Eingewachsene Prothesen

Knochenimplantate als Verankerung für künstliche Arme oder Beine versprechen Amputierten mehr Bewegungsfreiheit. Dafür muss aber noch das Infektionsproblem an der Schnittstelle von Haut und Metall gelöst werden.

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Von
  • Emily Singer

Knochenimplantate als Verankerung für künstliche Arme oder Beine versprechen Amputierten mehr Bewegungsfreiheit. Dafür muss aber noch das Infektionsproblem an der Schnittstelle von Haut und Metall gelöst werden.

Zwei Jahre ist es her, dass Johnny Matheny, ein Bäcker aus Virginia, wegen Knochenkrebs seinen linken Arm verlor. Seitdem trägt er eine Armprothese, die mit Bändern an der Schulter befestigt ist und in einer Greifklaue endet. Spannt er bestimmte Muskeln an, kann er seinen künstlichen Arm bewegen, mit der Klaue auch greifen. Aber der Vorgang ist äußerst mühsam. Matheny hofft nun, wie viele andere Prothesenträger, auf eine neue Technologie: künstliche Gliedmaßen, die chirurgisch eingepflanzt und an den noch vorhandenen Knochen verankert werden.

Auch wenn es in Europa bereits seit über zehn Jahren Tests mit der neuen Technologie gibt, birgt sie nicht unerhebliche Risiken. Weil eine implantierte Prothese an einer Stelle durch die Haut ragt, kommt es an der Schnittstelle häufig zu Infektionen, die erneute Operationen nach sich ziehen. „Bevor wir die Technik aber bei vielen Menschen anwenden können, müssen wir das Infektionsrisiko angehen. Denn die Prothesen sollen bis zu 70 Jahre halten“, sagt Grant McGimpsey, Direktor des Bioengineering Institute an der Technischen Universität von Worcester.

Heutige Prothesen wie die von Johnny Matheny werden auf dem vernarbten Arm- oder Beinstumpf getragen. Auch wenn sie ihren Trägern wieder ein halbwegs normales Leben ermöglichen, haben sie Nachteile. Das Laufen mit einer solchen Beinprothese kann recht schmerzhaft sein, und auch die Reibung zwischen Stumpf und dem Ansatz des Geräts führt manchmal zu chronischen Reizungen bis hin zu Entzündungen. „Dass Beinamputierte später nicht mehr laufen können, liegt im Wesentlichen daran, dass sie den Prothesenansatz nicht vertragen“, sagt Richard McGough, Chirurg an der University von Pittsburgh.

Die Alternative sind so genannte osseo-integrierte Implantate, die direkt mit dem restlichen Knochen verbunden werden. Hierbei wird ein zylindrischer Metallkörper in den Knochenhohlraum eingefügt. Auf diese Weise soll der Knochen mit dem Metall zusammenwachsen – ähnlich wie bei künstlichen Hüftgelenken, die am Oberschenkelknochen fixiert sind. Die eigentliche Prothese wird auf dem Metallzylinder aufgesetzt.

Mehr als 50 solcher Implantate sind im vergangenen Jahrzehnt in der Sana Klinik in Lübeck unter Leitung von Horst-Heinrich Aschoff, Chefarzt für Plastische Hand- und Rekonstruktive Chirurgie, eingesetzt worden. Die Patienten konnten sich anschließend natürlicher bewegen als mit herkömmlichen Prothesen. Ihr Gang ist symmetrischer, der Kraftaufwand geringer.

Der Ansatz, den Aschoffs Team verfolgt, lehnt sich an Zahnimplantate an. Ist der Knochen erst einmal dicht mit dem Metall zusammengewachsen, können Bakterien nicht mehr eindringen und gefährliche Knocheninfektionen auslösen. Im Mund bleiben Bakterien nach dem Einsetzen eines Zahnimplantats auf dessen Oberfläche, das Zahnfleisch und die Zunge beschränkt.

„Das Infektionsrisiko bleibt aber ein Problem“, sagt McGough, der mit Aschoff zusammengearbeitet hat. „Es gibt in der Medizin nur wenige Verfahren, bei denen Metall durch die Haut ragt.“ Von 40 Patienten, die Aschoffs Gruppe zwischen 2003 und 2009 behandelt hat, musste etwas die Hälfte aufgrund von Entzündungen oder anderen Komplikationen ein zweites Mal operiert werden. Bei fünf mussten die Ärzte die Prothese sogar wieder entfernen. Bis auf zwei sagten aber alle Patienten, dass sie die Prozedur erneut wagen würden.

Das Problem bei osseo-integrierten Prothesen ist, dass das Hautgewebe am Metallzylinder entlangwächst in dem Versuch, mit anderem Gewebe die Lücke zu schließen. Dabei entstehen jedoch Hauttaschen, in denen sich Schmutz sammeln kann. Gordon Blunn, Leiter des Centre for Bio-Medical Engineering am University College London, untersucht daher, wie man das Gewebe dazu bringen kann, eine dichte Versiegelung um das Metall zu formen. Als Vorbild dienen ihm dabei die Geweihe von Hirschen, bei denen Haut und Knochen eine infektionsfreie Schnittstelle bilden.

Das funktioniert, weil der Geweihknochen unter der Haut große Poren hat. In die kann das Gewebe hineinwachsen. Blunn und seine Kollgen versuchen dieses Prinzip nachzuahmen, indem sie das Implantat mit einem porösen Flanschstück für die restliche Prothese versehen. Mit dieser Oberfläche könnte sich die Haut fest verbinden.

Blunns Team hat seine Technologie bisher an vier Patienten getestet. Eine der Versuchspersonen, der ein Unterschenkel amputiert worden war, konnte im September mit der neuen Prothese tatsächlich den Kilimandscharo besteigen. Blunn hat auch einer Katze, die bei einem Unfall beide Hinterbeine verloren hatte, künstliche Beine eingesetzt. Zwei Monate nach der Operation konnte das Tier wieder laufen.

In den USA hat es bislang noch keine Tests mit osseo-integrierten Implantaten an menschlichen Patienten gegeben. Dort wurde offenbar das Infektionsrisiko als zu hoch eingestuft. Johnny Matheny, der von Richard McGough behandelt wird, wäre allerdings bereit, den Versuch zu wagen. McGough arbeitet derzeit mit Hilfe von europäischen Chirurgen daran, eine Zulassung für das Verfahren durch US-Arzneimittelbehörde FDA zu bekommen.

McGough ist aber optimistisch: „Ich glaube, dieses Verfahren wird für Amputierte der große Durchbruch sein.“ Er will nun dafür sorgen, dass Matheny in Lübeck einen besseren künstlichen Arm erhält, weil diese Operation in den USA noch nicht erlaubt ist. „Ich habe aber noch nicht das Geld zusammen, um nach Deutschland zu fahren“, sagt Matheny. (nbo)