Urheberrecht: Gesittet "Pfui" sagen

In München haben heute Experten aus dem Bundesjustizministerium und von anderen Organisationen über die neuen Vergütungsregelungen des so genannten zweiten Korbs der Urheberrechtsnovelle diskutiert.

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Von
  • Monika Ermert

Die Debatte um die Privatkopie verschleiert die Tatsache, dass der Zugang zu Wissen in der Informationsgesellschaft durch vorgeschlagene Regelungen des neuen Urheberrechts bedroht ist. Diese Auffassung vertrat heute Reto Hilty, Direktor des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht bei einer Veranstaltung des Münchner Instituts für Urheber- und Medienrechts und des Bundesjustizministeriums. In München wurde neben dem notorischen Schlagabtausch zur Privatkopie vor allem über die neuen Vergütungsregelungen des so genannten zweiten Korbs der Urheberrechtsnovelle diskutiert. Kritik hagelte es dabei unter anderem an der im Referentenentwurf vorgesehenen Koppelung der pauschalen Geräteabgaben an deren Marktpreise und am neuen Schlichtungsmechanismus für die Festsetzung der Vergütung durch die Verwertungsgesellschaften.

Mit Blick auf die Privatkopie sagte Hilty, die Forderung nach der unbegrenzten Kopierfähigkeit von CDs und DVDs entspringe einfach dem Wunsch, Geld zu sparen. Es bestehe eine "Besorgnis erregende Unschärfe" zum wesentlich wichtigeren Anliegen, den Zugang zu Wissen in der Informationsgesellschaft abzusichern. Dieses werde durch Verbreitung und Schutz technischer Zugangskontrollen bereits jetzt erheblich eingeschränkt. "Hier ist die Gefahr virulent, dass der Verwerter nur zu prohibitiven Preisen die Information verfügbar macht", sagte Hilty, "mit allen negativen Konsequenzen." Auch eine Regelung wie die, dass Bibliotheken so etwa Werke nur genau so oft an elektronischen Arbeitsplätzen zur Verfügung stellen dürfen, wie sie Exemplare eingekauft haben, nannte Hilty gegenüber heise online "einen Witz". Volker Grassmuck von der Initiative Rettet die Privatkopie sagte, Sonderregelungen für Film und Musik hätten möglicherweise sinnvoll sein können. Allerdings habe man aufgrund von Abgrenzungsschwierigkeiten darauf verzichtet. "Es stimmt nicht, dass Musik und Film ausschließlich in den Bereich Unterhaltung fallen."

Vertreter der Kultusministerkonferenz, der Hochschulrektorenkonferenz und der Initiative von Schulen ans Netz forderten ebenfalls dringend, die Befristung der für sie vorgesehenen Ausnahmeregelungen aufzuheben. "Wir brauchen den Paragraphen 52 a, damit beim Übergang ins Digitale wenigstens ein Teil der Privilegien des Bildungsbereichs erhalten bleibt", sagte der Vertreter der Hochschulrektorenkonferenz. Nach derzeitigem Stand laufen die Sonderregelungen Anfang 2006 aus. Elmar Hucko, Ministerialdirektor im BMJ, sagte, dass eine erst nach Veröffentlichung des aktuellen Referentenentwurfs eingerichtete neue Arbeitsgruppe sich derzeit speziell mit der Informationsversorgung für wissenschaftliche Einrichtungen und Hochschulen befasse. Hilty forderte, die Bundesregierung müsse das grundsätzlichere Problem in den dafür eingerichteten Kontaktausschuss bei der EU-Kommission, der die Folgen der Urheberrechtsrichtlinie gemäß Artikel 12 der EU prüft, aufs Tapet bringen. Die Notwendigkeit, nachzubessern gehe über die Kompetenz des Bundesgesetzgebers hinaus.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries sagte in Richtung der Bedenken der Wissenschaft: "Das Urheberrecht zwingt niemanden zur Verwertung. Ich glaube nicht, dass man Erkenntnisse in Zeitschriften solcher Verlage veröffentlichen muss, von denen sich man dann im wissenschaftlichen Austausch behindert sieht." Zypries erklärte erneut, sie halte die im Referentenentwurf gefundenen Regelungen für einen gerechten Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen.

An die Adresse der Unterhaltungsindustrie, die weitere Einschränkungen bei der Privatkopie fordert, sagte sie: "Wir können Ihnen keine Konsumenten schaffen, die ihren Vorstellungen entsprechen und zu ihren Geschäftsmodellen passen. Die Herausforderung für Sie", so Zypries, "bedeutet nun, Geschäftsmodelle für die verschiedenen Verbrauchergruppen zu schaffen." Hilty sagte, bei aller Ablehnung der Privatkopie könne er das ungute Gefühl gegenüber den Verwertern gut verstehen. Diese haben es bislang sehr an Transparenz zu Preisgestaltung und Geschäftsmodellen fehlen lassen. Er warte seit über einem Jahr auf die ihm zugesagten Zahlen dazu, wie sich die Preise von Musik-CDs zusammensetzten.

Mehr Mahnungen an die Adresse des Ministeriums kamen in München aber auch von Vertretern der eigentlichen Urheber. Ein Kameramann sagte: "Bisher war es so, man musste verhandeln, wenn man die Rechte weggeben wollte. Jetzt sind die Rechte schon weg, bevor ich überhaupt mit einem Film anfange. Wie soll man da über eine angemessene Gegenleistung verhandeln?" Auch die Abtretung unbekannter Rechte im Voraus und eine rückwirkende Bestimmung dazu, der Urheber innerhalb eines Jahres widersprechen müssen, um ihre Ansprüche nicht zu verlieren, wurde von Beobachtern als De-facto-Enteignung bewertet. Für die eigentlichen Urheber bringt der zweite Korb einmal mehr nicht nur Positives. Am 15. November können alle Seiten bei einer Anhörung in Berlin noch einmal "gesittet pfui sagen", wie es Irene Pakuscher vom BMJ ausdrückte. Mitte Dezember soll der zweite Korb ins Kabinett.

Zu dem Entwurf des Bundesjustizministeriums für die weitere Novellierung des Urheberrechts siehe auch:

Zur Auseinandersetzung um das Urheberrecht siehe auch:

(Monika Ermert) / (anw)