Softwarepatente: Der Tigersprung des EU-Parlaments

Uneinheitliche Reaktionen nach dem Begräbnis der Richtlinie: Deutsche Industrieverbände zeigen sich enttäuscht, während die Abgeordneten nun in größerem Rahmen die Patentierungsprobleme lösen wollen.

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Industrienahe deutsche Branchenvereinigungen sprechen angesichts des Scheiterns der heftig umstrittenen EU-Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" von einer herben Enttäuschung. So bedauern etwa der Zentralverband Elektrotechnik und Elektroindustrie (ZVEI) sowie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die Zurückweisung des Vorschlages des EU-Rates durch das Europaparlament. Damit sei eine Chance für eine Harmonisierung der Patentierungsregeln verpasst worden, glauben die Verbände. Die Beibehaltung des Status quo sei aber besser als eine Richtlinie, welche die bestehenden Patentierungsmöglichkeiten aufweiche und der Industrie schweren Schaden zufüge. "Ein wirksamer Schutz geistigen Eigentums ist und bleibt Voraussetzung für die Sicherung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit eines Hightech-Standortes Deutschland", betont ZVEI-Präsident und BDI-Vizepräsident Edward G. Krubasik.

Derselben Ansicht ist auch Heinz-Paul Bonn, Vizepräsident des Branchenverbands Bitkom. Es sei ein Trauerspiel, dass in der hitzigen Diskussion zwischen strikten Gegnern und Befürwortern "eine ausgewogene rechtliche Einigung nicht mehr möglich war." Die von Bonn favorisierte Ratsposition, welche die Türen zur Patentierung von Software und "technischer" Geschäftsmethoden weit aufgestoßen hätte, erschien der überwältigenden Mehrheit der Abgeordneten allerdings als Affront. Vertreter des Mittelstands hatten sich daher in ersten Reaktionen nach der Abstimmung überwiegend erleichtert gezeigt über das Aus für die ungeliebte Richtlinie, auch wenn ihnen eine klare Begrenzung der Softwarepatentierung gemäß der Vorgaben des Berichterstatters Michel Rocard lieber gewesen wäre. Sie interpretieren die erneut bestätigte Mehrheit im Parlament gegen eine Ausweitung des Patentsystems aber auch als klares Signal an das Europäische Patentamt, seine weitgehenden Praxis bei der Softwarepatentvergabe alsbald zu beenden.

Das "Drittklassbegräbnis" der Richtlinie ist auch für die grüne EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger von den Grünen "noch nicht ausreichend". Das Parlament muss ihrer Ansicht nach jetzt die Initiative für ein EU-Gemeinschaftspatent selbst voranbringen. Nur in diesem größeren Rahmen könnten die bestehenden Probleme in Patentierungsfragen gelöst werden. Zuversichtlich stimmt sie dabei, dass eine Mehrheit der Parlamentarier vor der 2. Lesung erkannt habe, dass für kleine und mittlere Unternehmen und damit für das "Rückgrat der europäischen Wirtschaft" Freiheit für kreative Entwicklungen nötig seien -- nicht ein enges Patentkorsett.

"Die Entscheidung des Europäischen Parlaments, die Softwarepatent-Richtlinie zu kippen, war die einzig mögliche Entscheidung", ist sich Vizepräsident der Europäischen Volkspartei, Othmar Karas, mit seiner österreichischen Landsfrau einig. "Es war aber auch ein klares Signal, dass sich das Europäische Parlament seiner Rolle im gemeinsamen Gesetzgebungsverfahren mit dem Rat bewusst ist. Heute sind wir als Tiger gesprungen und auch als Tiger gelandet", klopft der wirtschaftspolitische Sprecher der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) seinen Kollegen auf die Schulter. Jetzt liege es am Rat, seine Blockade gegen ein einheitliches europäisches Patentrecht aufzugeben und seine Position gegenüber der Patentierbarkeit von Softwareentwicklungen grundlegend zu modifizieren. Karas unterstützt auch die Aufforderung an die Kommission, umgehend Konsultationen über eine Harmonisierung des europäischen Patentrechts aufzunehmen. Das ergebe aber nur Sinn, wenn die Kommission die Ergebnisse der jahrelangen Diskussionen aufnehme.

"Keine Panik" lautet das Motto im Bundesjustizministerium, das dem Vorschlag des Rates entgegen dem einstimmigen Beschluss des Bundestags prinzipiell die Stange gehalten hatte. "Die am Patentschutz interessierten Erfinder und Unternehmen haben sich in Deutschland unter den bestehenden Rahmenbedingungen bisher ebenso gut entwickeln können wie die nach dem Open-Source-Modell arbeitenden Software-Entwickler. Ich gehe davon aus, dass dies bei unveränderter Rechtslage auch weiterhin der Fall sein wird", kommentiert Hausherrin Brigitte Zypries das Scheitern der Richtlinie. Günter Krings, Unions-Experte für geistiges Eigentum, gibt ihr dagegen eine Mitschuld daran, weil sie mit dem ausgewogenen Bundestagsbeschluss im Rücken schon früher auf einen "vernünftigen Interessensausgleich" mit dem Rat hätte hinarbeiten können. Der Parlamentarische Geschäftsführer, Uwe Küster, und der forschungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Jörg Tauss, loben ihre EU-Kollegen derweil, weil diese trotz der "Intensität der Lobbyarbeit insbesondere außereuropäischer Grossunternehmen eindrucksvoll die Interessen der mittelständisch geprägten Softwareindustrie in Europa vertreten" hätten.

Mehr positive als negative Aspekte können im Gegensatz zu ihren hiesigen Pendants offiziell auch EU-weite Branchenverbände dem Votum des Parlaments abgewinnen. "Die vom Europäischen Patentamt gewährten Schutzansprüche bleiben bestehen", sagt Francis Mingorance von der Business Software Alliance (BSA), die Firmen wie IBM, Intel oder Microsoft vertritt. Ähnlich reagierte die EICTA, der ebenfalls viele Hightech-Konzerne angehören. Die "weise Entscheidung" werde sicherstellen, "dass alle High-Tech-Unternehmen in Europa auch weiterhin von einem hohen Patentschutz profitieren", heißt es dort. Beide Vereinigungen hatten zuvor aber heftig für die Ratslinie Partei ergriffen.

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente in Europa und die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (anw)