Macht Apple das Web kaputt?

Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, steht nicht im Verdacht, ein Apple-Hasser zu sein. Dennoch hat er jetzt eine Breitseite abgefeuert.

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Von
  • Christoph Dernbach

Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, steht nicht im Verdacht, ein Apple-Hasser zu sein. Seit vielen Jahren verwendet er Produkte von Apple oder Steve Jobs. Auch der erste Web-Server der Welt, den der britische Physiker und Informatiker vor 20 Jahren am zweiten Weihnachtsfeiertag am Kernforschungszentrum Cern in der Schweiz den online schaltete, lief auf einem Rechner, der von Steve Jobs' Firma NeXT entwickelt worden war.

Der erste Webserver der Welt: Steve Jobs NeXT

(Bild: Quelle: CERN)

Wie exotisch das damals war, zeigt ein Blick auf den schwarzen Würfel, den man noch heute am Cern besichtigen kann. Auf einem Aufkleber steht "Nicht abschalten. Das ist ein Server." Klingt ein bisschen nach der Putzfrau im Museum, die fragt: "Ist das Kunst oder kann das weg?" Immerhin haben der von der Queen geadelte Sir Tim Berners-Lee und das Cern einen Sinn für Geschichte. Während Steve Jobs bei NeXT und bei Apple alle historischen Maschinen entsorgen ließ, kann man in der Schweiz beim Cern noch heute den ersten Web-Server der Welt besichtigen.

Trotz seiner Vorlieben für die NeXT-Server in der Vergangenheit und die Mac-Rechner heute hat Berners-Lee nun eine Breitseite gegen Apple abgefeuert: Der Web-Erfinder mag iTunes nicht. Die Musik- und Videoplattform von Apple gefährdet seiner Meinung nach das offene Web, wie es von ihm vor zwei Jahrzehnten entworfen wurde.

Apple befindet sich auf der Anklagebank in illustrer Gesellschaft. Berners-Lee wirft nämlich auch Online-Netzwerken wie Facebook, LinkedIn und Friendster vor, ihren großen Datenschatz für immer und ewig hinter einer großen Mauer zu verstecken. Mit den Daten, die von den Anwendern dort eingetragen werden, würden "brillante Datenbanken" entstehen, die für die User sehr nützlich seien – aber nur innerhalb der jeweiligen Dienste. "Jede Seite ist ein Silo, abgeschirmt von den anderen Seiten."

Tim Berners-Lee, Erfinder des World Wide Web, kritisiert Apple.

(Bild: Quelle: CERN)

Die Kritik von Berners-Lee an Apples iTunes kann man relativieren, denn Cupertino bietet zum Beispiel mit der Verknüpfung von Ping und Twitter einen Weg aus der Ummauerung an. Eine größere Bedrohung für das offene Web sind dagegen die maßgeschneiderten Programme, die mit dem iPhone so populär wurden. "Die Tendenz bei Magazinen, Smartphone-Apps statt Web-Apps zu produzieren, ist zerstörerisch, denn die Inhalte sind aus dem Web heraus", warnt Berners-Lee. Man könne auf die Inhalte kein Lesezeichen anlegen oder einen Link darauf versenden. Man könne die Inhalte nicht twittern. "Es ist besser, eine Web-App zu bauen, die auch auf Smartphone-Browsern läuft. Die Techniken dafür werden stetig besser." Berners-Lee verweist auf den Web-Standard HTML5.

Der Trend hat aber weniger mit technischen Fehlentwicklungen zu tun, sondern steht im Zusammenhang mit der Suche der Inhalte-Anbieter nach einem geeigneten Geschäftsmodell. So unterstützt jeder Mac und jedes iOS-Gerät den Standard HTML5 vorbildlich und ob man Inhalte twittern oder anderswo ins Web stellen kann, ist eine Entscheidung der Herausgeber. Offen zugängliche Web-Seiten können häufig nur durch Online-Werbung finanziert werden – und diese Einnahmen reichen in vielen Fällen nicht aus, um genügend Geld für Inhalte oder Services in die Kasse zu bekommen. Das käme durch zusätzliche Einnahmen herein: In der App lässt sich das Magazin einzeln oder im Abo kaufen. Wie beim klassisch gedruckten Magazin eben auch. Man kann also auch die Frage stellen: "Macht das Web die Magazine kaputt?"

Hier unterscheiden sich Steve Jobs und Tim Berners-Lee grundlegend. Der Apple-Chef will nicht nur weltbewegende Dinge wie den Mac oder das iPhone schaffen, sondern sucht immer auch den kommerziellen Erfolg. Sir Tim dagegen hat für die Erfindung des WWW zwar eine Reihe von renommierten Preisen und Auszeichnungen gewonnen. Im Gegensatz zu Steve Jobs konnte er seine Erfindung jedoch nicht in ein Megavermögen umwandeln. Er beteiligte sich nie an erfolgreichen Web-Startups und verzichtete auch auf die Patentierung des Webs. "Ich habe damals eine bewusste Entscheidung darüber getroffen, welchen Verlauf mein Leben nehmen sollte. Diese würde ich auch heute nicht ändern." Jobs hat ebenfalls eine Entscheidung getroffen. Mit ihr rettet er vielleicht nicht das offene Web, das Berners-Lee bedroht sieht, aber er sorgt für die Infrastruktur, damit Medien auch in Zukunft in hoher Qualität erstellt und verkauft werden können. (se)