Der Mensch als Kampfpilot

Head-Mounted Displays werden immer schicker, doch mich lassen sie eher kalt. Denn: Sie werden wahrscheinlich ein Nischenprodukt bleiben.

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Von
  • Martin Kölling

Ein großer Smartphone-Hersteller soll sie Gerüchten zufolge erwägen. Und auf der Ceatec hat der weltgrößte Handynetzbetreiber NTT Docomo mit ihnen versucht, einen Trend zu setzen: Head-Mounted Displays (HMD), also kleine Bildschirme vor dem Auge, die dem Nutzer Bilder ins Blickfeld bringen, spiegeln oder auf die Netzhaut projizieren. Neu sind die HMDs wahrlich nicht, doch auf der Ceatec zeigen sie erstmals etwas Potenzial über den Einsatz als Videobrille hinaus.

Denn im Gegensatz zu bisherigen Versuchen sahen NTT Docomos HMDs nicht nur verdammt cool aus, sondern waren im Gegensatz zu ihren Ahnen auch sehr leicht (Bilder hier). An der Bildqualität hatte ich auch nichts auszusetzen. Nur bin ich nach einem kurzen Praxistest, längerem Nachdenken und Interviews mit HMD-Entwicklern und Akademikern zu dem Schluss gekommen, dass die Dinger den Durchbruch im Massenmarkt nicht schaffen werden. Die Gründe sind vielfältig.

Zuerst zum Lebenszweck: HMD sollen Information vorspiegeln, E-Mails zum Beispiel, Filme oder Informationen zu bestimmten Projekten in der Umgebung wie NTT Docomo vorgeführt hat. Die fesche und leichte Brille mit Minidisplay war an ein Handy angeschlossen und versuchte bei einem virtuellen Stadtrundgang durch die alte Kaiserstadt Kyoto, auf Sehenswürdigkeiten und vor allem Restaurants am Wegesrand hinzuweisen. Wenn der HMD-Träger den Kopf drehte, wurden ein Bild von dem Motiv und zusätzlich Informationen wie die Telefonnummer des Restaurants oder der Name und die Lebensdaten einer Berühmtheit eingeblendet. Das Ganze war noch recht simpel im Vergleich zum Ideal der "aufgebesserten Realität", wie ich Augmented Reality (AR) einmal frei übersetzen will. Doch am Ende der Entwicklung soll im Traum aller Entwickler ein durch eine zusätzliche Kamera aufgenommenes Videobild oder Foto passgenau über das reale Bild gelegt, Infos eingeblendet und so das Bild mit zusätzlichem Nutzwert angereichert werden können.

Ok, AR wird kommen, davon bin ich überzeugt, doch meines Erachtens nicht so sehr mit HMDs. Das hat eine Reihe von technischen Gründen, die sich allerdings beheben lassen, ist aber vor allem den prinzipiellen Schwächen geschuldet. Ein Hemmschuh für die Verbreitung ist bereits aus der Welt geschafft: Träger der neuen schicken HMDs müssen sich nicht mehr als Freak fühlen. Es bleiben allerdings die Kabel. Daten lassen sich natürlich ohne weiteres schnurlos übertragen, aber woher kriegt das D in HMD seinen Strom? Ein eingebauter Akku verbietet sich, denn jedes Gramm mehr wäre zu schwer. Aber wenn die Kopfhörer intergriert sind, warum sollen die Nutzer nicht auch die Kabel akzeptieren. Sie schlagen sich heutzutage ja auch mit dem Kabelsalat ihrer Kopfhörer für Musikplayer herum.

Dann kommen wir zu den handfesteren Gründen: Die meisten HMDs sind im Zentrum des Sichtfeldes, oft blocken sie es sogar großflächig. Das nervt und ist nicht akzeptabel. Das Display muss variabel sein, am besten sich auch oben, unten oder seitlich des Sichtfeldes einrasten lasten. Das dieses Problem grundsätzlich lösbar ist, hat Nikon mit seinem "UP", einem Kopfhörer mit integriertem Mediaplayer, WLAN, Webbrowser und HMD, angedeutet. Bei dem Gerät kann man das Display direkt vors Auge klappen oder in Höhe der Augenbrauen, wobei allerdings die Sicht auf das Display eingeschränkt ist. Aber ich habe mich mit dem Teil in Tokioter U-Bahn trotzdem völlig deplaziert gefühlt – wie ein Hubschrauberkampfpilot im Großstadtdschungel.

Doch die weiteren Stolpersteine für eine HMD-Durchsetzung lassen sich schlicht nicht oder wahrscheinlich nur sehr schwer aus der Welt schaffen:

1. Wenn man das Display nur vor einem Auge hat, wird man mit der Zeit ramdösig, weil das andere Auge andere Bilder sieht.

2. Löst man das Problem wie viele Hersteller seit mehr als zehn Jahren mit Videobrillen, die mit Displays vor beiden Augen dem Betrachter einen großen Bildschirm vorgaukeln, wird das Gerät nicht nur schwer, man kann es auch nicht mehr beim Gehen verwendet, weil die Umgebung weitgehend ausgeblendet ist.

3. Dieses Problem ließe sich zwar mit durchsichtigen Displays oder Projektionen auflösen, nur reicht es dann wegen der Transparenz des Bildes nur für Text und AR-Anwendungen, nicht aber mehr für Spielfilme.

Und nun kommen wir zu den für mich zwei wichtigsten Argumenten gegen HMDs:

4. Wenn ich mit diesen HMDs etwas sehen will, muss ich sie mir erst einmal aufgesetzt haben. Ich bin allerdings über jede Minute froh, die ich ohne Brille, Hut oder irgendeinem Knopf im oder Bügel über dem Ohr verbringen kann. Dagegen empfinde ich es sehr viel angenehmer und einfacher, bei Bedarf mein Handy aus der Tasche zu nesteln, es auf ein Objekt zu richten und die gewünschten AR-Funktionen abzurufen. Denn es versperrt mir nicht die Sicht.

5. Und nun kommen wir zum für mich wichtigsten Grund: Ich finde es extrem störend, zusätzliche Informationen ins Sichtfeld eingeblendet zu bekommen. Das verschafft mir nur mehr zusätzlichen Stress. Denn meiner Erfahrung nach ist das Lesen mit einem Auge sehr viel anstrengender als das Lesen mit zweien.

Viele Träume sind schon gescheitert. Ich sehe HMDs daher weiterhin ein Nischendasein für – wenn auch immer mehr private – Spezialanwendungen fristen. Für Fotografen und Filmemacher ermöglicht es schon jetzt als externes Display neue Möglichkeiten bei der Aufnahme, ebenso wie es für Ärzte bei Operationen oder der Endoskopie sowie für Handwerker bei schwierigen Arbeiten Sinn machen kann.

Elektronikhersteller mögen mit dem Start des 3D-Zeitalters auch mit Videobrillen erfolgreich sein. Und natürlich liefert es für Soldaten Mehrwert, in Kampfsituationen, in denen sie alle Hände voll zu tun haben, zusätzliche Infos eingeblendet zu bekommen. Was mir mehr Stress verursacht, kann bei den adrenalingeladenen Kämpfern sogar zu Streßabbau führen. Aber, wie gesagt, ich bin doch kein Kampfpilot. (bsc)