Googles TV-Probleme

Die ersten Fernseher und Set-Top-Boxen mit der Oberfläche des Online-Riesen kamen bei der Presse nur mittelprächtig an. Nun hofft man bei Google, dass Web-Anwendungen die Plattform schnell attraktiv machen.

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Von
  • Tom Simonite

Die ersten Fernseher und Set-Top-Boxen mit der Oberfläche des Online-Riesen kamen bei der Presse nur mittelprächtig an. Nun hofft man bei Google, dass Web-Anwendungen die Plattform schnell attraktiv machen.

Wirklich gut lief es bislang nicht für Google TV: Kunden wie Journalisten reagieren nur lauwarm auf die neue Internet-Plattform für Fernseher – und die ersten herunterladbaren Anwendungen, die das ändern könnten, werden noch Monate auf sich warten lassen.

Aus diesem Grund versucht der Internet-Konzern nun, Web-Entwickler davon zu überzeugen, interaktive Anwendungen für den in Google TV enthaltenen Browser zu programmieren. Diese "Web Apps" sollen Abhilfe schaffen, solange es keine richtigen Anwendungen für die mit dem hauseigenen Mobil-Betriebssystem Android laufende Plattform gibt.

Dazu nimmt der Online-Riese ordentlich Geld in die Hand. Laut Google TV-Produktmanager Ambarish Kenghe wurden mittlerweile 10.000 Geräte an Web-Entwickler verteilt, um sie davon zu überzeugen, schnell mit dem Programmieren zu beginnen.

Google TV ist als eine Art Betriebssystem für Fernseher gedacht, das es erlaubt, neben dem regulären TV-Programm auch Internet-Inhalte zu betrachten. Die ersten Produkte mit der Technik sind in den USA seit wenigen Wochen erhältlich, darunter Fernseher und Blu-ray-Spieler von Sony und eine Set-Top-Box zum Nachrüsten von Logitech. Diese Geräte könnten theoretisch auch native, also direkt auf dem Gerät installierbare, Anwendungen nutzen, die komplexe Funktionalitäten erschließen. Allerdings wird das nichts vor Frühjahr oder Sommer 2011, wie Kenghe einräumt: Google muss seine Entwicklersoftware für Android erst für die TV-Oberfläche anpassen.

Bis dahin müssen die Nutzer mit der relativ geringen Auswahl an vorinstallierten Programmen und den über den eingebauten Browser erreichbaren Inhalten klarkommen. Das erinnert dabei ein wenig an Apples iPhone: Als das vor drei Jahren erstmals erschien, gab es auch noch keine Möglichkeit für native Apps. Stattdessen, so hieß es von der Firma damals, sollten Entwickler eben Web-Anwendungen schreiben.

Wirklich gut geklappt hat das damals nicht. Erst die Einführung des iPhone App Store mit nativen Anwendungen ein Jahr später trat den Programmierboom richtig los. "Google TV braucht tolle Inhalte, um ein Erfolg zu werden", meint auch Daren Tsui, Chef und Mitbegründer des Multimediadienstes mSpot, mit dem Nutzer ihre Musik auf Smartphones und anderen Geräten abrufen können. Google hätte deshalb gerne möglichst schnell möglichst viele verschiedene Web Apps – vom Infoangebot über Videostreams bis hin zu Games.

mSpot soll einer dieser Lieferanten werden. Google sprach die Firma vor gut zwei Monaten an und fragte nach, ob sie ihren Dienst für Google TV entwickeln wolle. Das Endergebnis, das seit wenigen Tagen verfügbar ist, erlaubt es Nutzern, Musik und Filme auf Google TV-Geräte zu senden. So wächst das momentan noch recht magere Inhalteangebot. das derzeit vor allem aus den kostenpflichtigen Filmdiensten Amazon Video On Demand und Netflix besteht. Websites großer US-Sender sperren Google TV dagegen gerne. "Die Leute kaufen eine solche Box aber wegen der Inhalte", meint Tsui.

Kenghe freut sich über den Zuspruch von mSpot und Co. Ihm zufolge ist eine Web App auf Google TV näher an einer echten Anwendung dran als an einer Website. "Solche Programme nutzen den ganzen Fernsehschirm – es gibt keine URL-Leiste oben, wie man sie vom Computer kennt. Und man kann die Multimedia-Technik Flash komplett für interaktive Elemente nutzen."

Nutzer können Web Apps auch ins Hauptmenü von Google TV holen, um sie sofort aufzurufen. Kenghe gibt als Beispiel die Anwendung des US-Verlages Meegenius an, der interaktive Bücher für Kinder erstellt. Dessen Google TV-Web Apps kämen, so glaubt der Produktmanager, fast an native Programme auf iPad und iPhone heran.

Die Abhängigkeit von Web Apps, die sich mindestens noch bis zum nächsten Jahr hinziehen wird, sieht mancher Beobachter gar als Zukunftstrend für andere Gadgets. Peter Yared vom Beratungsunternehmen Webtrends glaub daran: "Web Apps werden gegenüber nativen Programmen auf diesen Geräten gewinnen." Statt verschiedene angepasste Anwendungen auf unterschiedlichen Plattformen pflegen zu müssen, könnte man einfach eine HTML5-Seite bauen, die sich leicht anpassen lasse. "Außerdem funktioniert die mit allen großen Browsern auf unterschiedlichen Geräten."

Die meisten TV-Anwendungen müssten kaum mehr tun, als Videostreams darzustellen. Das lasse sich im Browser erledigen, meint Yared. Eine Smartphone-Software benötige stattdessen direkten Zugriff auf die Hardware der Geräte, etwa auf den GPS-Chip zur Positionsbestimmung oder auf den Lagesensor.

Christopher Boothroyd, Chef des Start-ups Gamestring, hält auch gute Spiele via Web App auf der Google TV-Plattform für möglich. Sein Unternehmen hat dazu eine Software entwickelt, mit der man anspruchsvolle Games wie "World of Warcraft" spielen kann. Die firmeneigene Technik, "Adrenaline" genannt, setzt auf Server im Netz: Auf diesen läuft das Spiel und wird dann über die in Google TV eingebaute Flash-Software auf den Fernseher übertragen.

Gamestring arbeitet unter anderem mit dem Spielzeughersteller Nukotoys zusammen. "Wir machen aus der Plattform zwar keine Konsole, doch die Leute bei Sony werden sich fragen, warum sie Google TV-Geräte bauen, die mit ihrer Playstation mithalten können", sagt Boothroyd, der außerdem Spielenachschub aus sozialen Netzwerken erwartet.

Noch stellt sich allerdings die Frage, ob Anwendungen überhaupt auf den Fernseher gehören. Webtrends-Mann Yared will hier keine Vorhersage wagen, sieht aber ein eher kleines Marktpotenzial. "Ich denke, was die Leute auf ihren Fernsehern wollen, sind vor allem Videos und vielleicht noch Sportergebnisse." (bsc)