Falsche Online-Vögel

Mit Hilfe von Techniken aus der Netzwerkanalyse haben Forscher ein Netz aus erfundenen Nutzern beim Kurznachrichtendienst Twitter aufgedeckt. Die gefälschten Accounts dienten offenbar der politischen Stimmungsmache.

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Von
  • Kurt Kleiner

Mit Hilfe von Techniken aus der Netzwerkanalyse haben Forscher ein Netz aus erfundenen Nutzern beim Kurznachrichtendienst Twitter aufgedeckt. Die gefälschten Accounts dienten offenbar der politischen Stimmungsmache.

Wissenschaftler an der Indiana University haben Beweise dafür gefunden, dass politische Kampagnen und Lobby-Gruppen in den USA zahllose falsche Accounts beim Kurznachrichtendienst Twitter angelegt haben. Das Ziel dieser Bemühungen scheint zu sein, nach außen den Eindruck einer breiten Graswurzelbewegung zu vermitteln – und damit Meinung zu machen und Wähler zu beeinflussen.

Das Forscherteam nutzte spezielle Software-Werkzeuge, um die Aktivitäten aufzudecken. "Wir glaubten, dass so etwas ziemlich normal sein muss", meint Dozent Filippo Menczer, einer der Projektleiter. "Überall dort, wo viele Augenpaare sind, werden sich auch die Spammer hinbegeben. Warum also nicht auch in der Politik?"

Das Forschungsvorhaben hört folgerichtig auf den Namen "Truthy Projekt" – eine Referenz an den politischen Comedian Stephen Colbert, der einst das Wort "Truthiness" erfand. Damit ist gemeint, dass Menschen dazu neigen, eine Fehlannahme für wahr ("true") zu halten, weil sie sich nach der Wahrheit "anfühlt" ("truthy") – selbst wenn ihr jegliche Grundlage fehlt. Gefälschte Graswurzelbewegungen sind auch außerhalb des Netzes nicht neu. Der Fachbegriff dafür lautet "Astroturfing" – in Anspielung auf den Markennamen eines amerikanischen Kunstrasens.

Die Forscher setzten bei ihrer Jagd auf gefälschte Wahl- und Schmutzkampagnen bei Twitter vor allem auf die sogenannte Netzwerkanalyse, bei der Verbindungen zwischen verschiedenen Mitgliedern eines Netzwerkes kartographiert werden. Schon lange in der Mathematik und den Geisteswissenschaften im Einsatz, wird das Verfahren mittlerweile immer häufiger zur Untersuchung von Strukturen im Internet und dort besonders in sozialen Netzwerken genutzt.

Das "Truthy Project" bediente sich dabei zunächst Tipps von Twitter-Nutzern, die verdächtige Botschaften und Accounts meldeten. Anschließend begann die Netzwerkanalyse, um zu verstehen, ob und wie diese Accounts miteinander in Verbindung standen. Außerdem wurden sogenannte Meme untersucht – Schlüsselbegriffe oder Web-Links, die plötzlich besonders häufig von Twitter-Nutzern verwendet werden. Kamen die Meme von sonst kaum mit anderen Gruppen in Verbindung stehenden Accounts, galten sie den Forschern als legitim. Hatten sie dagegen ihren Ursprung in einem kleinen, eng miteinander vernetzten Bündel von Accounts, war das ein wichtiges Indiz für Astroturfing.

Menczer fand schnell interessante Beispiele: Da wurden von einer Anzahl von Accounts gleichlautende Botschaften verschickt und außerdem Botschaften von stets gleichem Ursprung wiederholt (Retweets). Alle waren untereinander eng vernetzt. Zwei besonders auffällige Accounts, die kürzlich geschlossen wurden, verschickten gar 20.000 ähnlich lautende Tweets. "@PeaceKaren_25" und "@HopeMarie_25" verwiesen fast ausnahmslos auf die Website des Chefs der Republikaner im US-Repräsentantenhaus, John Boehner. In einem anderen Fall wurden zehn verschiedene Accounts dazu verwendet, Tausende von Botschaften zu versenden. Viele davon ähnelten sich, waren aber stets leicht abgewandelt, um nicht in den Twitter-Spamfilter zu geraden. Alle Accounts schickten stets Links zu einer bestimmten konservativen Website mit.

"Wenn man immer die gleiche Botschaft von vielen verschiedenen Quellen hört, beginnt man zu denken, dass diejenigen, die das sagen, unabhängige Personen sind. Das macht sie glaubwürdiger", sagt Bruno Goncalves, Forschungsassistent beim "Truthy Project". Nachrichten, die sich wiederholen, landeten auch früher oder später als "Trendbegriff" in den Twitter-Charts. Auch könnten sie Google-Suchergebnisse beeinflussen. Die Forscher wollen in einem nächsten Schritt ihr Verfahren weiter optimieren. Es soll künftig allein durch die Untersuchung der Netzwerktopologie verräterische Accounts aufspüren.

Die Inspiration für das "Truthy Project" war ein Paper, das die beiden Wellesley College-Studenten Panagiotis Takis Metaxas und Eni Mustafaraj im Juli 2010 vorlegten. Sie untersuchten darin die Nachwahl für ein Senatsamt im US-Bundesstaat Massachusetts, die 2008 zwischen der Demokratin Martha Coakley und dem Republikaner Scott Brown stattfand.

Dabei kamen sie zu der Erkenntnis, dass viele Twitter-Accounts die gleichen negativen Botschaften wiederholten. Offenbar war das ein durchaus erfolgreicher Versuch, die gerade frisch fertiggestellte Google-Echtzeitsuche zu beeinflussen, die immer dann in der Ergebnisliste auftaucht, wenn ein Wähler nach dem Namen eines der Kandidaten sucht.

In einem Fall schickten neun Twitter-Accounts, die allesamt innerhalb von 13 Minuten aufgesetzt worden waren, 929 Botschaften in nur zwei Stunden. Sie waren als Antworten auf echte Twitter-Nutzer gedacht – in der Hoffnung, dass diese sie retweeten. Die Fake-Accounts wurden vermutlich von einem Programm kontrolliert, das im Zufallsverfahren auf Twitter-Nutzer antwortete, jeweils mit einer Botschaft samt Web-Link. Obwohl Twitter die Fake-Zugänge schnell schloss, erreichte der Politspam doch fast 62.000 Empfänger.

Bernardo Huberman, der das Thema Social Computing bei den HP Labs in Palo Alto bearbeitet, ist sich allerdings nicht sicher, ob all die schmutzigen Tricks wirklich etwas erreichen. In einer Studie zeigte er kürzlich, wie sich aus Twitter-Aktivitäten die Popularität von Filmen ableiten lässt. Versuchte jedoch ein Filmstudio eine derartige Kampagne, verfing diese zumeist nicht – die Meinung der Masse ließ sich nicht beeinflussen. Um Verhalten wirklich zu verändern, müssten zudem Millionen Menschen erreicht werden, nicht nur ein paar Tausend, sagt der Forscher. "Ja, natürlich machen das die Leute. Aber ist das wirklich neu?"

Menczer denkt allerdings, dass die Twitter-Astroturfing-Bemühungen durchaus ihren Zweck erfüllen – sie könnten Menschen mit ähnlicher Meinung motivieren, zur Wahl zu gehen, Anhänger des Gegners vom Urnengang abhalten oder Wechselwähler beeinflussen. "Die Kosten dafür sind ja nahezu null", sagt er. "Für den Preis eines Werbespots im Fernsehen könnte man auch zehn Leute dafür bezahlen, die ganze Zeit zu twittern." (bsc)