Die Monsterseide

Einem US-Start-up ist es erstmals gelungen, transgene Seidenraupen zu entwickeln, die Proteine von Spinnenfäden in ihre eigenen Fasern einbauen – ein entscheidender Schritt zu synthetischen Spinnenfasern.

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Von
  • Katherine Bourzac

Einem US-Start-up ist es erstmals gelungen, transgene Seidenraupen zu entwickeln, die Proteine von Spinnenfäden in ihre eigenen Fasern einbauen – ein entscheidender Schritt zu synthetischen Spinnenfasern.

Fäden von Spinnweben sind bekanntlich äußerst reißfest und elastisch zugleich. Seit Jahrzehnten versuchen Forscher, einen synthetischen Faden zu entwickeln, der genauso robust ist – bislang vergeblich. Vielleicht klappt es mit dem gentechnischen Trick des US-Start-ups Kraig Biocraft Laboratories: Es hat Seidenraupen genetisch so verändert, dass in deren Fäden auch Proteine enthalten sind, aus denen Spinnenfäden bestehen.

Die Fasern, die die Raupen produzieren, sind laut Kraig Biocraft deutlich fester und elastischer als gewöhnliche Seidenfäden. Die Firma ist zuversichtlich, in den kommenden fünf Jahren Fasern zu synthetisieren, die es mit echten Spinnenfäden aufnehmen können. In Massen hergestellt, sollen sie zu kugelsicheren Westen, Kompositwerkstoffen für Autos oder gar zu Baustoffen weiterverarbeitet werden.

Viele der Fäden, die von den verschiedenen Spinnenarten erzeugt werden, sind – bezogen auf ihren Querschnitt – zugfester als Stahl. Zum Ärger von Forschern sind die Gliederfüßer bislang zu aggressiv, um sich als Nutztiere halten zu lassen. Forschungsgruppen haben deshalb versucht, die entscheidenen Proteine der Fäden mittels genmanipulierter Bakterien zu erzeugen. Die kanadische Firma Nexia schaffte das Kunststück sogar mit transgenen Ziegen.

Allerdings mussten sie alle feststellen, dass es nicht genügt, einfach nur die Eiweißmoleküle in größerer Menge zu produzieren. Entscheidend ist die Art und Weise, in der nur Spinnen sie zu einem Faden zusammensetzen können. „Der bisherige Ansatz ist so, als ob Sie auf einer Baustelle Ziegelsteine abladen und sich dann wundern, warum sie nicht von selbst ein Haus bilden“, flachst Kim Thompson, Gründer und CEO von Kraig Biocraft.

Die Idee, transgene Seidenraupen einzusetzen, ist selbst nicht neu. In den bisherigen Versuchen bauten die Raupen die Spinnenproteine aber nicht in ihre eigenen Fäden ein, so dass sich deren mechanische Eigenschaften nur geringfügig verbesserten. Randy Lewis, Molekularbiologe an der University of Wyoming, findet das auch nicht erstaunlich: „Es gibt keinen biologischen Grund dafür, dass Seidenraupen Spinnenproteine in ihre Fäden einfügen.“ Lewis hat einige der Gene sequenziert, die für die Bildung dieser Eiweißmoleküle verantwortlich sind.

Die Gensequenzen hat Kraig Biocraft von ihm lizenziert, um sicher zu gehen, dass die von den Raupen gebildeten Spinnenproteine die richtige chemische Struktur haben. Die besteht aus zahlreichen ineinander verflochtenen Aminosäureketten, die bei Belastung nicht gleichmäßig auseinandergezogen werden, sondern in abrupten Sprüngen. Um die Fäden zu dehnen, muss deshalb mit zunehmender Ausdehnung viel mehr Kraft als bei einer mechanischen Feder aufgewendet werden. Lewis selbst hat im Labor überprüft, dass die Spinnenproteine tatsächlich in den Kern der Seidenfasern integriert sind.

Das gentechnische Verfahren, mit dem Kraig Biocraft die Insekten verändert hat, wurde von Malcolm Fraser von der University of Notre Dame entwickelt. Zum ersten Mal gelang es damit vor zehn Jahren, transgene Larven eines Seidenspinners zu erzeugen. Kraig Biocraft hat nun gleich 20 neue Variationen der Raupen entwickelt, die artfremde Gene in ihr Genom übernommen haben.

Die Ergebnisse der mechanischen Belastungstests an den hybriden Seiden-Spinnen-Fäden hat das Start-up aber noch nicht veröffentlicht. Ebenso wenig ist bekannt, wie hoch der Anteil der Spinnenproteine in den Fäden ist. Laut Kraig Biocraft produzieren alle 20 Raupen-Variationen robuste Fasern – eine soll so stark sein, dass sie in der Firma als „Monster-Seide“ bezeichnet wird.

„Wir können aber noch nicht kontrollieren, wie viele der artfremden Proteine eine Raupe bildet. Mal ist es mehr, mal weniger“, sagt Fraser. „Im Moment arbeiten wir daran, das Verfahren zu verfeinern.“

David Kaplan, Biotechnik-Ingenieur an der Tufts University, bemängelt, dass Kraig Biocraft auch noch keine Forschungsergebnisse in wissenschaftlichen Journalen produziert habe. Kaplan selbst hat biomedizinische Anwendungen für Seidenfasern entwickelt.

Seidenraupen seien zwar vielversprechende biologische Systeme für die Synthese von Spinnenfadeneiweiß, sagt Kaplan. Im industriellen Maßstab seien Bakterien aber wohl deutlich besser zu handhaben als die Schmetterlingslarven. Eine Gruppe an der University of Berkeley will mit einem mikrofluidischen System den Mechanismus des Fadenspinnens nachahmen, um von Bakterien erzeugte Proteine zu einer gleichwertigen synthetischen Faser zu verarbeiten.

Kraig-Biocraft-Gründer Thompson hat erklärt, dass man mit dem ersten Produkt noch nicht auf industrielle Spezialanwendungen wie kugelsichere Westen abziele. Dafür seien die bisherigen Fasern noch nicht gut genug. Stattdessen will die Firma zunächst in den lukrativen Rohseide-Markt einsteigen: Der hat einen weltweiten Umsatz von vier Milliarden Dollar im Jahr. (nbo)