

Das funktioniert gut, da der Film nicht in Schwarzweißmalerei verfällt nach dem Schema: hier die unreflektierten Forscher, dort der berufene Kritiker. Für Zwischentöne sorgen wie beiläufig eingefangene Szenen. In Kurzweils biederem Büro schwenkt die Kamera über die zur Schau gestellten Medaillen, Erinnerungsfotos mit bedeutenden Personen und Nippeskatzen. Man sieht, wie die Forscher aus Genua ihren Roboter auspacken, der in einer Kiste liegt – die Noppenfolie obendrauf erinnert sie an das Grabtuch Christi („Dafür werden wir exkommuniziert!“). Ein Kind begegnet iCub, dem Roboter mit der Gestalt eines Dreijährigen, und erkennt: „Der antwortet gar nicht. Der ist nicht echt.“

www.ct.de/1023082

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„Am MIT sind alle Türen zugegangen, als der Name Weizenbaum erwähnt wurde.“

Über die Erfahrungen mit seinen Protagonisten sprach c’t mit Regisseur Jens Schanze.

c’t: Wie verliefen Ihre Begegnungen mit den Wissenschaftlern?

Jens Schanze: Das Treffen mit Kurzweil war exemplarisch: sehr nüchtern, sehr kurz, absolut reduziert auf seine Arbeit. Kurzweil stand uns nur für zwei Stunden zur Verfügung. Da kann man nur versuchen, pointiert herauszubekommen, wofür jemand steht. Da ist es nicht möglich, noch eine andere Ebene zu etablieren.

c’t: Warum haben Sie statt mit Kurzweil nicht mit Marvin Minsky gesprochen? Am MIT hatten sie als Kollegen miteinander zu tun.

Schanze: Wir haben uns für Kurzweil entschieden, weil er die weitestgehenden Ideen hat und die auch offensiv kommuniziert. Minsky wäre aus Weizenbaums Perspektive sicher der naheliegendste Konterpart gewesen. Er war Mitglied in der Kommission, die Weizenbaum zum Full Professor am MIT ernannt hat. Damals hat er ihn noch unterstützt. Wir haben sogar eine Begegnung zwischen den beiden gedreht, als Minsky auf Promotion-Tour für eines seiner Bücher in Berlin war. Die war aber so geprägt von den persönlichen Animositäten zwischen den beiden, dass wir die Aufnahme nicht verwendet haben.

c’t: Denken Sie, dass die Forscher ihre Arbeit reflektieren?

Schanze: Ich meine die Tendenz zu erkennen: Wenn man aktiv und erfolgreich in der Wissenschaftsszene sein will, kommt man vielleicht nicht umhin, bestimmte Fragen nicht zuzulassen. Falls das so ist, ist es fatal.

c’t: Der Film zeigt unterschiedliche Forschungsansätze – meinen Sie, dass dies bei Zuschauern ohne Vorkenntnisse ankommt?

Schanze: Meiner Meinung nach sind Vorkenntnisse für die Rezeption des Films nicht unbedingt notwendig. Unterschwellig bekommt man mit, dass da verschiedene Richtungen eingeschlagen werden. Die bisherigen Rückmeldungen des Publikums zeigen, dass es ganz gut funktioniert und die Leute sehen, dass dies etwas mit ihrem Leben zu tun hat. Ich habe in den vergangenen 15 Jahren selbst erlebt, wie sich mein Leben durch Computer verändert hat. Das war keine Entscheidung – hätte ich mich dem Computer verweigert, könnte ich meinen Beruf nicht mehr ausüben und keine Filme mehr machen.

c’t: Haben Ihre Protagonisten den fertigen Film schon gesehen?

Schanze: Bisher nur einige Angehörige von Weizenbaum und die Italiener – die wollten ihn bei einem Kongress zeigen. Sie haben es dann aber doch nicht getan, weil sie fürchteten, er könnte auf die Teilnehmer zu negativ wirken. Spannend fanden sie ihn aber. Der Name Weizenbaum sagt vielen was, vor allem in Europa, aber viel weniger verbinden mit ihm tatsächlich inhaltlich etwas. Am MIT hingegen sind alle Türen zugegangen, als der Name Weizenbaum erwähnt wurde.

c’t: Der Umgang mit der Angst vor dem Tod das zweite große Thema des Films.

Schanze: Das ist im Lauf der Dreharbeiten immer wichtiger geworden. Seit Weizenbaum von seiner Krebserkrankung erfahren hat, war das Thema Tod sehr präsent. Die Parallelität mit den Thesen von Kurzweil hat sich in dieser Klarheit aber erst im Schneideraum ergeben.

(pek)