Überall Schreiben

Es ist kein Problem, zugleich in der herkömmlichen Bücherwelt und der digitalen Kultur zu leben.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Glaser

Ende der siebziger Jahre war ich der einzige Schriftsteller unter lauter Musikern in meinem Freundeskreis. Und ich litt darunter, über kein beeindruckendes Equipment zu verfügen. Als ich 1978 zum ersten Mal einen Mikrocomputer sah, begriff ich sofort, welche großartige Chance mir diese Maschine bot: Endlich eine Schreibmaschine, mit der man auch Lärm machen konnte! Ich nahm den Rechner fortan bei Lesungen mit auf die Bühne.

Ein Schriftsteller mit einem Computer – die Verbindung war für mich seit jeher ganz selbstverständlich, da ich als Junge Naturwissenschaftler werden wollte und erst, nachdem ich fassungslos hatte erkennen müssen, dass Mädchen sich nicht für organische Chemie interessieren, in die Literatur abgeglitten war.

Noch jedes neue Aufschreibesystem hat auch neue literarische Entwicklungen nach sich gezogen. Die Individualisierung des Bleisatzes in Form der Schreibmaschine hat die Textexperimente der Dadaisten ebenso inspiriert wie die konkrete poesie der 50er Jahre.

In der geometrischen Textmatrix, in der die Buchstaben sich mit Hilfe der Schreibmaschine tippen ließen, kündigte sich die Annäherung von Mathematik und Sprache an, die heute im Computer vollzogen ist. Die Frage, ob das Geschriebene auf Papier gedruckt, über ein Blog oder auf einem iPad zu seinen Lesern findet, ist für den Autor nachrangig. Wenn ein Text Käse ist, helfen ihm weder brillante Auflösung noch runde Ecken.

Seit langem ist nicht mehr so viel und vergnügt mit Schrift und Sprache experimentiert worden wie in unserer zunehmend digitalen Kultur. Ob es sich bei dem Autor um einen Schriftsteller, einen Publizisten, einen Journalisten oder einen Blogger handelt, nimmt sich dabei erst einmal nichts. Neben typographischen Experimenten gibt es eine Fülle weiterer Ansätze, von den begehbaren, epischen Erzählungen der Computerspiele bis zu Twitter-Juwelen.

Das alles führt Traditionen fort, wovon aber bemerkenswerter Weise sowohl die Vertreter der klassischen Buchkultur als auch die Digerati oft nichts wissen wollen – dabei verbindet das. Schon von Hemingway gibt es eine Story aus den zwanziger Jahren, die nur sechs Worte lang ist: "For sale: baby shoes, never used".

Mit dem Internet hat der Mensch eine vollkommen neue Dimension des Durcheinanders erschaffen – einen reichen, schöpferischen Humus. Das Netz ermöglicht es uns nun, nicht mehr nur Bücher und Zettel durcheinanderzuschmeißen, sondern auch Bilder aller Art, Animationen, Videos und komplette Diskurse. Im gordischen Myzelienknoten der Hyperlinks ist inzwischen die ganze Welt in die Globalisierung der Unaufgeräumtheit eingebunden. Dazu gibt es Ent-Ordnungssysteme – Stichwort Tagging – in denen die Idee des Strukturierens überhaupt aufgegeben wird. Ziel der multimedialen Kultur ist es also, die Unübersichtlichkeit zu universalisieren.

Jeder soll alles von überall aus durcheinanderbringen können. Als Schriftsteller fühle ich mich aufgerufen, aktiv an dieser Art von Anarchie teilzunehmen. Und dann ist das Schreiben doch auch wieder etwas wie die Fortsetzung der Alchemie: Man fügt Teile zueinander und hofft, dass daraus Gold oder etwas Lebendiges wird. Es geht um die Qualität der Teile, und wie sie zusammengefügt sind (für mich der Hauptspaß am Bloggen). Man darf die Rüstung nicht scheppern hören, und man sollte den Leser nie spüren lassen, wieviel Arbeit einen bestimmte Teile gekostet haben. 1940 schrieb Hemingway an seinen Verleger Charles Scribner, ihm gefalle am Krieg, dass es jede Nacht möglich sei, getötet zu werden, das heißt, am nächsten Tag eventuell nicht schreiben zu müssen. (bsc)